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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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jetzt bei der Majorität der einzelnen Völker stehen, treten in den Vordergrund
und die separat-Interessen der einzelnen Staaten fangen an, ihre verständige
Berechtigung geltend zu machen, deren man damals, als die Deputirten nach
Frankfurt gesendet wurden, wenig gedacht hatte. Schon dadurch muß die Frank¬
furter Versammlung allmälig an Terrain verlieren, noch mehr aber weil sie das
natürliche Bestreben aller organisirenden Mächte hat, zu Vieles schaffen zu wollen.
Sie wird dadurch Collisionen mit den Sonvcrainitätsrechten der einzelnen Staaten
herbeiführen. Wenn sie z. B. ein Gewerbegesetz in die Reichsverfassung aufnähme,
selbst wenn sie dabei 80 Deputirte aus dem Handwerkerstande zu Rathe zieht, mit
welchem Recht will sie diese Bestimmungen gegen die sächsischen Gesetze über In-
nungswesen oder gegen die direct entgegenstehenden preußischen über vollständige
Gewerbefreiheit durchsetze", vorausgesetzt daß die Majorität dieser Länder sich für
Beibehaltung der bisherigen Gesetze entscheidet? Ob sie sich für competente Auto¬
rität in Bezug auf Handelspolitik und industrielle Fragen hält, wissen wir noch
nicht sicher, doch hat es den Anschein. Hiergegen müßte das deutsche Volk ent¬
schieden protestiren. Die Versammlung hat souveraine Autorität eine Verfassung
für Deutschland zu machen, aber was darüber hinausgeht, soll sie mit Vorsicht
behandeln, denn ihr Mandat ist keineswegs unbeschränkt. Doch wäre es auch in
diesem und in vielen ähnlichen Fällen bei demokratischen Lebensformen gestattet,
die Selbstbestimmungen einzelner Staaten vom Standpunkt der Constituante auf¬
zuheben, und ich läugne entschieden, daß dies zulässig ist, so liegt die Hauptgefahr
der Versammlung immer noch darin, daß sie, je länger ihre Mitglieder vom
Hause entfernt sind, je mehr sie in der Versammlung zusammen wachsen, um so
sicherer in die Gefahr kommen, uniformiren zu wollen. Den unnützen und spitz¬
findigen Unterschied, welchen man in Frankfurt zuweilen zwischen Bundesstaat und
Staatenbund macht und die Behauptung, daß Deutschland ein Bundesstaat werden
müsse, mag man ruhig hingehen lassen, es würde am besten sein, wenn man Fal-
staffs Unterschrift: Hans Falstaff für meine Freunde, Sir John für ganz Europa,
bei dieser Frage parodirend sagen könnte: ein Staatenbund für Deutschland, ein
Bundesstaat für die Feinde im Ausland; aber es gibt bedenklichere Symptome
davon, daß die Constituante keine Neigung hat, Rücksichten daraufzunehmen,
wie Deutschland viel disparatere Theile und Interessen zu versöhnen hat, als
selbst Nordamerika. Ueberdies wird man sich bei der größten Achtung vor den
Kräften der Constituante doch der Furcht uicht entschlagen können, daß die Ver¬
sammlung, wenn sie in der begonnenen Weise fortgeht, mehr als Monate zur
Beendigung ihres ConstitutionsentwnrseS bedürfen wird, und die Geschichte lehrt,
daß die Früchte langer Constituante,! ungenießbar sind. In diesem Augenblick
scheint die Versammlung im Zenith ihres Ansehns zu stehen und doch ist grade
die Wahl des östreichischen Prinzen Johann der Act, welcher am tiefsten in das
Leben derselben einschneiden wird. Wohl war diese provisorische Wahl eine gute,


jetzt bei der Majorität der einzelnen Völker stehen, treten in den Vordergrund
und die separat-Interessen der einzelnen Staaten fangen an, ihre verständige
Berechtigung geltend zu machen, deren man damals, als die Deputirten nach
Frankfurt gesendet wurden, wenig gedacht hatte. Schon dadurch muß die Frank¬
furter Versammlung allmälig an Terrain verlieren, noch mehr aber weil sie das
natürliche Bestreben aller organisirenden Mächte hat, zu Vieles schaffen zu wollen.
Sie wird dadurch Collisionen mit den Sonvcrainitätsrechten der einzelnen Staaten
herbeiführen. Wenn sie z. B. ein Gewerbegesetz in die Reichsverfassung aufnähme,
selbst wenn sie dabei 80 Deputirte aus dem Handwerkerstande zu Rathe zieht, mit
welchem Recht will sie diese Bestimmungen gegen die sächsischen Gesetze über In-
nungswesen oder gegen die direct entgegenstehenden preußischen über vollständige
Gewerbefreiheit durchsetze«, vorausgesetzt daß die Majorität dieser Länder sich für
Beibehaltung der bisherigen Gesetze entscheidet? Ob sie sich für competente Auto¬
rität in Bezug auf Handelspolitik und industrielle Fragen hält, wissen wir noch
nicht sicher, doch hat es den Anschein. Hiergegen müßte das deutsche Volk ent¬
schieden protestiren. Die Versammlung hat souveraine Autorität eine Verfassung
für Deutschland zu machen, aber was darüber hinausgeht, soll sie mit Vorsicht
behandeln, denn ihr Mandat ist keineswegs unbeschränkt. Doch wäre es auch in
diesem und in vielen ähnlichen Fällen bei demokratischen Lebensformen gestattet,
die Selbstbestimmungen einzelner Staaten vom Standpunkt der Constituante auf¬
zuheben, und ich läugne entschieden, daß dies zulässig ist, so liegt die Hauptgefahr
der Versammlung immer noch darin, daß sie, je länger ihre Mitglieder vom
Hause entfernt sind, je mehr sie in der Versammlung zusammen wachsen, um so
sicherer in die Gefahr kommen, uniformiren zu wollen. Den unnützen und spitz¬
findigen Unterschied, welchen man in Frankfurt zuweilen zwischen Bundesstaat und
Staatenbund macht und die Behauptung, daß Deutschland ein Bundesstaat werden
müsse, mag man ruhig hingehen lassen, es würde am besten sein, wenn man Fal-
staffs Unterschrift: Hans Falstaff für meine Freunde, Sir John für ganz Europa,
bei dieser Frage parodirend sagen könnte: ein Staatenbund für Deutschland, ein
Bundesstaat für die Feinde im Ausland; aber es gibt bedenklichere Symptome
davon, daß die Constituante keine Neigung hat, Rücksichten daraufzunehmen,
wie Deutschland viel disparatere Theile und Interessen zu versöhnen hat, als
selbst Nordamerika. Ueberdies wird man sich bei der größten Achtung vor den
Kräften der Constituante doch der Furcht uicht entschlagen können, daß die Ver¬
sammlung, wenn sie in der begonnenen Weise fortgeht, mehr als Monate zur
Beendigung ihres ConstitutionsentwnrseS bedürfen wird, und die Geschichte lehrt,
daß die Früchte langer Constituante,! ungenießbar sind. In diesem Augenblick
scheint die Versammlung im Zenith ihres Ansehns zu stehen und doch ist grade
die Wahl des östreichischen Prinzen Johann der Act, welcher am tiefsten in das
Leben derselben einschneiden wird. Wohl war diese provisorische Wahl eine gute,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/193>, abgerufen am 22.07.2024.