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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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früh, oder -- zu spät einzutreten. Er darf sich dieser Gefahr nicht entziehen.
Die Verwirrung zu lösen, oder auch nur ihrer natürlichen Lösung den Weg zu
bahnen, bedarf es weniger Kraft, als Credit. Zu sehn, was Noth thut, bedarf
es uicht besonders Heller Augen; aber um das Gefühl empfänglich zu machen für
das, was der Verstand leicht begreift, ist eine Autorität nöthig, die Vertrauen
hat. Deutschland muß zusammenhalten, weil es nur gemeinsam die Hemmnisse
seines Handels, seiner Industrie heben, nur gemeinsam die überall herandrohenden
Wetterwolken des Kriegs beschwören kann. Eine improvisirte Macht kann diese
Einheit nicht geben, soviel hat ans der bisherigen Entwickelung unserer Revolution
jeder begriffen; die Gelüste nach Theilung der großen Staaten sind nur noch leere
Reminiscenzen einer bereits überwundenen Stimmung. Nur in dem festeren An¬
einanderfügen bereits gegebener staatlicher Organisationen realistrt sich die Idee
Deutschlands. Der Schwerpunkt dieses Gefüges kann nur dahin fallen, wo durch
die Geschichte bereits ein größerer politischer Blick gewonnen ist. Ueber die Noth¬
wendigkeit einer preußischen Hegemonie ist kein Knabe mehr in Zweifel. Was
hilft es? Man sieht es ein, aber man will es nicht glauben, das Herz sträubt
sich dagegen; das baiersche, das katholische, das süddeutsche, das sächsische, das
hannöversche, selbst das reuß-schleiz-greiz-lobensteinsche Herz. Darum diese un¬
endliche Kraftanstrengung, so fragt man, um endlich unter dem Schutz des preußi¬
schen Corporalstocks auszuruhn?

In diesem Conflict des Gefühls und des Verstandes ist man rathlos; man
greift zu dem wunderlichsten Ausweg. Man möchte wieder mit Oestreich anknü¬
pfen , allenfalls auf Kosten seiner Lieblingsidee, des einheitlichen Staats, die man
mit so großer Aufopferung gepflegt hat. Aber Oestreich hat jetzt seine Staats¬
männer gefunden, die sein wahres Interesse erkennen; das alte diplomatische
Schaukelsystem hört auf, wo Männer am Ruder sitzen. So ist man zuletzt ans
den naiven Einfall gekommen, dem Loose zu überlassen, wer Deutschlands Ge¬
schicke leiten soll.

Die Aufgabe der neuen Regierung ist, das Unvermeidliche mit Schonung
auszuführen. Auch der neue Zustand wird ein Provisorium sein. Das Staaten-
Haus hat eben so wenig eine Zukunft, als das, den Parlamenten der einzelnen
Staaten entgegengesetzte Volkshaus. Unter keinen Umständen darf diesem Provi¬
sorium durch eine symbolische Handlung -- etwa die Uebertragung einer Kaiser¬
krone -- der Anschein ewiger Dauer gegeben werden; durch diesen Anschein würden
die nur als Uebergaugsstufe begreiflichen, haltlosen und widersprechenden Zustände
unerträglich.

Was geschehen muß und geschehen kann, haben wir bereits ausgesprochen,
ehe noch die Frankfurter Versammlung zu Stande kam. Die Centralgewalt hat
die Aufgabe, das Kriegs-, Zoll- und Handelswesen des Reichs zu ordnen und
die Verfassung der Einzelstaaten zu garantiren. Diese Geschäfte -- wozu die Er-


früh, oder — zu spät einzutreten. Er darf sich dieser Gefahr nicht entziehen.
Die Verwirrung zu lösen, oder auch nur ihrer natürlichen Lösung den Weg zu
bahnen, bedarf es weniger Kraft, als Credit. Zu sehn, was Noth thut, bedarf
es uicht besonders Heller Augen; aber um das Gefühl empfänglich zu machen für
das, was der Verstand leicht begreift, ist eine Autorität nöthig, die Vertrauen
hat. Deutschland muß zusammenhalten, weil es nur gemeinsam die Hemmnisse
seines Handels, seiner Industrie heben, nur gemeinsam die überall herandrohenden
Wetterwolken des Kriegs beschwören kann. Eine improvisirte Macht kann diese
Einheit nicht geben, soviel hat ans der bisherigen Entwickelung unserer Revolution
jeder begriffen; die Gelüste nach Theilung der großen Staaten sind nur noch leere
Reminiscenzen einer bereits überwundenen Stimmung. Nur in dem festeren An¬
einanderfügen bereits gegebener staatlicher Organisationen realistrt sich die Idee
Deutschlands. Der Schwerpunkt dieses Gefüges kann nur dahin fallen, wo durch
die Geschichte bereits ein größerer politischer Blick gewonnen ist. Ueber die Noth¬
wendigkeit einer preußischen Hegemonie ist kein Knabe mehr in Zweifel. Was
hilft es? Man sieht es ein, aber man will es nicht glauben, das Herz sträubt
sich dagegen; das baiersche, das katholische, das süddeutsche, das sächsische, das
hannöversche, selbst das reuß-schleiz-greiz-lobensteinsche Herz. Darum diese un¬
endliche Kraftanstrengung, so fragt man, um endlich unter dem Schutz des preußi¬
schen Corporalstocks auszuruhn?

In diesem Conflict des Gefühls und des Verstandes ist man rathlos; man
greift zu dem wunderlichsten Ausweg. Man möchte wieder mit Oestreich anknü¬
pfen , allenfalls auf Kosten seiner Lieblingsidee, des einheitlichen Staats, die man
mit so großer Aufopferung gepflegt hat. Aber Oestreich hat jetzt seine Staats¬
männer gefunden, die sein wahres Interesse erkennen; das alte diplomatische
Schaukelsystem hört auf, wo Männer am Ruder sitzen. So ist man zuletzt ans
den naiven Einfall gekommen, dem Loose zu überlassen, wer Deutschlands Ge¬
schicke leiten soll.

Die Aufgabe der neuen Regierung ist, das Unvermeidliche mit Schonung
auszuführen. Auch der neue Zustand wird ein Provisorium sein. Das Staaten-
Haus hat eben so wenig eine Zukunft, als das, den Parlamenten der einzelnen
Staaten entgegengesetzte Volkshaus. Unter keinen Umständen darf diesem Provi¬
sorium durch eine symbolische Handlung — etwa die Uebertragung einer Kaiser¬
krone — der Anschein ewiger Dauer gegeben werden; durch diesen Anschein würden
die nur als Uebergaugsstufe begreiflichen, haltlosen und widersprechenden Zustände
unerträglich.

Was geschehen muß und geschehen kann, haben wir bereits ausgesprochen,
ehe noch die Frankfurter Versammlung zu Stande kam. Die Centralgewalt hat
die Aufgabe, das Kriegs-, Zoll- und Handelswesen des Reichs zu ordnen und
die Verfassung der Einzelstaaten zu garantiren. Diese Geschäfte — wozu die Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/497>, abgerufen am 22.07.2024.