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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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, Die Deutschen, die bisher von dem Berliner Hochmuth mit so souveräner
Verachtung angesehen wurden, sind schwer gerächt. Keine Stadt bietet in den Zei-
ten der Prüfung ein so widerwärtiges Bild sittlicher Unreife und politischer
Impotenz.

Könnte man sich wenigstens der angenehmen Täuschung überlassen, es sei nur
die Eine Partei, welche absichtlich, aus verbrecherischen Ehrgeiz, oder in fieber¬
hafter Aufregung die Grundvesten des Staats und alle Verhältnisse der Sittlich¬
keit untergrübe. Aber die eine Partei ist nicht besser als die andere. Uebrrall
Reflexion und Kritik zum Uebermaß, überall vornehmes Besserwissen und blasirtes
über Alles hinaus sein, nirgend Productivität, nirgend auch nur eine Spur von
jener erhebenden Gluth des Enthusiasmus, die das Sonderinteresse eben so mit
sich fortreißt wie den kalt reflectirenden Verstands Sollte man doch mitunter auf
die Idee kommen, auch die ehrlichen Kiolbassa's, Michel Mroze und ihresgleichen,
wenn sie auch nicht deutsch verstehn, seien von dieser epidemischen Seuche der Re¬
flexion inficirt, wenn hier nicht allzudentlich ein fremder, viel schlimmerer Einfluß
sich kund gäbe.

^Jch verzweifle darum nicht an Berlin. Es ist doch Methode in diesem Wahn¬
sinn; Berlin wird in der Gährung der Elemente sehr leiden, die Tollheit wird
sich von Tag zu Tag steigern, von den vielen guten Kräften, die sich nach ver¬
schiedenen Seiten hin entwickeln, wird das Meiste verloren gehen, aber diese
Kräfte werden endlich ein gemeinsames Ziel sucheii^

Es wird mir schwer es auszusprechen -- nur ein ernsthaftes Gewitter, eine /
furchtbare Katastrophe kann das Fieber heilen. Eine Krisis, die mit Gefahr des '
Lebens verbunden ist.

Sollen wir fürchten oder sollen wir hoffen, daß sie bald eintreten möge?


1"!-.


, Die Deutschen, die bisher von dem Berliner Hochmuth mit so souveräner
Verachtung angesehen wurden, sind schwer gerächt. Keine Stadt bietet in den Zei-
ten der Prüfung ein so widerwärtiges Bild sittlicher Unreife und politischer
Impotenz.

Könnte man sich wenigstens der angenehmen Täuschung überlassen, es sei nur
die Eine Partei, welche absichtlich, aus verbrecherischen Ehrgeiz, oder in fieber¬
hafter Aufregung die Grundvesten des Staats und alle Verhältnisse der Sittlich¬
keit untergrübe. Aber die eine Partei ist nicht besser als die andere. Uebrrall
Reflexion und Kritik zum Uebermaß, überall vornehmes Besserwissen und blasirtes
über Alles hinaus sein, nirgend Productivität, nirgend auch nur eine Spur von
jener erhebenden Gluth des Enthusiasmus, die das Sonderinteresse eben so mit
sich fortreißt wie den kalt reflectirenden Verstands Sollte man doch mitunter auf
die Idee kommen, auch die ehrlichen Kiolbassa's, Michel Mroze und ihresgleichen,
wenn sie auch nicht deutsch verstehn, seien von dieser epidemischen Seuche der Re¬
flexion inficirt, wenn hier nicht allzudentlich ein fremder, viel schlimmerer Einfluß
sich kund gäbe.

^Jch verzweifle darum nicht an Berlin. Es ist doch Methode in diesem Wahn¬
sinn; Berlin wird in der Gährung der Elemente sehr leiden, die Tollheit wird
sich von Tag zu Tag steigern, von den vielen guten Kräften, die sich nach ver¬
schiedenen Seiten hin entwickeln, wird das Meiste verloren gehen, aber diese
Kräfte werden endlich ein gemeinsames Ziel sucheii^

Es wird mir schwer es auszusprechen — nur ein ernsthaftes Gewitter, eine /
furchtbare Katastrophe kann das Fieber heilen. Eine Krisis, die mit Gefahr des '
Lebens verbunden ist.

Sollen wir fürchten oder sollen wir hoffen, daß sie bald eintreten möge?


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[0034] , Die Deutschen, die bisher von dem Berliner Hochmuth mit so souveräner Verachtung angesehen wurden, sind schwer gerächt. Keine Stadt bietet in den Zei- ten der Prüfung ein so widerwärtiges Bild sittlicher Unreife und politischer Impotenz. Könnte man sich wenigstens der angenehmen Täuschung überlassen, es sei nur die Eine Partei, welche absichtlich, aus verbrecherischen Ehrgeiz, oder in fieber¬ hafter Aufregung die Grundvesten des Staats und alle Verhältnisse der Sittlich¬ keit untergrübe. Aber die eine Partei ist nicht besser als die andere. Uebrrall Reflexion und Kritik zum Uebermaß, überall vornehmes Besserwissen und blasirtes über Alles hinaus sein, nirgend Productivität, nirgend auch nur eine Spur von jener erhebenden Gluth des Enthusiasmus, die das Sonderinteresse eben so mit sich fortreißt wie den kalt reflectirenden Verstands Sollte man doch mitunter auf die Idee kommen, auch die ehrlichen Kiolbassa's, Michel Mroze und ihresgleichen, wenn sie auch nicht deutsch verstehn, seien von dieser epidemischen Seuche der Re¬ flexion inficirt, wenn hier nicht allzudentlich ein fremder, viel schlimmerer Einfluß sich kund gäbe. ^Jch verzweifle darum nicht an Berlin. Es ist doch Methode in diesem Wahn¬ sinn; Berlin wird in der Gährung der Elemente sehr leiden, die Tollheit wird sich von Tag zu Tag steigern, von den vielen guten Kräften, die sich nach ver¬ schiedenen Seiten hin entwickeln, wird das Meiste verloren gehen, aber diese Kräfte werden endlich ein gemeinsames Ziel sucheii^ Es wird mir schwer es auszusprechen — nur ein ernsthaftes Gewitter, eine / furchtbare Katastrophe kann das Fieber heilen. Eine Krisis, die mit Gefahr des ' Lebens verbunden ist. Sollen wir fürchten oder sollen wir hoffen, daß sie bald eintreten möge? 1"!-.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/34>, abgerufen am 26.06.2024.