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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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ihrigen gezählt hätte. Für Royalisten hatte sie noch insofern Interesse, als die
königliche Familie in Königsberg vor den übermächtigen Feinden eine Zuflucht
fand. Vor den Augen der Königin Louise hatte ein braver, frommer Prediger
so viel Wohlgefallen gefunden, daß man ihn zum Erzbischof gemacht hatte: der
Mann des Volkes und der Liebling des Hofes, der zugleich mit seiner Familie
in die Romantik eingriff, denn sein Sohn war ein baltischer Rinaldo Rinaldini,
er war lange an der Spitze einer gefürchteten Räuberbande der Schrecken der
Provinz gewesen, man hatte ihn nach Sibirien transportirt und er war nach sei¬
ner Heimat!) durchgebrochen, bis er endlich in einer idyllischen Abgeschiedenheit in
der Festung Graudenz das Ende seiner Thaten fand. In der spätern Zeit verlor
man Ostpreußen mehr aus den Augen; zwar beschrieb Professor Voigt die Thaten
der deutschen Völker in jenen Gegenden in neun dicken Bänden, aber diese waren
zu langweilig, sie wurden in Deutschland nicht gelesen. Man'hörte mir von Zeit
zu Zeit von dem Auftauchen einer mystischen Seele, die einen babylonisch ge¬
schlechtlichen Gottesdienst mit christlicher Askese und Reminiscenzen an die urpreu¬
ßische Dreieinigkeit von Perkunos, Potrimpos und Pikullos vereinigte, um einen
neuen Gott zu erzeugen, bis sie von der Polizei abgefaßt wurde; oder von dem
russischen Generalsuperintendenten, den man an des alten Borowski Stelle nach
Königsberg gesetzt, um die theilweise freigeistische Provinz dem rechten Glauben
wieder zuzuführen; sonst war alles still von dem Vaterland der Elenthiere und
des nordischen Magus.

Diese Ansicht von Ostpreußen hat sich Plötzlich geändert. Seit dem Jahr
1840 galt Ostpreußen für die liberalste und gesinnungstüchtigste Provinz des preu¬
ßischen Staates und man blickte nach der "Stadt der reinen Vernunft," über die
man bis dahin so geringschätzig die Nase gerümpft hatte, als solle von dort aus
dem Staat Friedrich des Großen und dem gesammten deutschen Vaterlande die
Stunde der Befreiung schlagen. Der Mann, an dessen Namen sich vorzugsweise
diese veränderte Stimmung gegen Ostpreußen knüpft, ist Johann Jacoby.

Seine politische Stellung beruht weniger ans einer hervorragenden Persön¬
lichkeit, als auf der Meinung. Ich wähle ihn als einen Leitfaden für eine Reihe
von Ereignissen, die sich zusammen ganz wohl zu einem Bilde gruppiren lassen.
Werfen wir zunächst einen Blick auf den Königsberger Liberalismus vou 1840.

Im Ganzen war viel monarchischer Sinn in der Provinz. In der Anwesen¬
heit der königlichen Familie im Jahr 1800 hatten sich gemüthliche Beziehungen
angeknüpft, die noch lebendig in der Erinnerung blieben. Der König war über¬
haupt sehr populär, eben weil er durchaus uicht nach Popularität jagte. Der
Deutsche legt immer viel,Gewicht auf den Privatcharakter, und die große Einfach¬
heit und sittliche Strenge Friedrich Wilhelms III. imponirte, auch wenn man von
seiner geistigen Begabung nicht viel hielt und sich über einige drollige Erscheinun¬
gen seines Wesens -- z. B. sein Sprechen in Infinitiven -- einen mschuldigen


ihrigen gezählt hätte. Für Royalisten hatte sie noch insofern Interesse, als die
königliche Familie in Königsberg vor den übermächtigen Feinden eine Zuflucht
fand. Vor den Augen der Königin Louise hatte ein braver, frommer Prediger
so viel Wohlgefallen gefunden, daß man ihn zum Erzbischof gemacht hatte: der
Mann des Volkes und der Liebling des Hofes, der zugleich mit seiner Familie
in die Romantik eingriff, denn sein Sohn war ein baltischer Rinaldo Rinaldini,
er war lange an der Spitze einer gefürchteten Räuberbande der Schrecken der
Provinz gewesen, man hatte ihn nach Sibirien transportirt und er war nach sei¬
ner Heimat!) durchgebrochen, bis er endlich in einer idyllischen Abgeschiedenheit in
der Festung Graudenz das Ende seiner Thaten fand. In der spätern Zeit verlor
man Ostpreußen mehr aus den Augen; zwar beschrieb Professor Voigt die Thaten
der deutschen Völker in jenen Gegenden in neun dicken Bänden, aber diese waren
zu langweilig, sie wurden in Deutschland nicht gelesen. Man'hörte mir von Zeit
zu Zeit von dem Auftauchen einer mystischen Seele, die einen babylonisch ge¬
schlechtlichen Gottesdienst mit christlicher Askese und Reminiscenzen an die urpreu¬
ßische Dreieinigkeit von Perkunos, Potrimpos und Pikullos vereinigte, um einen
neuen Gott zu erzeugen, bis sie von der Polizei abgefaßt wurde; oder von dem
russischen Generalsuperintendenten, den man an des alten Borowski Stelle nach
Königsberg gesetzt, um die theilweise freigeistische Provinz dem rechten Glauben
wieder zuzuführen; sonst war alles still von dem Vaterland der Elenthiere und
des nordischen Magus.

Diese Ansicht von Ostpreußen hat sich Plötzlich geändert. Seit dem Jahr
1840 galt Ostpreußen für die liberalste und gesinnungstüchtigste Provinz des preu¬
ßischen Staates und man blickte nach der „Stadt der reinen Vernunft," über die
man bis dahin so geringschätzig die Nase gerümpft hatte, als solle von dort aus
dem Staat Friedrich des Großen und dem gesammten deutschen Vaterlande die
Stunde der Befreiung schlagen. Der Mann, an dessen Namen sich vorzugsweise
diese veränderte Stimmung gegen Ostpreußen knüpft, ist Johann Jacoby.

Seine politische Stellung beruht weniger ans einer hervorragenden Persön¬
lichkeit, als auf der Meinung. Ich wähle ihn als einen Leitfaden für eine Reihe
von Ereignissen, die sich zusammen ganz wohl zu einem Bilde gruppiren lassen.
Werfen wir zunächst einen Blick auf den Königsberger Liberalismus vou 1840.

Im Ganzen war viel monarchischer Sinn in der Provinz. In der Anwesen¬
heit der königlichen Familie im Jahr 1800 hatten sich gemüthliche Beziehungen
angeknüpft, die noch lebendig in der Erinnerung blieben. Der König war über¬
haupt sehr populär, eben weil er durchaus uicht nach Popularität jagte. Der
Deutsche legt immer viel,Gewicht auf den Privatcharakter, und die große Einfach¬
heit und sittliche Strenge Friedrich Wilhelms III. imponirte, auch wenn man von
seiner geistigen Begabung nicht viel hielt und sich über einige drollige Erscheinun¬
gen seines Wesens — z. B. sein Sprechen in Infinitiven — einen mschuldigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/443>, abgerufen am 29.06.2024.