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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wen führten, z. B. Schilling, der die Tschechen geradezu mit dem Schwert zu
den Frankfurter Wahlen bestimmen wollte und Sie werden finden, daß das Be¬
tragen der Tschechen zwar nicht entschuldigt, aber erklärt wird. Jetzt ist die Lage
anders. Die Tschechen haben den Weg des Gesetzes betreten, sie üben ihr Recht,
auf dem Reichstag zu stimmen, so gut aus, als die Deutschen. Die Majorität
des Reichstages scheint sich für die Regierung und für die Aufrechthaltung Oest¬
reichs zu entscheiden. Inwiefern eine solche Entscheidung aus das Bestehen des
deutschen Elementes mitwirken könnte, davon später. Die Linke, mit ihren Sym¬
pathien: für den Anschluß an Deutschland, setzt ihr allerdings noch lebhaften Wi¬
derstand entgegen; aber einen Widerstand der mehr und mehr seinen Inhalt ver¬
liert, und der daher mit der Zeit erlahmen muß.

Dieser Umstand erklärt sich aus der veränderten Haltung des deutschen Par¬
laments. Die Sympathieen der Wiener Demokraten waren für die Linke. Sie
gingen nicht gerade aus einer bestimmten Ansicht von derselben hervor, sondern aus
dem unbestimmten Gefühl, "daß links das Herz schlägt" u. tgi. mehr, lesen Sie
einen beliebigen Almanach nach. Arnold Rüge, mein Bruder in Hegel, der im
Anfang für die Tschechen schwärmte, weil sie gegen die "aus niederträchtigen Be¬
amten" und tgi. zusammengesetzten Deutschen in Böhmen auftraten, gerade wie in
Posen, konnte sich vor Staunen nicht erholen, als in Wien seine Freunde sich
auf die rechte Seite setzten; Fröbel schrieb von Wien aus, man müsse nun die
Deutschen stützen. Aber seit der Zeit hat es sich einerseits gezeigt, daß die Pauls-
kirche von dieser Linken nichts wissen will; andererseits hat sich die Linke vor der
öffentlichen Meinung so discreditirt, daß auch die abstracte Wiener Sympathie sich
aliena'lig in sich selbst verzehren muß. Wien ist noch im Allgemeinen deutsch ge¬
sinnt, aber die Bestimmtheit dieser Gesinnung -- die Aufmerksamkeit, welche man der
Frankfurter Entwickelung schenkt, hat sich absorbirt in dem näher liegenden Interesse
für den Wiener Reichstag. Noch wirft man es der Beschaffenheit des deutschen Parla¬
ments vor, bald wird man aber dahinter kommen, daß es in der Natur der Sache
liegt, daß auch bei dem besten Willen von Frankfurt aus kein Heil für Oestreich
sich erwarten läßt.

Den Ausschlag für diesen Umsturz hat Ungarn gegeben. Die Wiener De¬
mokraten waren für die Magyaren, theils weil es ein nobles Volk ist, nobler als
die übrigen Völkerschaften der östreichischen Rebenlaube, theils weil die beiderseiti¬
gen Interessen Hand in Hand gingen -- Trennung des Kaiserstaats. Ich liebe
diese ritterliche Nation, aber ich bin nicht blind gegen ihre Verirrung; ich kann
nicht übersehen, daß sie zweierlei aus deu Augen gesetzt hat: Gerechtigkeit gegen
Oestreich und Gerechtigkeit gegen ihre Nebenvölker, die Slaven und Deutschen.
Denselben Fehler haben ihre demokratischen Verbündeten begangen, die, wie ge¬
wöhnlich, der Sache nur den einen Gesichtspunkt abgewannen. Die unselige
Halbheit des östreichischen Cabinets hat das alte Metternich'sche Jntriguenspiel,


wen führten, z. B. Schilling, der die Tschechen geradezu mit dem Schwert zu
den Frankfurter Wahlen bestimmen wollte und Sie werden finden, daß das Be¬
tragen der Tschechen zwar nicht entschuldigt, aber erklärt wird. Jetzt ist die Lage
anders. Die Tschechen haben den Weg des Gesetzes betreten, sie üben ihr Recht,
auf dem Reichstag zu stimmen, so gut aus, als die Deutschen. Die Majorität
des Reichstages scheint sich für die Regierung und für die Aufrechthaltung Oest¬
reichs zu entscheiden. Inwiefern eine solche Entscheidung aus das Bestehen des
deutschen Elementes mitwirken könnte, davon später. Die Linke, mit ihren Sym¬
pathien: für den Anschluß an Deutschland, setzt ihr allerdings noch lebhaften Wi¬
derstand entgegen; aber einen Widerstand der mehr und mehr seinen Inhalt ver¬
liert, und der daher mit der Zeit erlahmen muß.

Dieser Umstand erklärt sich aus der veränderten Haltung des deutschen Par¬
laments. Die Sympathieen der Wiener Demokraten waren für die Linke. Sie
gingen nicht gerade aus einer bestimmten Ansicht von derselben hervor, sondern aus
dem unbestimmten Gefühl, „daß links das Herz schlägt" u. tgi. mehr, lesen Sie
einen beliebigen Almanach nach. Arnold Rüge, mein Bruder in Hegel, der im
Anfang für die Tschechen schwärmte, weil sie gegen die „aus niederträchtigen Be¬
amten" und tgi. zusammengesetzten Deutschen in Böhmen auftraten, gerade wie in
Posen, konnte sich vor Staunen nicht erholen, als in Wien seine Freunde sich
auf die rechte Seite setzten; Fröbel schrieb von Wien aus, man müsse nun die
Deutschen stützen. Aber seit der Zeit hat es sich einerseits gezeigt, daß die Pauls-
kirche von dieser Linken nichts wissen will; andererseits hat sich die Linke vor der
öffentlichen Meinung so discreditirt, daß auch die abstracte Wiener Sympathie sich
aliena'lig in sich selbst verzehren muß. Wien ist noch im Allgemeinen deutsch ge¬
sinnt, aber die Bestimmtheit dieser Gesinnung — die Aufmerksamkeit, welche man der
Frankfurter Entwickelung schenkt, hat sich absorbirt in dem näher liegenden Interesse
für den Wiener Reichstag. Noch wirft man es der Beschaffenheit des deutschen Parla¬
ments vor, bald wird man aber dahinter kommen, daß es in der Natur der Sache
liegt, daß auch bei dem besten Willen von Frankfurt aus kein Heil für Oestreich
sich erwarten läßt.

Den Ausschlag für diesen Umsturz hat Ungarn gegeben. Die Wiener De¬
mokraten waren für die Magyaren, theils weil es ein nobles Volk ist, nobler als
die übrigen Völkerschaften der östreichischen Rebenlaube, theils weil die beiderseiti¬
gen Interessen Hand in Hand gingen — Trennung des Kaiserstaats. Ich liebe
diese ritterliche Nation, aber ich bin nicht blind gegen ihre Verirrung; ich kann
nicht übersehen, daß sie zweierlei aus deu Augen gesetzt hat: Gerechtigkeit gegen
Oestreich und Gerechtigkeit gegen ihre Nebenvölker, die Slaven und Deutschen.
Denselben Fehler haben ihre demokratischen Verbündeten begangen, die, wie ge¬
wöhnlich, der Sache nur den einen Gesichtspunkt abgewannen. Die unselige
Halbheit des östreichischen Cabinets hat das alte Metternich'sche Jntriguenspiel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/58>, abgerufen am 22.07.2024.