Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sind im "grünen Baum," darum sollen Sie mich als stiller Beobachter in ihre
Mitte begleiten; ich hoffe, wir finden die Herren alle beisammen.

Doch, ehe wir eintreten, mache ich Sie aus jene beiden Männer aufmerksam,
die dort absichtlich sich im Schatten halten und von Zeit zu Zeit an die Gasthos¬
fenster schleichen, um durch deren Ritzen in das erleuchtete Zimmer zu spähen.
Das sind "Unentschiedene"; Abgeordnete, die von Natur und Fähigkeit angewiesen
sind, auf der äußersten Rechten als stumme Pagoden zu sitzen, welche nur mit
dem Kopf zu nicken brauchen, wenn Vincke ja sagt, die aber ein falscher Wind
auf die äußerste Linke geweht hat. Da sitzen sie nun, wie auf eisernem Stuhle,
unter welchem ein Feuer glüht, ewig mit sich selbst und ihren Mandanten im
Streit, wissen sie nie, wohin sich wenden, bei jeder Abstimmung schwitzen sie
Blut, besonders wenn sie einen Bekannten auf der Zuschauergallerie erblicken --
kurz, sie sind eben die gequälten politischen Hermaphroditen der Paulskirche. Die
zwei, welche wir da vor uns haben, sind Hessen-Darmstädter. Der Eine ist
Reichstagsabgeordneter geworden, weil er in den dreißiger Jahren mit Weidig
Demagogie getrieben und dafür ein Paar Jahre im Zuchthaus gebüßt hat; der
Andre, Advocat und mehr noch, Gemahl einer Sängerin, hat das Verdienst ge¬
habt, eine ausgezeichnete Praxis zu besitzen. Da stehen sie nun, die Armen, ma¬
chen lange Hälse und möchten wohl gern, getrauen sich aber nicht. Gehn wir
hinein? fragt der lange Demagoge seinen kurzen Gefährten. -- Wenn nur der
Vogt nicht drinnen ist! -- Nein, der nicht, aber der Simon; hörst du, eben
räsonnirt er über Fürstenknechte! -- Fort, fort, wir gehn lieber ins Stift.

Aus der offenen Thür strömt ein dichter, rother Qualm uns entgegen, ein
sonderbares Gemisch der verschiedenartigsten Aroma's. Im Nebel umher tastend
finden wir ein bescheidenes Plätzchen in der Zimmerecke und bald haben unsere
Augen und Lungen sich an die Atmosphäre gewöhnt. Eine stattliche Dame stellt
eine Flasche Sechsundvierziger vor uns und ihre Augen gleiten prüfend über un¬
sere Person. Drüben, am andern Tische, ist es ganz still geworden, der Eintritt
von Fremden hat die lebhafteste Unterhaltung abgeschnitten, wie mit der Scheere,
wir sind verdächtig. Aber verzweifeln Sie nicht, liebster Freund, ich kenne das
Mittel, welches uns hier Vertrauen erwirbt. Sehen Sie, da liegt das Frank¬
furter Journal; Jeder von uns ergreift ein Blatt desselben. Schrecklicher Tyrann
der Windischgrätz, sage ich nach einer Minute aufmerksamen Lesens ganz laut,
schlage mit der Hand auf den Tisch und stürze ein volles Glas Wein hinab. Sie
haben mich verstanden, Sie entgegnen mit unnachahmlicher Geberde: Und der
Jellachich ! Das ist der Uhrschlüssel gewesen, mit welchem wir das stehen ge-
bliebne Redewerk der Gesellschaft am andern Tische aufgezogen haben; hören Sie,
jetzt beginnen schon die einzelnen Räder zu knarren. Wir dürfen sicher sein, daß
man kein Hehl mehr vor uns haben wird; man hält uns für "Rothe."

Em freudiges Ah! begrüßt die eintretende Hebe des grünen Baumes, ein


sind im „grünen Baum," darum sollen Sie mich als stiller Beobachter in ihre
Mitte begleiten; ich hoffe, wir finden die Herren alle beisammen.

Doch, ehe wir eintreten, mache ich Sie aus jene beiden Männer aufmerksam,
die dort absichtlich sich im Schatten halten und von Zeit zu Zeit an die Gasthos¬
fenster schleichen, um durch deren Ritzen in das erleuchtete Zimmer zu spähen.
Das sind „Unentschiedene"; Abgeordnete, die von Natur und Fähigkeit angewiesen
sind, auf der äußersten Rechten als stumme Pagoden zu sitzen, welche nur mit
dem Kopf zu nicken brauchen, wenn Vincke ja sagt, die aber ein falscher Wind
auf die äußerste Linke geweht hat. Da sitzen sie nun, wie auf eisernem Stuhle,
unter welchem ein Feuer glüht, ewig mit sich selbst und ihren Mandanten im
Streit, wissen sie nie, wohin sich wenden, bei jeder Abstimmung schwitzen sie
Blut, besonders wenn sie einen Bekannten auf der Zuschauergallerie erblicken —
kurz, sie sind eben die gequälten politischen Hermaphroditen der Paulskirche. Die
zwei, welche wir da vor uns haben, sind Hessen-Darmstädter. Der Eine ist
Reichstagsabgeordneter geworden, weil er in den dreißiger Jahren mit Weidig
Demagogie getrieben und dafür ein Paar Jahre im Zuchthaus gebüßt hat; der
Andre, Advocat und mehr noch, Gemahl einer Sängerin, hat das Verdienst ge¬
habt, eine ausgezeichnete Praxis zu besitzen. Da stehen sie nun, die Armen, ma¬
chen lange Hälse und möchten wohl gern, getrauen sich aber nicht. Gehn wir
hinein? fragt der lange Demagoge seinen kurzen Gefährten. — Wenn nur der
Vogt nicht drinnen ist! — Nein, der nicht, aber der Simon; hörst du, eben
räsonnirt er über Fürstenknechte! — Fort, fort, wir gehn lieber ins Stift.

Aus der offenen Thür strömt ein dichter, rother Qualm uns entgegen, ein
sonderbares Gemisch der verschiedenartigsten Aroma's. Im Nebel umher tastend
finden wir ein bescheidenes Plätzchen in der Zimmerecke und bald haben unsere
Augen und Lungen sich an die Atmosphäre gewöhnt. Eine stattliche Dame stellt
eine Flasche Sechsundvierziger vor uns und ihre Augen gleiten prüfend über un¬
sere Person. Drüben, am andern Tische, ist es ganz still geworden, der Eintritt
von Fremden hat die lebhafteste Unterhaltung abgeschnitten, wie mit der Scheere,
wir sind verdächtig. Aber verzweifeln Sie nicht, liebster Freund, ich kenne das
Mittel, welches uns hier Vertrauen erwirbt. Sehen Sie, da liegt das Frank¬
furter Journal; Jeder von uns ergreift ein Blatt desselben. Schrecklicher Tyrann
der Windischgrätz, sage ich nach einer Minute aufmerksamen Lesens ganz laut,
schlage mit der Hand auf den Tisch und stürze ein volles Glas Wein hinab. Sie
haben mich verstanden, Sie entgegnen mit unnachahmlicher Geberde: Und der
Jellachich ! Das ist der Uhrschlüssel gewesen, mit welchem wir das stehen ge-
bliebne Redewerk der Gesellschaft am andern Tische aufgezogen haben; hören Sie,
jetzt beginnen schon die einzelnen Räder zu knarren. Wir dürfen sicher sein, daß
man kein Hehl mehr vor uns haben wird; man hält uns für „Rothe."

Em freudiges Ah! begrüßt die eintretende Hebe des grünen Baumes, ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277246"/>
          <p xml:id="ID_1482" prev="#ID_1481"> sind im &#x201E;grünen Baum," darum sollen Sie mich als stiller Beobachter in ihre<lb/>
Mitte begleiten; ich hoffe, wir finden die Herren alle beisammen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1483"> Doch, ehe wir eintreten, mache ich Sie aus jene beiden Männer aufmerksam,<lb/>
die dort absichtlich sich im Schatten halten und von Zeit zu Zeit an die Gasthos¬<lb/>
fenster schleichen, um durch deren Ritzen in das erleuchtete Zimmer zu spähen.<lb/>
Das sind &#x201E;Unentschiedene"; Abgeordnete, die von Natur und Fähigkeit angewiesen<lb/>
sind, auf der äußersten Rechten als stumme Pagoden zu sitzen, welche nur mit<lb/>
dem Kopf zu nicken brauchen, wenn Vincke ja sagt, die aber ein falscher Wind<lb/>
auf die äußerste Linke geweht hat. Da sitzen sie nun, wie auf eisernem Stuhle,<lb/>
unter welchem ein Feuer glüht, ewig mit sich selbst und ihren Mandanten im<lb/>
Streit, wissen sie nie, wohin sich wenden, bei jeder Abstimmung schwitzen sie<lb/>
Blut, besonders wenn sie einen Bekannten auf der Zuschauergallerie erblicken &#x2014;<lb/>
kurz, sie sind eben die gequälten politischen Hermaphroditen der Paulskirche. Die<lb/>
zwei, welche wir da vor uns haben, sind Hessen-Darmstädter. Der Eine ist<lb/>
Reichstagsabgeordneter geworden, weil er in den dreißiger Jahren mit Weidig<lb/>
Demagogie getrieben und dafür ein Paar Jahre im Zuchthaus gebüßt hat; der<lb/>
Andre, Advocat und mehr noch, Gemahl einer Sängerin, hat das Verdienst ge¬<lb/>
habt, eine ausgezeichnete Praxis zu besitzen. Da stehen sie nun, die Armen, ma¬<lb/>
chen lange Hälse und möchten wohl gern, getrauen sich aber nicht. Gehn wir<lb/>
hinein? fragt der lange Demagoge seinen kurzen Gefährten. &#x2014; Wenn nur der<lb/>
Vogt nicht drinnen ist! &#x2014; Nein, der nicht, aber der Simon; hörst du, eben<lb/>
räsonnirt er über Fürstenknechte! &#x2014; Fort, fort, wir gehn lieber ins Stift.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1484"> Aus der offenen Thür strömt ein dichter, rother Qualm uns entgegen, ein<lb/>
sonderbares Gemisch der verschiedenartigsten Aroma's. Im Nebel umher tastend<lb/>
finden wir ein bescheidenes Plätzchen in der Zimmerecke und bald haben unsere<lb/>
Augen und Lungen sich an die Atmosphäre gewöhnt. Eine stattliche Dame stellt<lb/>
eine Flasche Sechsundvierziger vor uns und ihre Augen gleiten prüfend über un¬<lb/>
sere Person. Drüben, am andern Tische, ist es ganz still geworden, der Eintritt<lb/>
von Fremden hat die lebhafteste Unterhaltung abgeschnitten, wie mit der Scheere,<lb/>
wir sind verdächtig. Aber verzweifeln Sie nicht, liebster Freund, ich kenne das<lb/>
Mittel, welches uns hier Vertrauen erwirbt. Sehen Sie, da liegt das Frank¬<lb/>
furter Journal; Jeder von uns ergreift ein Blatt desselben. Schrecklicher Tyrann<lb/>
der Windischgrätz, sage ich nach einer Minute aufmerksamen Lesens ganz laut,<lb/>
schlage mit der Hand auf den Tisch und stürze ein volles Glas Wein hinab. Sie<lb/>
haben mich verstanden, Sie entgegnen mit unnachahmlicher Geberde: Und der<lb/>
Jellachich ! Das ist der Uhrschlüssel gewesen, mit welchem wir das stehen ge-<lb/>
bliebne Redewerk der Gesellschaft am andern Tische aufgezogen haben; hören Sie,<lb/>
jetzt beginnen schon die einzelnen Räder zu knarren. Wir dürfen sicher sein, daß<lb/>
man kein Hehl mehr vor uns haben wird; man hält uns für &#x201E;Rothe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1485" next="#ID_1486"> Em freudiges Ah! begrüßt die eintretende Hebe des grünen Baumes, ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0490] sind im „grünen Baum," darum sollen Sie mich als stiller Beobachter in ihre Mitte begleiten; ich hoffe, wir finden die Herren alle beisammen. Doch, ehe wir eintreten, mache ich Sie aus jene beiden Männer aufmerksam, die dort absichtlich sich im Schatten halten und von Zeit zu Zeit an die Gasthos¬ fenster schleichen, um durch deren Ritzen in das erleuchtete Zimmer zu spähen. Das sind „Unentschiedene"; Abgeordnete, die von Natur und Fähigkeit angewiesen sind, auf der äußersten Rechten als stumme Pagoden zu sitzen, welche nur mit dem Kopf zu nicken brauchen, wenn Vincke ja sagt, die aber ein falscher Wind auf die äußerste Linke geweht hat. Da sitzen sie nun, wie auf eisernem Stuhle, unter welchem ein Feuer glüht, ewig mit sich selbst und ihren Mandanten im Streit, wissen sie nie, wohin sich wenden, bei jeder Abstimmung schwitzen sie Blut, besonders wenn sie einen Bekannten auf der Zuschauergallerie erblicken — kurz, sie sind eben die gequälten politischen Hermaphroditen der Paulskirche. Die zwei, welche wir da vor uns haben, sind Hessen-Darmstädter. Der Eine ist Reichstagsabgeordneter geworden, weil er in den dreißiger Jahren mit Weidig Demagogie getrieben und dafür ein Paar Jahre im Zuchthaus gebüßt hat; der Andre, Advocat und mehr noch, Gemahl einer Sängerin, hat das Verdienst ge¬ habt, eine ausgezeichnete Praxis zu besitzen. Da stehen sie nun, die Armen, ma¬ chen lange Hälse und möchten wohl gern, getrauen sich aber nicht. Gehn wir hinein? fragt der lange Demagoge seinen kurzen Gefährten. — Wenn nur der Vogt nicht drinnen ist! — Nein, der nicht, aber der Simon; hörst du, eben räsonnirt er über Fürstenknechte! — Fort, fort, wir gehn lieber ins Stift. Aus der offenen Thür strömt ein dichter, rother Qualm uns entgegen, ein sonderbares Gemisch der verschiedenartigsten Aroma's. Im Nebel umher tastend finden wir ein bescheidenes Plätzchen in der Zimmerecke und bald haben unsere Augen und Lungen sich an die Atmosphäre gewöhnt. Eine stattliche Dame stellt eine Flasche Sechsundvierziger vor uns und ihre Augen gleiten prüfend über un¬ sere Person. Drüben, am andern Tische, ist es ganz still geworden, der Eintritt von Fremden hat die lebhafteste Unterhaltung abgeschnitten, wie mit der Scheere, wir sind verdächtig. Aber verzweifeln Sie nicht, liebster Freund, ich kenne das Mittel, welches uns hier Vertrauen erwirbt. Sehen Sie, da liegt das Frank¬ furter Journal; Jeder von uns ergreift ein Blatt desselben. Schrecklicher Tyrann der Windischgrätz, sage ich nach einer Minute aufmerksamen Lesens ganz laut, schlage mit der Hand auf den Tisch und stürze ein volles Glas Wein hinab. Sie haben mich verstanden, Sie entgegnen mit unnachahmlicher Geberde: Und der Jellachich ! Das ist der Uhrschlüssel gewesen, mit welchem wir das stehen ge- bliebne Redewerk der Gesellschaft am andern Tische aufgezogen haben; hören Sie, jetzt beginnen schon die einzelnen Räder zu knarren. Wir dürfen sicher sein, daß man kein Hehl mehr vor uns haben wird; man hält uns für „Rothe." Em freudiges Ah! begrüßt die eintretende Hebe des grünen Baumes, ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/490
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/490>, abgerufen am 25.12.2024.