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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Kreise durchschneiden, nicht nur solche, welche zu einem und demselben Bezirk ge¬
hören, sondern auch andere, und wahrscheinlich nicht alle Kreise eines Bezirks,
sondern nur einzelne. Wie kann in diesen Fällen der Bezirk als solcher den Bau
unternehmen? Einmal müßte er sich doch mit einem andern Bezirke associiren und
zweitens hat er gar kein Recht diejenigen Kreise, denen der Bau wenig oder gar
nicht nützt, zu Beiträgen heranzuziehn. Damit vielleicht drei Kreise eine Chaussee
erhalten, sollen sieben andere ihr Geld, ihre Arbeitskraft geben. Warum gerade
diese sieben, warum nicht alle? Der verständige Egoismus der Communen und
Kreise wird sich bald dagegen empören, und entweder bei der Abstimmung durch
Widerspruch der Majorität das Unternehmen verhindern, oder wenn die negirende
Partei in der Minderzahl bleibt, dem Bezirksverband zürnen und mit dem größten
Recht. Denn der Kreis ist solchen Bauten gegenüber eine compacte Einheit, eine
Chaussee, ein Kanal, die ihn durchziehen, kommen mehr oder weniger allen Ge¬
meinden zu gut, nicht so beim Bezirk. Die ganze Phantasie von Bezirksvermögen
und Bezirksbauten entbehrt realer Grundlage. Gemeinnützige Unternehmen sind
entweder pecuniär vortheilhaft, und dann werden sie durch freie Association der
Einzelnen, der Gemeinden, auch der Kreise gebaut werden, oder sie sind es nicht,
und dann muß ein Zuschuß nicht durch die Bezirks-, sondern durch die Staats¬
kassen erfolgen. - - Aber es gibt eine Menge gemeinnütziger Institute, Gebäude
u. f. w., deren Bau die Kräfte des Kreises übersteigt, die ein Bezirk dagegen
wohl ausführen kann. Es gibt keine höhern Schulen, sie fallen in die Sphäre des
Gesammtstaats, technische Unterrichtsanstalten bestimmter Richtung gehören der freien
Association oder der Staatspflicht an. Aber Kranken- und Armenanstalten und
Armenverpflegung? Grade hier wird der Bezirksverband am wenigsten nützen.
Jede Commun muß ihre Armenhäuser, jeder Kreis seine Waisen- und Kranken¬
häuser haben, für Institute besonderer Art: Irrenhäuser, Taubstummen- und
Blindeuhäuser ist auch der Bezirk zu klein und für Armenpflege gelte der Grund¬
satz: Wenn ein Kreis seine Armenpflichteu nicht selbst erfüllen kann, wird auch
der Bezirk, mit einzelnen Ausnahmen, zu schwach sein, ihm durch Geldbeiträge
zu helfe". Vorübergehender Mißwachs, Seuchen u. f. w. treffen fast immer grö¬
ßere Gebiete und dauernde Ursachen der Paupertät, z> B. verkümmerte Industrie¬
zweige oder Sprachen ebenfalls. Man denke an die böhmische Leinenindustrie, das
sächsische Erzgebirge, die polnischen Oberschlesier. Bei allen solchen Leiden ist die
Autonomie der Bezirke und ihre Kasse unnütz, der Gesammtstaat kann allein helfen
und auch er, nebenbei bemerkt, nur durch Dictaturen und Zwcmgsgesetze, welche
das Uebel an der Wurzel angreifen.

Schwäche einzelner Kreise aber, welche durch schlechten Boden, schlechte Ver¬
teilung des Grundbesitzes hervorgebracht und häufig oder stets hervortritt, wird
zwar durch die Bezirkskasseu zu bewältigen sein, nur erscheint es mißlich , wenige
stärkere Genossen dauernd sür den schwächern arbeiten zu lassen; wenigstens wird


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Kreise durchschneiden, nicht nur solche, welche zu einem und demselben Bezirk ge¬
hören, sondern auch andere, und wahrscheinlich nicht alle Kreise eines Bezirks,
sondern nur einzelne. Wie kann in diesen Fällen der Bezirk als solcher den Bau
unternehmen? Einmal müßte er sich doch mit einem andern Bezirke associiren und
zweitens hat er gar kein Recht diejenigen Kreise, denen der Bau wenig oder gar
nicht nützt, zu Beiträgen heranzuziehn. Damit vielleicht drei Kreise eine Chaussee
erhalten, sollen sieben andere ihr Geld, ihre Arbeitskraft geben. Warum gerade
diese sieben, warum nicht alle? Der verständige Egoismus der Communen und
Kreise wird sich bald dagegen empören, und entweder bei der Abstimmung durch
Widerspruch der Majorität das Unternehmen verhindern, oder wenn die negirende
Partei in der Minderzahl bleibt, dem Bezirksverband zürnen und mit dem größten
Recht. Denn der Kreis ist solchen Bauten gegenüber eine compacte Einheit, eine
Chaussee, ein Kanal, die ihn durchziehen, kommen mehr oder weniger allen Ge¬
meinden zu gut, nicht so beim Bezirk. Die ganze Phantasie von Bezirksvermögen
und Bezirksbauten entbehrt realer Grundlage. Gemeinnützige Unternehmen sind
entweder pecuniär vortheilhaft, und dann werden sie durch freie Association der
Einzelnen, der Gemeinden, auch der Kreise gebaut werden, oder sie sind es nicht,
und dann muß ein Zuschuß nicht durch die Bezirks-, sondern durch die Staats¬
kassen erfolgen. - - Aber es gibt eine Menge gemeinnütziger Institute, Gebäude
u. f. w., deren Bau die Kräfte des Kreises übersteigt, die ein Bezirk dagegen
wohl ausführen kann. Es gibt keine höhern Schulen, sie fallen in die Sphäre des
Gesammtstaats, technische Unterrichtsanstalten bestimmter Richtung gehören der freien
Association oder der Staatspflicht an. Aber Kranken- und Armenanstalten und
Armenverpflegung? Grade hier wird der Bezirksverband am wenigsten nützen.
Jede Commun muß ihre Armenhäuser, jeder Kreis seine Waisen- und Kranken¬
häuser haben, für Institute besonderer Art: Irrenhäuser, Taubstummen- und
Blindeuhäuser ist auch der Bezirk zu klein und für Armenpflege gelte der Grund¬
satz: Wenn ein Kreis seine Armenpflichteu nicht selbst erfüllen kann, wird auch
der Bezirk, mit einzelnen Ausnahmen, zu schwach sein, ihm durch Geldbeiträge
zu helfe». Vorübergehender Mißwachs, Seuchen u. f. w. treffen fast immer grö¬
ßere Gebiete und dauernde Ursachen der Paupertät, z> B. verkümmerte Industrie¬
zweige oder Sprachen ebenfalls. Man denke an die böhmische Leinenindustrie, das
sächsische Erzgebirge, die polnischen Oberschlesier. Bei allen solchen Leiden ist die
Autonomie der Bezirke und ihre Kasse unnütz, der Gesammtstaat kann allein helfen
und auch er, nebenbei bemerkt, nur durch Dictaturen und Zwcmgsgesetze, welche
das Uebel an der Wurzel angreifen.

Schwäche einzelner Kreise aber, welche durch schlechten Boden, schlechte Ver¬
teilung des Grundbesitzes hervorgebracht und häufig oder stets hervortritt, wird
zwar durch die Bezirkskasseu zu bewältigen sein, nur erscheint es mißlich , wenige
stärkere Genossen dauernd sür den schwächern arbeiten zu lassen; wenigstens wird


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[0099] Kreise durchschneiden, nicht nur solche, welche zu einem und demselben Bezirk ge¬ hören, sondern auch andere, und wahrscheinlich nicht alle Kreise eines Bezirks, sondern nur einzelne. Wie kann in diesen Fällen der Bezirk als solcher den Bau unternehmen? Einmal müßte er sich doch mit einem andern Bezirke associiren und zweitens hat er gar kein Recht diejenigen Kreise, denen der Bau wenig oder gar nicht nützt, zu Beiträgen heranzuziehn. Damit vielleicht drei Kreise eine Chaussee erhalten, sollen sieben andere ihr Geld, ihre Arbeitskraft geben. Warum gerade diese sieben, warum nicht alle? Der verständige Egoismus der Communen und Kreise wird sich bald dagegen empören, und entweder bei der Abstimmung durch Widerspruch der Majorität das Unternehmen verhindern, oder wenn die negirende Partei in der Minderzahl bleibt, dem Bezirksverband zürnen und mit dem größten Recht. Denn der Kreis ist solchen Bauten gegenüber eine compacte Einheit, eine Chaussee, ein Kanal, die ihn durchziehen, kommen mehr oder weniger allen Ge¬ meinden zu gut, nicht so beim Bezirk. Die ganze Phantasie von Bezirksvermögen und Bezirksbauten entbehrt realer Grundlage. Gemeinnützige Unternehmen sind entweder pecuniär vortheilhaft, und dann werden sie durch freie Association der Einzelnen, der Gemeinden, auch der Kreise gebaut werden, oder sie sind es nicht, und dann muß ein Zuschuß nicht durch die Bezirks-, sondern durch die Staats¬ kassen erfolgen. - - Aber es gibt eine Menge gemeinnütziger Institute, Gebäude u. f. w., deren Bau die Kräfte des Kreises übersteigt, die ein Bezirk dagegen wohl ausführen kann. Es gibt keine höhern Schulen, sie fallen in die Sphäre des Gesammtstaats, technische Unterrichtsanstalten bestimmter Richtung gehören der freien Association oder der Staatspflicht an. Aber Kranken- und Armenanstalten und Armenverpflegung? Grade hier wird der Bezirksverband am wenigsten nützen. Jede Commun muß ihre Armenhäuser, jeder Kreis seine Waisen- und Kranken¬ häuser haben, für Institute besonderer Art: Irrenhäuser, Taubstummen- und Blindeuhäuser ist auch der Bezirk zu klein und für Armenpflege gelte der Grund¬ satz: Wenn ein Kreis seine Armenpflichteu nicht selbst erfüllen kann, wird auch der Bezirk, mit einzelnen Ausnahmen, zu schwach sein, ihm durch Geldbeiträge zu helfe». Vorübergehender Mißwachs, Seuchen u. f. w. treffen fast immer grö¬ ßere Gebiete und dauernde Ursachen der Paupertät, z> B. verkümmerte Industrie¬ zweige oder Sprachen ebenfalls. Man denke an die böhmische Leinenindustrie, das sächsische Erzgebirge, die polnischen Oberschlesier. Bei allen solchen Leiden ist die Autonomie der Bezirke und ihre Kasse unnütz, der Gesammtstaat kann allein helfen und auch er, nebenbei bemerkt, nur durch Dictaturen und Zwcmgsgesetze, welche das Uebel an der Wurzel angreifen. Schwäche einzelner Kreise aber, welche durch schlechten Boden, schlechte Ver¬ teilung des Grundbesitzes hervorgebracht und häufig oder stets hervortritt, wird zwar durch die Bezirkskasseu zu bewältigen sein, nur erscheint es mißlich , wenige stärkere Genossen dauernd sür den schwächern arbeiten zu lassen; wenigstens wird 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/99>, abgerufen am 22.07.2024.