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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Mit dem Vorwurf ist es also nichts. Sobald das freie Verhau mlungsrecht
gewährt war, konnte die liberale Partei die Begründung solcher Vereine und
Versammlungen, in denen ihr nicht einmal Redefreiheit zu Theil wurde, nicht
hintertreiben. Ebensowenig konnte sie die Nichtswürdigkeiten der Lokalpresse, die
auf die niedrigsten Leidenschaften berechnet, von den schmutzigsten Rücksichten be¬
stimmt war, Paralysiren. Aber gern gestehe ich Ihnen zu, daß sie in anderer
Beziehung schwer gefehlt hat. Das ist leicht erklärlich aus ihrer eigenthüm¬
lichen Lage.'

Vordem März waren wir, die constitutionelle Partei, trotz aller Plänkeleien
mit den Radicalen auf einer Seite. Die Maßregeln des Polizeistaats trafen uns
mit gleicher Härte. Natürlich hielten wir zusammen, um so mehr, da der gesetz¬
liche Weg des Fortschrittes von Tage zu Tage problematischer wurde, und wir in
üblen Stunden leicht über die Möglichkeit desselben überhaupt in Zweifel gerathen
konnten. So ist es zu entschuldigen, daß wir uus schon damals nicht streng ge¬
nug von den "Radicalen" schieden. Man muß deu verschiedenen Fractionen, die
man uuter diesem gemeinsamen Namen begreift -- den Communisten, Socialisten,
Humanisten, Republikanern, wie den absoluten Kritikern zugestehen, daß sie ihrer¬
seits viel entschiedener die Trennung fühlten und aussprachen. Nicht selten ver¬
standen sie sich dazu, mit den servilen Hand in Hand gegen die constitutionelle
Partei zu Felde zu ziehen, und mau wurde namentlich in deu Berliner Kaffee¬
häusern, die ziemlich alle deutscheu Zeitungen versorgten, nicht müde, den gesetz¬
lichen Boden der Badenser, Würtenberger, Sächsischen Opposition zu verhöhnen.
Die constitutionelle Partei hatte keinen bestimmten Halt, keine officielle Geltung,
keine Verbindung uuter sich, keinen rechten Boden. Sie versumpfte in dem trü¬
ben Boden der Kleinstaaterei. Wie anders die Radicalen, die keines Bodens be¬
durften, und die mit geringer Anstrengung der Phantasie einen ganzen Himmel
auf Erden hervorzubringen im Stande waren.

Sie erinnern sich vielleicht noch meiner Darstellung des preußischen Central-
landtages in Ruge's politische" Bildern? Dieser Versuch gab unserer Partei in
dem Staate, ans den es hier vor Allem ankam, zuerst eine legitime Stellung.
Damals lag die friedliche, großartige Entwickelung Deutschlands in den Händen
unsers Königs. Gott erbarm's! Was uns über die jetzigen Verkehrtheiten trö¬
sten muß, ist, daß nun doch nicht mehr der Laune eines Einzelnen das Wohl
und Wehe von Millionen zur Verfügung steht.

Der schmcihlige Ausgang dieses Versuchs hat dem Radicalismus unendlich
in die Hände gearbeitet. Wie konnte ein Mann von Ehre noch weiter sich zu
einer Komödie hergeben, in der ihn neben dem Schaden noch der Hohn verfolgte!
Und doch wäre ohne diesen Landtag die nachfolgende Revolution noch verkehrter
geworden, denn es wäre dann auch nicht einmal der Ansatz zu einer constitutio-
nellen Partei vorhanden gewesen. Die Constitutionellen in deu kleinen deutschen


Mit dem Vorwurf ist es also nichts. Sobald das freie Verhau mlungsrecht
gewährt war, konnte die liberale Partei die Begründung solcher Vereine und
Versammlungen, in denen ihr nicht einmal Redefreiheit zu Theil wurde, nicht
hintertreiben. Ebensowenig konnte sie die Nichtswürdigkeiten der Lokalpresse, die
auf die niedrigsten Leidenschaften berechnet, von den schmutzigsten Rücksichten be¬
stimmt war, Paralysiren. Aber gern gestehe ich Ihnen zu, daß sie in anderer
Beziehung schwer gefehlt hat. Das ist leicht erklärlich aus ihrer eigenthüm¬
lichen Lage.'

Vordem März waren wir, die constitutionelle Partei, trotz aller Plänkeleien
mit den Radicalen auf einer Seite. Die Maßregeln des Polizeistaats trafen uns
mit gleicher Härte. Natürlich hielten wir zusammen, um so mehr, da der gesetz¬
liche Weg des Fortschrittes von Tage zu Tage problematischer wurde, und wir in
üblen Stunden leicht über die Möglichkeit desselben überhaupt in Zweifel gerathen
konnten. So ist es zu entschuldigen, daß wir uus schon damals nicht streng ge¬
nug von den „Radicalen" schieden. Man muß deu verschiedenen Fractionen, die
man uuter diesem gemeinsamen Namen begreift — den Communisten, Socialisten,
Humanisten, Republikanern, wie den absoluten Kritikern zugestehen, daß sie ihrer¬
seits viel entschiedener die Trennung fühlten und aussprachen. Nicht selten ver¬
standen sie sich dazu, mit den servilen Hand in Hand gegen die constitutionelle
Partei zu Felde zu ziehen, und mau wurde namentlich in deu Berliner Kaffee¬
häusern, die ziemlich alle deutscheu Zeitungen versorgten, nicht müde, den gesetz¬
lichen Boden der Badenser, Würtenberger, Sächsischen Opposition zu verhöhnen.
Die constitutionelle Partei hatte keinen bestimmten Halt, keine officielle Geltung,
keine Verbindung uuter sich, keinen rechten Boden. Sie versumpfte in dem trü¬
ben Boden der Kleinstaaterei. Wie anders die Radicalen, die keines Bodens be¬
durften, und die mit geringer Anstrengung der Phantasie einen ganzen Himmel
auf Erden hervorzubringen im Stande waren.

Sie erinnern sich vielleicht noch meiner Darstellung des preußischen Central-
landtages in Ruge's politische» Bildern? Dieser Versuch gab unserer Partei in
dem Staate, ans den es hier vor Allem ankam, zuerst eine legitime Stellung.
Damals lag die friedliche, großartige Entwickelung Deutschlands in den Händen
unsers Königs. Gott erbarm's! Was uns über die jetzigen Verkehrtheiten trö¬
sten muß, ist, daß nun doch nicht mehr der Laune eines Einzelnen das Wohl
und Wehe von Millionen zur Verfügung steht.

Der schmcihlige Ausgang dieses Versuchs hat dem Radicalismus unendlich
in die Hände gearbeitet. Wie konnte ein Mann von Ehre noch weiter sich zu
einer Komödie hergeben, in der ihn neben dem Schaden noch der Hohn verfolgte!
Und doch wäre ohne diesen Landtag die nachfolgende Revolution noch verkehrter
geworden, denn es wäre dann auch nicht einmal der Ansatz zu einer constitutio-
nellen Partei vorhanden gewesen. Die Constitutionellen in deu kleinen deutschen


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[0444] Mit dem Vorwurf ist es also nichts. Sobald das freie Verhau mlungsrecht gewährt war, konnte die liberale Partei die Begründung solcher Vereine und Versammlungen, in denen ihr nicht einmal Redefreiheit zu Theil wurde, nicht hintertreiben. Ebensowenig konnte sie die Nichtswürdigkeiten der Lokalpresse, die auf die niedrigsten Leidenschaften berechnet, von den schmutzigsten Rücksichten be¬ stimmt war, Paralysiren. Aber gern gestehe ich Ihnen zu, daß sie in anderer Beziehung schwer gefehlt hat. Das ist leicht erklärlich aus ihrer eigenthüm¬ lichen Lage.' Vordem März waren wir, die constitutionelle Partei, trotz aller Plänkeleien mit den Radicalen auf einer Seite. Die Maßregeln des Polizeistaats trafen uns mit gleicher Härte. Natürlich hielten wir zusammen, um so mehr, da der gesetz¬ liche Weg des Fortschrittes von Tage zu Tage problematischer wurde, und wir in üblen Stunden leicht über die Möglichkeit desselben überhaupt in Zweifel gerathen konnten. So ist es zu entschuldigen, daß wir uus schon damals nicht streng ge¬ nug von den „Radicalen" schieden. Man muß deu verschiedenen Fractionen, die man uuter diesem gemeinsamen Namen begreift — den Communisten, Socialisten, Humanisten, Republikanern, wie den absoluten Kritikern zugestehen, daß sie ihrer¬ seits viel entschiedener die Trennung fühlten und aussprachen. Nicht selten ver¬ standen sie sich dazu, mit den servilen Hand in Hand gegen die constitutionelle Partei zu Felde zu ziehen, und mau wurde namentlich in deu Berliner Kaffee¬ häusern, die ziemlich alle deutscheu Zeitungen versorgten, nicht müde, den gesetz¬ lichen Boden der Badenser, Würtenberger, Sächsischen Opposition zu verhöhnen. Die constitutionelle Partei hatte keinen bestimmten Halt, keine officielle Geltung, keine Verbindung uuter sich, keinen rechten Boden. Sie versumpfte in dem trü¬ ben Boden der Kleinstaaterei. Wie anders die Radicalen, die keines Bodens be¬ durften, und die mit geringer Anstrengung der Phantasie einen ganzen Himmel auf Erden hervorzubringen im Stande waren. Sie erinnern sich vielleicht noch meiner Darstellung des preußischen Central- landtages in Ruge's politische» Bildern? Dieser Versuch gab unserer Partei in dem Staate, ans den es hier vor Allem ankam, zuerst eine legitime Stellung. Damals lag die friedliche, großartige Entwickelung Deutschlands in den Händen unsers Königs. Gott erbarm's! Was uns über die jetzigen Verkehrtheiten trö¬ sten muß, ist, daß nun doch nicht mehr der Laune eines Einzelnen das Wohl und Wehe von Millionen zur Verfügung steht. Der schmcihlige Ausgang dieses Versuchs hat dem Radicalismus unendlich in die Hände gearbeitet. Wie konnte ein Mann von Ehre noch weiter sich zu einer Komödie hergeben, in der ihn neben dem Schaden noch der Hohn verfolgte! Und doch wäre ohne diesen Landtag die nachfolgende Revolution noch verkehrter geworden, denn es wäre dann auch nicht einmal der Ansatz zu einer constitutio- nellen Partei vorhanden gewesen. Die Constitutionellen in deu kleinen deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/444>, abgerufen am 22.07.2024.