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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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linier, welche die Gemeinde abschließen, haben Thore, und Straßen ziehen sich
durch sie nach allen Himmelsgegenden. Dadurch werden nicht nur die Einwohner
der verschiedenen Communen, sondern auch die Gemeinden selbst in eine Menge
dauernder Beziehungen gesetzt. Es entsteht so durch gegenseitiges Anziehen be¬
nachbarter Gemeinden, durch Verbindung der gemeinsamen Interessen eine neue
höhere Organisation nicht mehr der Einzelnen, sondern der Gemeinden selbst ; das
Charakteristische dieser weiteren Verbindung ist, daß sie Getrenntes, räumlich aus
einander Liegendes zu vereinigen hat, die Tendenz der geschlossenen Gemeinde ist
Ausbreitung im Raum, das Wesen der höheren Gestaltung Concentration des
ausgebreiteten Volkslebens. Diese größere staatliche Krystallisation ist der Kreis.
Dies Wort hat freilich in den einzelnen deutschen Staaten sehr verschiedene Be¬
deutung. In Baiern, im größten Theil der östreichischen Staaten ist der Kreis
eine noch größere Einheit, welche wir als Landesbezirk nennen werden; in Nord¬
deutschland entspricht er der Bedeutung, welche ihm hier gegeben wird, am voll¬
kommensten. Im östreichischen Staat hat z. B. Galizien solche Kreise. Wenn der
Kreis die Verbindung der Interessen und des Lebens benachbarter Gemeinden
kräftig darstellen soll, darf er nicht zu groß sein. Er wird nur einen Mittelpunkt
haben dürfen, die Kreisstadt; die Nachbardörfer, Flecken und kleinen Städte wer¬
den nur dann im Verband mit dieser ein zusammenhängendes Ganze bilden, wenn
der industrielle und commercielle Einfluß der Kreisstadt sich über sie ausdehnt und
ihr Leben an sich zu ziehe" vermag. Am besten wird der Kreis eine Zahl von
ungefähr 50,000 Einwohner" umspannen; große Städte von 50,000 Einwohnern
ab bilden für sich ein so complicirtes Gemeindewesen, und haben gegen die um¬
liegenden Ortschaften ein so großes Uebergewicht, daß sie aus dem Kreisverband
herausgenommen und für sich selbst mit den Ehrenrechten eines Kreises versehen
werden mögen. Allerdings wird dadurch für die umliegende Gegend die Kreis¬
bildung wesentlich gestört, da große Städte für Markt, Handel, Beamte des
Kreises doch der Mittelpunkt bleiben müssen. Ein richtig organisirter Kreis wird
außer der Kreisstadt vielleicht noch zwei bis drei kleine Städte oder Marktflecken
und etwa 50 bis höchstens 100 Dorfgemeinden enthalten. Da die Kreisstadt der
Fixstern eines Gemeindesystems ist, so mag noch erwähnt werden, daß auch Kreis¬
systeme mit Doppelsternen nicht zu vermeiden sein werden, wenn in großer Nähe
der Kreisstadt eine andere liegt, welche für den Verkehr des Kreises gleiche Wich¬
tigkeit hat.

Die Concentration der Gemeinden in Kreise entwickelt Leben nach drei Rich¬
tungen. Zunächst tritt durch sie der Staat mit den Gemeinden in Verbindung,
Die Kreisstadt wird der Sitz des Kreisgerichts, des Steueramts, des militä¬
rischen Commando's, alle Rechtssachen, welche nicht in den Grenzen der Gemein¬
den selbst durch den Friedensrichter oder Delegirte des Kreisgerichts entschieden
werden können, finden hier ihre Erledigung (die Jury des Kreises); alle Staats-


linier, welche die Gemeinde abschließen, haben Thore, und Straßen ziehen sich
durch sie nach allen Himmelsgegenden. Dadurch werden nicht nur die Einwohner
der verschiedenen Communen, sondern auch die Gemeinden selbst in eine Menge
dauernder Beziehungen gesetzt. Es entsteht so durch gegenseitiges Anziehen be¬
nachbarter Gemeinden, durch Verbindung der gemeinsamen Interessen eine neue
höhere Organisation nicht mehr der Einzelnen, sondern der Gemeinden selbst ; das
Charakteristische dieser weiteren Verbindung ist, daß sie Getrenntes, räumlich aus
einander Liegendes zu vereinigen hat, die Tendenz der geschlossenen Gemeinde ist
Ausbreitung im Raum, das Wesen der höheren Gestaltung Concentration des
ausgebreiteten Volkslebens. Diese größere staatliche Krystallisation ist der Kreis.
Dies Wort hat freilich in den einzelnen deutschen Staaten sehr verschiedene Be¬
deutung. In Baiern, im größten Theil der östreichischen Staaten ist der Kreis
eine noch größere Einheit, welche wir als Landesbezirk nennen werden; in Nord¬
deutschland entspricht er der Bedeutung, welche ihm hier gegeben wird, am voll¬
kommensten. Im östreichischen Staat hat z. B. Galizien solche Kreise. Wenn der
Kreis die Verbindung der Interessen und des Lebens benachbarter Gemeinden
kräftig darstellen soll, darf er nicht zu groß sein. Er wird nur einen Mittelpunkt
haben dürfen, die Kreisstadt; die Nachbardörfer, Flecken und kleinen Städte wer¬
den nur dann im Verband mit dieser ein zusammenhängendes Ganze bilden, wenn
der industrielle und commercielle Einfluß der Kreisstadt sich über sie ausdehnt und
ihr Leben an sich zu ziehe» vermag. Am besten wird der Kreis eine Zahl von
ungefähr 50,000 Einwohner» umspannen; große Städte von 50,000 Einwohnern
ab bilden für sich ein so complicirtes Gemeindewesen, und haben gegen die um¬
liegenden Ortschaften ein so großes Uebergewicht, daß sie aus dem Kreisverband
herausgenommen und für sich selbst mit den Ehrenrechten eines Kreises versehen
werden mögen. Allerdings wird dadurch für die umliegende Gegend die Kreis¬
bildung wesentlich gestört, da große Städte für Markt, Handel, Beamte des
Kreises doch der Mittelpunkt bleiben müssen. Ein richtig organisirter Kreis wird
außer der Kreisstadt vielleicht noch zwei bis drei kleine Städte oder Marktflecken
und etwa 50 bis höchstens 100 Dorfgemeinden enthalten. Da die Kreisstadt der
Fixstern eines Gemeindesystems ist, so mag noch erwähnt werden, daß auch Kreis¬
systeme mit Doppelsternen nicht zu vermeiden sein werden, wenn in großer Nähe
der Kreisstadt eine andere liegt, welche für den Verkehr des Kreises gleiche Wich¬
tigkeit hat.

Die Concentration der Gemeinden in Kreise entwickelt Leben nach drei Rich¬
tungen. Zunächst tritt durch sie der Staat mit den Gemeinden in Verbindung,
Die Kreisstadt wird der Sitz des Kreisgerichts, des Steueramts, des militä¬
rischen Commando's, alle Rechtssachen, welche nicht in den Grenzen der Gemein¬
den selbst durch den Friedensrichter oder Delegirte des Kreisgerichts entschieden
werden können, finden hier ihre Erledigung (die Jury des Kreises); alle Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/96>, abgerufen am 22.07.2024.