Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

studentischen Geschäfte wie die andern Menschenkinder. Ich erinnere mich, daß ich
damals einem Masurensenior sehr imponirte, als ich ihm auf die Frage, ob Preußen
einmal eine freie Verfassung haben würde, zur Antwort gab, Preußen sei seiner
Geschichte und seinen Verhältnissen nach ein unnatürlicher Staat und könne sich
nur dadurch cultiviren, daß es untergehe.

In dieser Art von abstraktem Radikalismus lag viel Gefahr für die Zukunft.
Die Regel war freilich, daß er in den spätern Berufsarbeiten als überflüssiger
Zierrath bei Seite geworfen wurde, aber auch dann blieb das dunkle Gefühl: "es
ist etwas faul im Staate Dänemark!" Wie die französische Erhebung von 1789
ging der deutsche Liberalismus nicht von dem Gefühle bestimmten Bedürfnisses,
der Einsicht in bestimmte Zustände aus, sondern es war ein unbestimmtes Ver¬
langen, ein Mißmuth, der sich über seinen Grund selber nicht klar wurde. Auf
der Bureaukratie beruhte die Kunst des Staats; diese war auf den Universitäten
gebildet und hatte von dorther als Tradition das Bewußtsein mitgebracht, der
Staat tauge nicht viel; dieses Bewußtsein stand mit den spätern Geschäften, die
strenge nach der alten ererbten Methode fortgeführt wurden, in keinem Verhält¬
niß, es konnte durch sie weder entwickelt noch aufgehoben werden; man vergaß
es zu Zeiten, aber es blieb latent und mußte dann bei einem elektrischen Schlag,
in seinen alten, rohen Abstraktionen hervortreten. So ist es jetzt geschehen; und
der Staat muß schwer dafür büßen, früher ein transcententes Wesen vorge¬
stellt zu haben, denn auch seine Priester und Leviten trugen, als Glied des Vol¬
kes, den Haß gegen ihren eigenen Dienst im Herzen. Nicht quantitativ sondern
der Qualität nach vou diesem -- man erlaube mir den Ausdruck -- studentischen
Radikalismus war die naturwüchsige Opposition der Städte, der Gutsbesitzer,
der rationalistische" Geistlichen u. s. w. verschieden. --

Man horte damals hin und wieder von einem jüdischen Arzt, Dr. Jacoby,
der verbotene Bücher verbreiten sollte. Verbotene Bücher! was thaten uns die,
da wir in unserm abstracten Freiheitsbewußtsein über alles Bestimmte längst hin¬
aus waren! Jacoby's Zeit fiel lange vor unserer Tradition, wir konnten uns
für ihn nicht interessiren.

Der alte König starb und es erfolgte der bekannte Huldigungslandtag. Vor¬
her machte einer unserer Commilitonen -- auch das ist ein ostpreußischer Zug --
den Antrag, wir sollten den neuen König, der zugleich unser Rector milAiiilicu8
war, ersuchen, dem Staat eine Konstitution zu geben. Freilich wurde er aus¬
gelacht und die Bestrebungen der Studentenschaft absorbirten sich in dem Interesse
der Festlichkeiten, in denen sie eine Hauptrolle spielte.

Der König hatte den Preußischen Ständen die Frage vorgelegt, ob sie nicht
alte Privilegien hätten, die er vor seiner Krönung ihnen bestätigen sollte. Die Ant¬
wort, die sie ihm gaben, und die zum ersten Mal die Angen Deutschlands auf
dieses bis dahin gar nicht beachtete Institut lenkte, lautete: Allerdings haben


studentischen Geschäfte wie die andern Menschenkinder. Ich erinnere mich, daß ich
damals einem Masurensenior sehr imponirte, als ich ihm auf die Frage, ob Preußen
einmal eine freie Verfassung haben würde, zur Antwort gab, Preußen sei seiner
Geschichte und seinen Verhältnissen nach ein unnatürlicher Staat und könne sich
nur dadurch cultiviren, daß es untergehe.

In dieser Art von abstraktem Radikalismus lag viel Gefahr für die Zukunft.
Die Regel war freilich, daß er in den spätern Berufsarbeiten als überflüssiger
Zierrath bei Seite geworfen wurde, aber auch dann blieb das dunkle Gefühl: „es
ist etwas faul im Staate Dänemark!" Wie die französische Erhebung von 1789
ging der deutsche Liberalismus nicht von dem Gefühle bestimmten Bedürfnisses,
der Einsicht in bestimmte Zustände aus, sondern es war ein unbestimmtes Ver¬
langen, ein Mißmuth, der sich über seinen Grund selber nicht klar wurde. Auf
der Bureaukratie beruhte die Kunst des Staats; diese war auf den Universitäten
gebildet und hatte von dorther als Tradition das Bewußtsein mitgebracht, der
Staat tauge nicht viel; dieses Bewußtsein stand mit den spätern Geschäften, die
strenge nach der alten ererbten Methode fortgeführt wurden, in keinem Verhält¬
niß, es konnte durch sie weder entwickelt noch aufgehoben werden; man vergaß
es zu Zeiten, aber es blieb latent und mußte dann bei einem elektrischen Schlag,
in seinen alten, rohen Abstraktionen hervortreten. So ist es jetzt geschehen; und
der Staat muß schwer dafür büßen, früher ein transcententes Wesen vorge¬
stellt zu haben, denn auch seine Priester und Leviten trugen, als Glied des Vol¬
kes, den Haß gegen ihren eigenen Dienst im Herzen. Nicht quantitativ sondern
der Qualität nach vou diesem — man erlaube mir den Ausdruck — studentischen
Radikalismus war die naturwüchsige Opposition der Städte, der Gutsbesitzer,
der rationalistische» Geistlichen u. s. w. verschieden. —

Man horte damals hin und wieder von einem jüdischen Arzt, Dr. Jacoby,
der verbotene Bücher verbreiten sollte. Verbotene Bücher! was thaten uns die,
da wir in unserm abstracten Freiheitsbewußtsein über alles Bestimmte längst hin¬
aus waren! Jacoby's Zeit fiel lange vor unserer Tradition, wir konnten uns
für ihn nicht interessiren.

Der alte König starb und es erfolgte der bekannte Huldigungslandtag. Vor¬
her machte einer unserer Commilitonen — auch das ist ein ostpreußischer Zug —
den Antrag, wir sollten den neuen König, der zugleich unser Rector milAiiilicu8
war, ersuchen, dem Staat eine Konstitution zu geben. Freilich wurde er aus¬
gelacht und die Bestrebungen der Studentenschaft absorbirten sich in dem Interesse
der Festlichkeiten, in denen sie eine Hauptrolle spielte.

Der König hatte den Preußischen Ständen die Frage vorgelegt, ob sie nicht
alte Privilegien hätten, die er vor seiner Krönung ihnen bestätigen sollte. Die Ant¬
wort, die sie ihm gaben, und die zum ersten Mal die Angen Deutschlands auf
dieses bis dahin gar nicht beachtete Institut lenkte, lautete: Allerdings haben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277878"/>
            <p xml:id="ID_1498" prev="#ID_1497"> studentischen Geschäfte wie die andern Menschenkinder. Ich erinnere mich, daß ich<lb/>
damals einem Masurensenior sehr imponirte, als ich ihm auf die Frage, ob Preußen<lb/>
einmal eine freie Verfassung haben würde, zur Antwort gab, Preußen sei seiner<lb/>
Geschichte und seinen Verhältnissen nach ein unnatürlicher Staat und könne sich<lb/>
nur dadurch cultiviren, daß es untergehe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1499"> In dieser Art von abstraktem Radikalismus lag viel Gefahr für die Zukunft.<lb/>
Die Regel war freilich, daß er in den spätern Berufsarbeiten als überflüssiger<lb/>
Zierrath bei Seite geworfen wurde, aber auch dann blieb das dunkle Gefühl: &#x201E;es<lb/>
ist etwas faul im Staate Dänemark!" Wie die französische Erhebung von 1789<lb/>
ging der deutsche Liberalismus nicht von dem Gefühle bestimmten Bedürfnisses,<lb/>
der Einsicht in bestimmte Zustände aus, sondern es war ein unbestimmtes Ver¬<lb/>
langen, ein Mißmuth, der sich über seinen Grund selber nicht klar wurde. Auf<lb/>
der Bureaukratie beruhte die Kunst des Staats; diese war auf den Universitäten<lb/>
gebildet und hatte von dorther als Tradition das Bewußtsein mitgebracht, der<lb/>
Staat tauge nicht viel; dieses Bewußtsein stand mit den spätern Geschäften, die<lb/>
strenge nach der alten ererbten Methode fortgeführt wurden, in keinem Verhält¬<lb/>
niß, es konnte durch sie weder entwickelt noch aufgehoben werden; man vergaß<lb/>
es zu Zeiten, aber es blieb latent und mußte dann bei einem elektrischen Schlag,<lb/>
in seinen alten, rohen Abstraktionen hervortreten. So ist es jetzt geschehen; und<lb/>
der Staat muß schwer dafür büßen, früher ein transcententes Wesen vorge¬<lb/>
stellt zu haben, denn auch seine Priester und Leviten trugen, als Glied des Vol¬<lb/>
kes, den Haß gegen ihren eigenen Dienst im Herzen. Nicht quantitativ sondern<lb/>
der Qualität nach vou diesem &#x2014; man erlaube mir den Ausdruck &#x2014; studentischen<lb/>
Radikalismus war die naturwüchsige Opposition der Städte, der Gutsbesitzer,<lb/>
der rationalistische» Geistlichen u. s. w. verschieden. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1500"> Man horte damals hin und wieder von einem jüdischen Arzt, Dr. Jacoby,<lb/>
der verbotene Bücher verbreiten sollte. Verbotene Bücher! was thaten uns die,<lb/>
da wir in unserm abstracten Freiheitsbewußtsein über alles Bestimmte längst hin¬<lb/>
aus waren! Jacoby's Zeit fiel lange vor unserer Tradition, wir konnten uns<lb/>
für ihn nicht interessiren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1501"> Der alte König starb und es erfolgte der bekannte Huldigungslandtag. Vor¬<lb/>
her machte einer unserer Commilitonen &#x2014; auch das ist ein ostpreußischer Zug &#x2014;<lb/>
den Antrag, wir sollten den neuen König, der zugleich unser Rector milAiiilicu8<lb/>
war, ersuchen, dem Staat eine Konstitution zu geben. Freilich wurde er aus¬<lb/>
gelacht und die Bestrebungen der Studentenschaft absorbirten sich in dem Interesse<lb/>
der Festlichkeiten, in denen sie eine Hauptrolle spielte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1502" next="#ID_1503"> Der König hatte den Preußischen Ständen die Frage vorgelegt, ob sie nicht<lb/>
alte Privilegien hätten, die er vor seiner Krönung ihnen bestätigen sollte. Die Ant¬<lb/>
wort, die sie ihm gaben, und die zum ersten Mal die Angen Deutschlands auf<lb/>
dieses bis dahin gar nicht beachtete Institut lenkte, lautete: Allerdings haben</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] studentischen Geschäfte wie die andern Menschenkinder. Ich erinnere mich, daß ich damals einem Masurensenior sehr imponirte, als ich ihm auf die Frage, ob Preußen einmal eine freie Verfassung haben würde, zur Antwort gab, Preußen sei seiner Geschichte und seinen Verhältnissen nach ein unnatürlicher Staat und könne sich nur dadurch cultiviren, daß es untergehe. In dieser Art von abstraktem Radikalismus lag viel Gefahr für die Zukunft. Die Regel war freilich, daß er in den spätern Berufsarbeiten als überflüssiger Zierrath bei Seite geworfen wurde, aber auch dann blieb das dunkle Gefühl: „es ist etwas faul im Staate Dänemark!" Wie die französische Erhebung von 1789 ging der deutsche Liberalismus nicht von dem Gefühle bestimmten Bedürfnisses, der Einsicht in bestimmte Zustände aus, sondern es war ein unbestimmtes Ver¬ langen, ein Mißmuth, der sich über seinen Grund selber nicht klar wurde. Auf der Bureaukratie beruhte die Kunst des Staats; diese war auf den Universitäten gebildet und hatte von dorther als Tradition das Bewußtsein mitgebracht, der Staat tauge nicht viel; dieses Bewußtsein stand mit den spätern Geschäften, die strenge nach der alten ererbten Methode fortgeführt wurden, in keinem Verhält¬ niß, es konnte durch sie weder entwickelt noch aufgehoben werden; man vergaß es zu Zeiten, aber es blieb latent und mußte dann bei einem elektrischen Schlag, in seinen alten, rohen Abstraktionen hervortreten. So ist es jetzt geschehen; und der Staat muß schwer dafür büßen, früher ein transcententes Wesen vorge¬ stellt zu haben, denn auch seine Priester und Leviten trugen, als Glied des Vol¬ kes, den Haß gegen ihren eigenen Dienst im Herzen. Nicht quantitativ sondern der Qualität nach vou diesem — man erlaube mir den Ausdruck — studentischen Radikalismus war die naturwüchsige Opposition der Städte, der Gutsbesitzer, der rationalistische» Geistlichen u. s. w. verschieden. — Man horte damals hin und wieder von einem jüdischen Arzt, Dr. Jacoby, der verbotene Bücher verbreiten sollte. Verbotene Bücher! was thaten uns die, da wir in unserm abstracten Freiheitsbewußtsein über alles Bestimmte längst hin¬ aus waren! Jacoby's Zeit fiel lange vor unserer Tradition, wir konnten uns für ihn nicht interessiren. Der alte König starb und es erfolgte der bekannte Huldigungslandtag. Vor¬ her machte einer unserer Commilitonen — auch das ist ein ostpreußischer Zug — den Antrag, wir sollten den neuen König, der zugleich unser Rector milAiiilicu8 war, ersuchen, dem Staat eine Konstitution zu geben. Freilich wurde er aus¬ gelacht und die Bestrebungen der Studentenschaft absorbirten sich in dem Interesse der Festlichkeiten, in denen sie eine Hauptrolle spielte. Der König hatte den Preußischen Ständen die Frage vorgelegt, ob sie nicht alte Privilegien hätten, die er vor seiner Krönung ihnen bestätigen sollte. Die Ant¬ wort, die sie ihm gaben, und die zum ersten Mal die Angen Deutschlands auf dieses bis dahin gar nicht beachtete Institut lenkte, lautete: Allerdings haben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/448>, abgerufen am 29.06.2024.