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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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meer zu einem deutschen zu machen, wenn wir alle Kräfte dahin richten; theilen
wir sie aber --- man vergesse nicht dies ungünstige Verhältniß des adriatischen
Meeres zur Ostsee, in Vergleich zu der günstigen und leichten Verbindung, in
der Frankreich seine beiden Flotten erhalten kann -- so werden wir zu nichts
Weiterem kommen, als, wie es den Schutzmännern in Berlin erging, unsere drei
Flotten dem Schutz wohlwollender Feinde anzuempfehlen. So kann durch Klein¬
heit ein Reich gewinnen, weil es sich dadurch concentrirt; Niederland ist für sich
allein weit reicher und mächtiger geworden, als es im Verein mit seinem Mutter¬
lande hätte geschehen können. Rhein, Weser, Elbe, Oder, Weichsel sind unsere
Ströme, sie weisen uns mit großer Bestimmtheit den Weg unserer productiven
Thätigkeit. Nur eine Kraft, die durch Begrenzung, durch Maaß eine Form sich
erwirbt, ist von Bestand; jedes Verschwimme" ins Allgemeine -- wozu wir Deut¬
schen nur allzu geneigt sind -- löst sie auf. Das geographische und das ethische
Moment muß die Basis des Staats sein, nicht die Romantik der Nationalität
oder gar die historischen Reminiscenzen des alten römischen Reichs, das als solches
immer ein schlechter und ohnmächtiger Staat gewesen U trotz seiner großen Kräfte.
Das alte Reich lasse man im Kyffhäuser, bis die Raben aufhören zu schreien ;
das neue Reich soll auf der soliden Basis der Einheit der Interessen aufgerichtet
werden.

Sie werden mir einwenden: ein solcher particularistischer Bau würde vielleicht
Billigung verdienen, wenn er aus dem Frischer angefangen werden könnte , er ist
aber bereits begonnen und in einem ganz andern Sinn. Das Frankfurter Par¬
lament ist der Grundpfeiler der deutschen Einheit, tastet ihr seine Voraussetzung,
das "Aufgehen," oder wie Sie sagen, die "innige Verbrüderung" Oestreichs an,
so unterwühlt ihr sein Fundament und stellt damit die Existenz Deutschlands von
Neuem in Frage. Darauf habe ich Folgendes zu erwiedern.

Es ist leider sehr richtig, daß man bei dem Beginn unserer Revolution einen
falschen Weg eingeschlagen hat. Anstatt sich vorläufig darauf zu beschränken, in
den einzelnen, historisch gegebenen Staaten die demokratischen Einrichtungen dnrch"
zuführen, in denen der Geist unserer Zeit sich allein befriedigen kann und auf
diese Organisation ein Föderativsystem freier Staaten aufzurichten, hat man die
Ungeduld des Herzens für eine politische Berechtigung angesehen und die Kuppel
des Gebäudes zum Fundament gemacht. Das Geschehene kann nicht ungeschehen
gemacht werden. Allerdings wird die Entfernung der östreichischen Deputirten
aus der Nationalversammlung, in der sie wenigstens in einer großen Majorität
eine segensreiche Wirksamkeit ausübten, unserer Sache einen schweren Schlag ge¬
ben. Wenn man sich aber erst von der Nothwendigkeit überzeugt hat, so ent¬
schließe man sich, das Unvermeidliche schnell zu thun. Jeder Aufschub zieht neue
Verwickelungen nach sich, jedes Weiterarbeiten auf einem problematischen Grunde
kann verhängnißvoll werden. In diesem Augenblick steht die Nationalversammlung


meer zu einem deutschen zu machen, wenn wir alle Kräfte dahin richten; theilen
wir sie aber —- man vergesse nicht dies ungünstige Verhältniß des adriatischen
Meeres zur Ostsee, in Vergleich zu der günstigen und leichten Verbindung, in
der Frankreich seine beiden Flotten erhalten kann — so werden wir zu nichts
Weiterem kommen, als, wie es den Schutzmännern in Berlin erging, unsere drei
Flotten dem Schutz wohlwollender Feinde anzuempfehlen. So kann durch Klein¬
heit ein Reich gewinnen, weil es sich dadurch concentrirt; Niederland ist für sich
allein weit reicher und mächtiger geworden, als es im Verein mit seinem Mutter¬
lande hätte geschehen können. Rhein, Weser, Elbe, Oder, Weichsel sind unsere
Ströme, sie weisen uns mit großer Bestimmtheit den Weg unserer productiven
Thätigkeit. Nur eine Kraft, die durch Begrenzung, durch Maaß eine Form sich
erwirbt, ist von Bestand; jedes Verschwimme» ins Allgemeine — wozu wir Deut¬
schen nur allzu geneigt sind — löst sie auf. Das geographische und das ethische
Moment muß die Basis des Staats sein, nicht die Romantik der Nationalität
oder gar die historischen Reminiscenzen des alten römischen Reichs, das als solches
immer ein schlechter und ohnmächtiger Staat gewesen U trotz seiner großen Kräfte.
Das alte Reich lasse man im Kyffhäuser, bis die Raben aufhören zu schreien ;
das neue Reich soll auf der soliden Basis der Einheit der Interessen aufgerichtet
werden.

Sie werden mir einwenden: ein solcher particularistischer Bau würde vielleicht
Billigung verdienen, wenn er aus dem Frischer angefangen werden könnte , er ist
aber bereits begonnen und in einem ganz andern Sinn. Das Frankfurter Par¬
lament ist der Grundpfeiler der deutschen Einheit, tastet ihr seine Voraussetzung,
das „Aufgehen," oder wie Sie sagen, die „innige Verbrüderung" Oestreichs an,
so unterwühlt ihr sein Fundament und stellt damit die Existenz Deutschlands von
Neuem in Frage. Darauf habe ich Folgendes zu erwiedern.

Es ist leider sehr richtig, daß man bei dem Beginn unserer Revolution einen
falschen Weg eingeschlagen hat. Anstatt sich vorläufig darauf zu beschränken, in
den einzelnen, historisch gegebenen Staaten die demokratischen Einrichtungen dnrch»
zuführen, in denen der Geist unserer Zeit sich allein befriedigen kann und auf
diese Organisation ein Föderativsystem freier Staaten aufzurichten, hat man die
Ungeduld des Herzens für eine politische Berechtigung angesehen und die Kuppel
des Gebäudes zum Fundament gemacht. Das Geschehene kann nicht ungeschehen
gemacht werden. Allerdings wird die Entfernung der östreichischen Deputirten
aus der Nationalversammlung, in der sie wenigstens in einer großen Majorität
eine segensreiche Wirksamkeit ausübten, unserer Sache einen schweren Schlag ge¬
ben. Wenn man sich aber erst von der Nothwendigkeit überzeugt hat, so ent¬
schließe man sich, das Unvermeidliche schnell zu thun. Jeder Aufschub zieht neue
Verwickelungen nach sich, jedes Weiterarbeiten auf einem problematischen Grunde
kann verhängnißvoll werden. In diesem Augenblick steht die Nationalversammlung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/61>, abgerufen am 01.07.2024.