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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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entschieden. Die neue östreichische Regierung IM ein solches Ansinnen, so wie
überhaupt jede äußere Einwirkung auf die Feststellung der östreichischen Staats-
verhältnisse, entschieden zurückgewiesen, und es wäre bei dieser Entscheidung, für
welche Oestreich seiner Regierung in jeder Weise dankbar sein kann, nur zu ver¬
wundern, wie die östreichischen Deputirten noch immer keinen Anstand nehmen,
an der Berathung über die neue deutsche Verfassung sich zu betheiligen. Ich bin
auch überzeugt, daß Stadion nicht gezögert haben würde, durch eine Abberufung
derselben kurzweg die Sache zu erledigen, wenn ihn nicht die Hoffnung zurück¬
hielte, eine für Oestreich ungleich günstigere Entscheidung hervorzurufen. Diese
Entscheidung bestünde darin, daß Oestreich zwar die Verpflichtungen der übrigen
Bundesglieder in ihrem vollen Umfang nicht theilen dürfe, wohl aber ihre Rechte.

Wie es möglich ist, an eine solche Entscheidung auch nur denken zu können,
davon, hochgeehrter Herr, brauche ich Ihnen den Grund wohl nicht erst anzugeben.
Jede beliebige Spalte eines süddeutschen Blattes kann Sie darüber aufklären. Der
Baier will gern in Deutschland aufgehen, vorausgesetzt, daß Deutschland Baiern
werde, der Würtenberger gleichfalls u. s. w. So hat sich die wunderbare An¬
sicht herausgebildet, das Bestehen der kleinern Staaten sei zwar zur Einheit
Deutschlands wesentlich nothwendig, dagegen müsse man die großen Staaten zer¬
stückeln, um das Gleichgewicht herzustellen, und da sich diese gutwillig dazu nicht
herzugeben scheinen, so müsse man einen durch den andern paralystren. Man will
es mit Oestreich halten, um Preußen den Vorrang nicht lassen zu dürfen.

Das Project, die erbläudischen Provinzen Oestreichs durch Ablösung dersel¬
ben von den Nebenläudern mit dem Reich zu vereinigen, ist jetzt wohl auch von
den leidenschaftlichsten Verfechtern der Kei-wimm una et inckvisibilis als unaus¬
führbar aufgegeben. Der Wunsch, sie dennoch in die deutsche Staatseinheit auf¬
zunehmen, so weit er sich nicht blos in unarticulirteu Gefühlsäußerungen aus¬
tobt, erscheint in zwei Versionen.

Die eine war in dem Kaiser'schen Amendement ausgesprochen. Oestreich
gehört zum Reich, es behält aber zugleich seine Souveränität, welche die übrigen
Staaten dem Reich opfern müssen. Bestimmter formulirt: Oestreich sendet seine
Deputirten zum Neichsparlameut, ob es aber die Beschlüsse desselben für bindend
erachtet, hängt von seinem jedesmaligen Ermessen ab. Die bisherigen Neichs-
minister v. Schmerling und v. Würth scheinen von dieser Ansicht ausgegan¬
gen zu sein.

Die zweite knüpft sich an einen großen Namen, an Heinrich v. Gagern.
Sie ist weniger klar als die vorige, doch scheint sie auf einen Föderativstaat her¬
auszukommen, der aus zwei Föderativstaaten, Deutschland und Oestreich zusammen¬
gesetzt ist').



*) Anm. Indem mir so eben das Programm des Ministeriums Gagern vorliegt, sehe ich
mich veranlaßt, diesem verehrten Mann öffentlich Abbitte zu leisten. Es ist eben so klar und

entschieden. Die neue östreichische Regierung IM ein solches Ansinnen, so wie
überhaupt jede äußere Einwirkung auf die Feststellung der östreichischen Staats-
verhältnisse, entschieden zurückgewiesen, und es wäre bei dieser Entscheidung, für
welche Oestreich seiner Regierung in jeder Weise dankbar sein kann, nur zu ver¬
wundern, wie die östreichischen Deputirten noch immer keinen Anstand nehmen,
an der Berathung über die neue deutsche Verfassung sich zu betheiligen. Ich bin
auch überzeugt, daß Stadion nicht gezögert haben würde, durch eine Abberufung
derselben kurzweg die Sache zu erledigen, wenn ihn nicht die Hoffnung zurück¬
hielte, eine für Oestreich ungleich günstigere Entscheidung hervorzurufen. Diese
Entscheidung bestünde darin, daß Oestreich zwar die Verpflichtungen der übrigen
Bundesglieder in ihrem vollen Umfang nicht theilen dürfe, wohl aber ihre Rechte.

Wie es möglich ist, an eine solche Entscheidung auch nur denken zu können,
davon, hochgeehrter Herr, brauche ich Ihnen den Grund wohl nicht erst anzugeben.
Jede beliebige Spalte eines süddeutschen Blattes kann Sie darüber aufklären. Der
Baier will gern in Deutschland aufgehen, vorausgesetzt, daß Deutschland Baiern
werde, der Würtenberger gleichfalls u. s. w. So hat sich die wunderbare An¬
sicht herausgebildet, das Bestehen der kleinern Staaten sei zwar zur Einheit
Deutschlands wesentlich nothwendig, dagegen müsse man die großen Staaten zer¬
stückeln, um das Gleichgewicht herzustellen, und da sich diese gutwillig dazu nicht
herzugeben scheinen, so müsse man einen durch den andern paralystren. Man will
es mit Oestreich halten, um Preußen den Vorrang nicht lassen zu dürfen.

Das Project, die erbläudischen Provinzen Oestreichs durch Ablösung dersel¬
ben von den Nebenläudern mit dem Reich zu vereinigen, ist jetzt wohl auch von
den leidenschaftlichsten Verfechtern der Kei-wimm una et inckvisibilis als unaus¬
führbar aufgegeben. Der Wunsch, sie dennoch in die deutsche Staatseinheit auf¬
zunehmen, so weit er sich nicht blos in unarticulirteu Gefühlsäußerungen aus¬
tobt, erscheint in zwei Versionen.

Die eine war in dem Kaiser'schen Amendement ausgesprochen. Oestreich
gehört zum Reich, es behält aber zugleich seine Souveränität, welche die übrigen
Staaten dem Reich opfern müssen. Bestimmter formulirt: Oestreich sendet seine
Deputirten zum Neichsparlameut, ob es aber die Beschlüsse desselben für bindend
erachtet, hängt von seinem jedesmaligen Ermessen ab. Die bisherigen Neichs-
minister v. Schmerling und v. Würth scheinen von dieser Ansicht ausgegan¬
gen zu sein.

Die zweite knüpft sich an einen großen Namen, an Heinrich v. Gagern.
Sie ist weniger klar als die vorige, doch scheint sie auf einen Föderativstaat her¬
auszukommen, der aus zwei Föderativstaaten, Deutschland und Oestreich zusammen¬
gesetzt ist').



*) Anm. Indem mir so eben das Programm des Ministeriums Gagern vorliegt, sehe ich
mich veranlaßt, diesem verehrten Mann öffentlich Abbitte zu leisten. Es ist eben so klar und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/499>, abgerufen am 22.07.2024.