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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wollte den Ruhm der östreichischen Fahnen wiederherstellen und einen ehrenvollen
Frieden erkämpfen. So sprachen die Wortführer der liberalen Partei. Bei der
Blockade von Trieft fand die deutsche Centralgewalt Gelegenheit, Oestreich wirksam
zu Hilfe zu kommen. In Frankfurt fing man an, den strategischen Gesichtspunkt
ins Auge zu fassen; Herr v. Radowitz, dessen militärischer Ruf in solchen Fällen
regelmäßig die Majorität der Versammlung mit sich reißt, erklärte den Besitz von
Venedig und der Minciolinie für unentbehrlich zur Vertheidigung Deutschlands.
Die Wiener ließen sich das gern gesagt sein. Aber die Siege RadetMs verän¬
derten diese Stimmung von Grund aus. Man überlegte, daß eine Freilassung
der Lombardei zu nichts anderem führen würde, als zu einer französischen Hege¬
monie in Italien. Man sah keinen Grund mehr, herauszugeben, was mau recht¬
mäßig "besitze". Die Antipathie der Wiener Demokraten gegen die Armee fand
keinen Anklang mehr im Volke. Die französische Regierung trat bei ihrer Ver¬
mittelung nicht mit der Energie auf, die man bei ihr vorauszusetzen geneigt war;
man faßte den in einem revolutionären Zeitalter anerkennenswerther Muth, wieder
auf die Wiener Verträge zurückzugehen. Der neueste Erlaß Ihrer Negierung spricht
es unumwunden aus, man wolle die italienischen Provinzen behalten, ihnen aber
eine freie, auf ihre nationale Eigenthümlichkeit gegründete Verfassung geben.
Unter diesen Umständen wäre es allerdings denkbar, daß die Lombardei Oestreich
erhalten bliebe, vielleicht wäre es für die Lombarden selbst, wenn sie nicht die
Romantik ihrer Nationalität reeller Freiheit vorziehen, die günstigste Entscheidung.
Aber um so bestimmter muß man es festhalten, daß ein solcher Besitz eines reichen,
bevölkerten, gesegneten Landstrichs, dessen Sicherung bei aller freien Verfassung
stets eine bedeutende Armee erheischt, und der zu tausend politischen Verwicke¬
lungen Anlaß geben kann, Oestreich unfähig macht, in Deutschland aufzugehen.
Der Besitz Italiens ist ein wesentliches Gewicht zu Gunsten der kaiserlichen Partei.

Das zweite ist der Wiener Reichstag. Vor seiner Berufung war die Auf¬
merksamkeit der jungen Politiker mehr nach Frankfurt gewendet, als nach Wien;
seitdem aber hat man die Paulskirche mehr und mehr aus den Augen verloren.-
Es ist ganz natürlich. Zwar bietet der Reichstag, wenn man es ans parlamen¬
tarischen Tact, Entwickelung von Esprit und Pathos, selbst auf die Entfaltung
einer gesunden, klaren, ihrer selbst gewissen Politik absieht, nicht eben ein erfreu¬
liches Bild; aber die Interessen, um die es sich hier handelt, sind doch unendlich
viel wichtiger, und stehen dem Volke unendlich näher, als Alles, was in der
Paulskirche Gegenstand der Debatte werden kann. Man trägt sich gern mit idea¬
listischen Plänen, wenn die Gegenwart nicht drängt, oder wenn man für den
Augenblick keinen Weg absieht, sich unmittelbar zu realisiren; sobald aber die Zeit
da ist, fliegt der idealistische Ballast bei Seite, und die Prosa, d. h. der Ver¬
stand des Lebens, tritt in ihr Recht. Die Reorganisation der agrarischen Gesetz¬
gebung, die Umgestaltung des Finanzwesens und die Herstellung einer autonomen


wollte den Ruhm der östreichischen Fahnen wiederherstellen und einen ehrenvollen
Frieden erkämpfen. So sprachen die Wortführer der liberalen Partei. Bei der
Blockade von Trieft fand die deutsche Centralgewalt Gelegenheit, Oestreich wirksam
zu Hilfe zu kommen. In Frankfurt fing man an, den strategischen Gesichtspunkt
ins Auge zu fassen; Herr v. Radowitz, dessen militärischer Ruf in solchen Fällen
regelmäßig die Majorität der Versammlung mit sich reißt, erklärte den Besitz von
Venedig und der Minciolinie für unentbehrlich zur Vertheidigung Deutschlands.
Die Wiener ließen sich das gern gesagt sein. Aber die Siege RadetMs verän¬
derten diese Stimmung von Grund aus. Man überlegte, daß eine Freilassung
der Lombardei zu nichts anderem führen würde, als zu einer französischen Hege¬
monie in Italien. Man sah keinen Grund mehr, herauszugeben, was mau recht¬
mäßig „besitze". Die Antipathie der Wiener Demokraten gegen die Armee fand
keinen Anklang mehr im Volke. Die französische Regierung trat bei ihrer Ver¬
mittelung nicht mit der Energie auf, die man bei ihr vorauszusetzen geneigt war;
man faßte den in einem revolutionären Zeitalter anerkennenswerther Muth, wieder
auf die Wiener Verträge zurückzugehen. Der neueste Erlaß Ihrer Negierung spricht
es unumwunden aus, man wolle die italienischen Provinzen behalten, ihnen aber
eine freie, auf ihre nationale Eigenthümlichkeit gegründete Verfassung geben.
Unter diesen Umständen wäre es allerdings denkbar, daß die Lombardei Oestreich
erhalten bliebe, vielleicht wäre es für die Lombarden selbst, wenn sie nicht die
Romantik ihrer Nationalität reeller Freiheit vorziehen, die günstigste Entscheidung.
Aber um so bestimmter muß man es festhalten, daß ein solcher Besitz eines reichen,
bevölkerten, gesegneten Landstrichs, dessen Sicherung bei aller freien Verfassung
stets eine bedeutende Armee erheischt, und der zu tausend politischen Verwicke¬
lungen Anlaß geben kann, Oestreich unfähig macht, in Deutschland aufzugehen.
Der Besitz Italiens ist ein wesentliches Gewicht zu Gunsten der kaiserlichen Partei.

Das zweite ist der Wiener Reichstag. Vor seiner Berufung war die Auf¬
merksamkeit der jungen Politiker mehr nach Frankfurt gewendet, als nach Wien;
seitdem aber hat man die Paulskirche mehr und mehr aus den Augen verloren.-
Es ist ganz natürlich. Zwar bietet der Reichstag, wenn man es ans parlamen¬
tarischen Tact, Entwickelung von Esprit und Pathos, selbst auf die Entfaltung
einer gesunden, klaren, ihrer selbst gewissen Politik absieht, nicht eben ein erfreu¬
liches Bild; aber die Interessen, um die es sich hier handelt, sind doch unendlich
viel wichtiger, und stehen dem Volke unendlich näher, als Alles, was in der
Paulskirche Gegenstand der Debatte werden kann. Man trägt sich gern mit idea¬
listischen Plänen, wenn die Gegenwart nicht drängt, oder wenn man für den
Augenblick keinen Weg absieht, sich unmittelbar zu realisiren; sobald aber die Zeit
da ist, fliegt der idealistische Ballast bei Seite, und die Prosa, d. h. der Ver¬
stand des Lebens, tritt in ihr Recht. Die Reorganisation der agrarischen Gesetz¬
gebung, die Umgestaltung des Finanzwesens und die Herstellung einer autonomen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/56>, abgerufen am 22.07.2024.