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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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tisch doctrinären, wie sie sich seit Genz' Zeiten in dem verknöcherten System des
alten Staatskanzlers festgesetzt hatte, sondern der praktisch bedächtigen, welche die
ursprüngliche Grundlage des Metternich'schen Gouvernements war. Zuerst galt
es, dem aufbrausenden, unklaren Freiheitsdrang der Völker mit schonender Be¬
sonnenheit entgegenzukommen. Damals trat die Opposition als compacte Masse
den Regierungen gegenüber. Die Idee des Einen Deutschlands wurde wie ein
Keil in die Fugen des alten Staatswesens getrieben, um es vollends auseinan-
zureißen. Der Bundestag, als die centralisirte Macht der Regierungen, gab
überall uach, er sanctionirte die Einberufung der Nationalversammlung, er gab
sich zum Briefträger des Fünfziger-Ausschusses an die einzelnen Staaten her.
Wenn früher die einzelnen Regierungen, um dem Verlangen ihrer Völker nicht
nachzugeben, mit Achselzucken auf den Bundestag hingewiesen hatten, so kehrte sich
jetzt das Verhältniß um; der Bundestag erklärte sich zu Allem bereit, was das Volk
irgend wünsche, aber -- die Staaten wollten sich nicht fügen. In der National¬
versammlung war die Aufgabe schwieriger; es galt hier, in dem Erzeugniß der
Revolution selbst das conservative Princip geltend zu machen. Noch bei der Be¬
rathung über die provisorische Centralgewalt war die Revolution mächtig genug
über die Geister, den Anschlag der Regierungen, den Bundestag durch Reduction
auf drei Vertreter mit scheinbarem Eingehn auf die neuen Ideen dem Wesen nach
zu kräftigerer Wirksamkeit zu bringen, an der Wahl des Reichsverwesers scheitern
zu lassen. Die Nationalversammlung becretirte die Auflösung des Bundestages
und glaubte, in dem Reichsverweser die Jncarnation ihres eigenen Willens den
Regierungen gegenüber zu besitzen; der Bundestag erklärte sich durch Schmerling
gleichfalls für aufgelöst und übertrug seine Machtvollkommenheit der neuen Cen¬
tralgewalt. Die revolutionäre Partei war mit ihrer eigenen Waffe geschlagen und
Oestreichs Politik feierte einen doppelten Triumph; es behauptete seine Hegemo¬
nie in Deutschland und zugleich seine Unabhängigkeit gegen die Uebcrgnffe des
Reichs. Ohne eine Stimme in der italienischen Frage zu haben, legte bei der
Blokade von Trieft das Reich seine Stimme zu Gunsten Oestreichs in die Waag¬
schale. Die östreichischen Deputirten stimmten mit über die deutschen Angelegen¬
heiten, und verpflichteten sämmtliche deutsche Staaten, den Neichsbeschlüsftn zu
gehorchen; Oestreich entzog sich diesem Gehorsam. Man ließ Preußen sich durch den
Waffenstillstand von Malmoe compromittiren, und nahm ihn dann bedauernd als s-ut
itccomsili hin, weil er nach dem Nechtsprincip, welches man von östreichischer
Seite nicht aufgeben konnte -- der fortdauernden Souveränität der einzelnen Bun¬
desstaaten -- nicht wohl anders ausfallen konnte. Man benutzte die Excesse der
revolutionären Partei, um von Seite der Centralgewalt dieselbe Controle zu üben,
die früher dem Bundestag zugefallen war.

Ich suche bei Schmerling keinen vorher überlegten Plan. Die Ereignisse wa¬
ren nicht vorher zu berechnen. Schmerling ist kein schöpferisches Genie, aber er


tisch doctrinären, wie sie sich seit Genz' Zeiten in dem verknöcherten System des
alten Staatskanzlers festgesetzt hatte, sondern der praktisch bedächtigen, welche die
ursprüngliche Grundlage des Metternich'schen Gouvernements war. Zuerst galt
es, dem aufbrausenden, unklaren Freiheitsdrang der Völker mit schonender Be¬
sonnenheit entgegenzukommen. Damals trat die Opposition als compacte Masse
den Regierungen gegenüber. Die Idee des Einen Deutschlands wurde wie ein
Keil in die Fugen des alten Staatswesens getrieben, um es vollends auseinan-
zureißen. Der Bundestag, als die centralisirte Macht der Regierungen, gab
überall uach, er sanctionirte die Einberufung der Nationalversammlung, er gab
sich zum Briefträger des Fünfziger-Ausschusses an die einzelnen Staaten her.
Wenn früher die einzelnen Regierungen, um dem Verlangen ihrer Völker nicht
nachzugeben, mit Achselzucken auf den Bundestag hingewiesen hatten, so kehrte sich
jetzt das Verhältniß um; der Bundestag erklärte sich zu Allem bereit, was das Volk
irgend wünsche, aber — die Staaten wollten sich nicht fügen. In der National¬
versammlung war die Aufgabe schwieriger; es galt hier, in dem Erzeugniß der
Revolution selbst das conservative Princip geltend zu machen. Noch bei der Be¬
rathung über die provisorische Centralgewalt war die Revolution mächtig genug
über die Geister, den Anschlag der Regierungen, den Bundestag durch Reduction
auf drei Vertreter mit scheinbarem Eingehn auf die neuen Ideen dem Wesen nach
zu kräftigerer Wirksamkeit zu bringen, an der Wahl des Reichsverwesers scheitern
zu lassen. Die Nationalversammlung becretirte die Auflösung des Bundestages
und glaubte, in dem Reichsverweser die Jncarnation ihres eigenen Willens den
Regierungen gegenüber zu besitzen; der Bundestag erklärte sich durch Schmerling
gleichfalls für aufgelöst und übertrug seine Machtvollkommenheit der neuen Cen¬
tralgewalt. Die revolutionäre Partei war mit ihrer eigenen Waffe geschlagen und
Oestreichs Politik feierte einen doppelten Triumph; es behauptete seine Hegemo¬
nie in Deutschland und zugleich seine Unabhängigkeit gegen die Uebcrgnffe des
Reichs. Ohne eine Stimme in der italienischen Frage zu haben, legte bei der
Blokade von Trieft das Reich seine Stimme zu Gunsten Oestreichs in die Waag¬
schale. Die östreichischen Deputirten stimmten mit über die deutschen Angelegen¬
heiten, und verpflichteten sämmtliche deutsche Staaten, den Neichsbeschlüsftn zu
gehorchen; Oestreich entzog sich diesem Gehorsam. Man ließ Preußen sich durch den
Waffenstillstand von Malmoe compromittiren, und nahm ihn dann bedauernd als s-ut
itccomsili hin, weil er nach dem Nechtsprincip, welches man von östreichischer
Seite nicht aufgeben konnte — der fortdauernden Souveränität der einzelnen Bun¬
desstaaten — nicht wohl anders ausfallen konnte. Man benutzte die Excesse der
revolutionären Partei, um von Seite der Centralgewalt dieselbe Controle zu üben,
die früher dem Bundestag zugefallen war.

Ich suche bei Schmerling keinen vorher überlegten Plan. Die Ereignisse wa¬
ren nicht vorher zu berechnen. Schmerling ist kein schöpferisches Genie, aber er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/495>, abgerufen am 25.12.2024.