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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wären vergeblich gewesen bei dem souveränen Volke, das diesen Abend ganz in
der Stimmung war, seine üble Laune an ewigen mißliebigen Personen auszulassen.
Bei der Dunkelheit des Abends und im Freien hätte die Sache auch Gefahr ge¬
habt. Als ein Redner bemerkte, der alte Oberst sei ein ehrlicher Mann, und
sich gewiß keines Unrechts bewußt gewesen, brüllte der Pöbel: solche Leute lobt
mer nich! Das Schönste war, daß man zuletzt alle Anwesenden zur Unterschrist
der Beschwerde zwingen wollte. Niemand hatte dagegen gestimmt, weil Niemand
überflüssiger Weise Prügel riskiren wollte. Aber wer will mich bei einer Volks¬
versammlung zwingen, Mithandelnder und nicht bloßer Zuschauer zu sein? Die
meisten wußten sich der Sache doch zu entziehen.

Bedauerlich war, daß der Vorstand des constitutionellen Vereins durch den
Anschein verletzter Gesetzlichkeit sich hatte dupiren lassen, an der Einladung zu die¬
ser Versammlung Theil zu nehmen. Wenn diese Vereine, die die moralische Stütze
der Regierung als Aufrechthalterin des Rechts sein sollen, sich fortwährend ver--
leiten lassen, unter dieser Firma dem Recht zu opponiren, so schaden sie mehr,
als die demokratischen, von denen doch Jeder weiß, wo sie hinaus wollen. Ein
Redner war über die Thorheit der Constitutionellen, sich in das Netz dieser So-
phistik der Gesetzlichkeit fallen zu lassen, so beglückt, daß er meinte, es sei wie wenn
verschiedene Konfessionen sich zu einem Gottesdienste, zum Cultus der gemein-
samen Göttin Volksfreiheit vereinigten.

Am folgenden Tage (Freitag den K. October) veränderte sich die Scene. Die
erstaunten Jenenser, die seit der Schlacht von >,80et höchstens etwas Infanterie
und hie und da einen weimarischen Kammerhusaren gesehen, fanden vor ihren
Thoren eine imposante Militärmacht. Das schöne sächsische Gardereiter-Regiment,
sächsische Artillerie, Schützen und Altenburgische Musketiere, im Ganzen etwa
.'MW Mann; für Jena imposant genug! Die Truppen stellten vor dem Ein¬
zug Vorposten aus. Es waren Gerüchte gekommen, daß sie auf heftige Wi¬
dersetzlichkeit, auf Barrikaden stoßen würden. Daran war nicht zu denken. Der
größte Theil der Bürger nahm sie mit unverhohlener Freude auf, daß man nun
vor Anarchie sicher sei; die andere mit naiver Neugier, nur wenige von den so¬
genannten Demokraten mit stiller Wuth. Am Morgen dieses Tages war ein
Placat erschienen: "Braves Landvolk von Thüringen! Laß die Sturm¬
glocken heulen, schwinge die Sensen und kämpfe für dieselbe Sache, für welche
deine Väter schon im Bauernkriege bluteten." Inzwischen hatte der Kreiöaus-
schuß der Demokraten Thüringens, d. h. Lafaurie und seine flüchtigen Trabanten,
eine bewaffnete Volksversammlung auf Sonntag den' 8. October ausgeschrieben.
Später wurden auch die Soldaten zur Theilnahme an derselben als an einem
Verbrüdernngsfeste eingeladen. Am Sonntag wurden indeß ti" Truppen, auf
dem Platze, wo die Volksversammlung sein sollte, zusammengezogen und die Ka¬
nonen aufgepflanzt. Die Versammlung war wieder abbestellt worden, aber das


wären vergeblich gewesen bei dem souveränen Volke, das diesen Abend ganz in
der Stimmung war, seine üble Laune an ewigen mißliebigen Personen auszulassen.
Bei der Dunkelheit des Abends und im Freien hätte die Sache auch Gefahr ge¬
habt. Als ein Redner bemerkte, der alte Oberst sei ein ehrlicher Mann, und
sich gewiß keines Unrechts bewußt gewesen, brüllte der Pöbel: solche Leute lobt
mer nich! Das Schönste war, daß man zuletzt alle Anwesenden zur Unterschrist
der Beschwerde zwingen wollte. Niemand hatte dagegen gestimmt, weil Niemand
überflüssiger Weise Prügel riskiren wollte. Aber wer will mich bei einer Volks¬
versammlung zwingen, Mithandelnder und nicht bloßer Zuschauer zu sein? Die
meisten wußten sich der Sache doch zu entziehen.

Bedauerlich war, daß der Vorstand des constitutionellen Vereins durch den
Anschein verletzter Gesetzlichkeit sich hatte dupiren lassen, an der Einladung zu die¬
ser Versammlung Theil zu nehmen. Wenn diese Vereine, die die moralische Stütze
der Regierung als Aufrechthalterin des Rechts sein sollen, sich fortwährend ver--
leiten lassen, unter dieser Firma dem Recht zu opponiren, so schaden sie mehr,
als die demokratischen, von denen doch Jeder weiß, wo sie hinaus wollen. Ein
Redner war über die Thorheit der Constitutionellen, sich in das Netz dieser So-
phistik der Gesetzlichkeit fallen zu lassen, so beglückt, daß er meinte, es sei wie wenn
verschiedene Konfessionen sich zu einem Gottesdienste, zum Cultus der gemein-
samen Göttin Volksfreiheit vereinigten.

Am folgenden Tage (Freitag den K. October) veränderte sich die Scene. Die
erstaunten Jenenser, die seit der Schlacht von >,80et höchstens etwas Infanterie
und hie und da einen weimarischen Kammerhusaren gesehen, fanden vor ihren
Thoren eine imposante Militärmacht. Das schöne sächsische Gardereiter-Regiment,
sächsische Artillerie, Schützen und Altenburgische Musketiere, im Ganzen etwa
.'MW Mann; für Jena imposant genug! Die Truppen stellten vor dem Ein¬
zug Vorposten aus. Es waren Gerüchte gekommen, daß sie auf heftige Wi¬
dersetzlichkeit, auf Barrikaden stoßen würden. Daran war nicht zu denken. Der
größte Theil der Bürger nahm sie mit unverhohlener Freude auf, daß man nun
vor Anarchie sicher sei; die andere mit naiver Neugier, nur wenige von den so¬
genannten Demokraten mit stiller Wuth. Am Morgen dieses Tages war ein
Placat erschienen: „Braves Landvolk von Thüringen! Laß die Sturm¬
glocken heulen, schwinge die Sensen und kämpfe für dieselbe Sache, für welche
deine Väter schon im Bauernkriege bluteten." Inzwischen hatte der Kreiöaus-
schuß der Demokraten Thüringens, d. h. Lafaurie und seine flüchtigen Trabanten,
eine bewaffnete Volksversammlung auf Sonntag den' 8. October ausgeschrieben.
Später wurden auch die Soldaten zur Theilnahme an derselben als an einem
Verbrüdernngsfeste eingeladen. Am Sonntag wurden indeß ti« Truppen, auf
dem Platze, wo die Volksversammlung sein sollte, zusammengezogen und die Ka¬
nonen aufgepflanzt. Die Versammlung war wieder abbestellt worden, aber das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/94>, abgerufen am 22.07.2024.