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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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mot speiit man das Recht der Geschichte und die Anforderungen des Verstandes nicht
mehr ab. Wenn man einen Kampf unternimmt, so muß wenigstens eine Aussicht
zum Siege sein und man muß seine Maßregeln nehmen. Freilich gibt es auch
Fälle, wo die Begeisterung oder die Verzweiflung über die letzte Rücksicht hinaus¬
reißt, wo in dem höchsten Aufschwung der Seele das Volk ausruft: II 5-we
inoui-it-! Ein solcher Entschluß ist gerechtfertigt, wenn -- man wirklich stirbt.
Machen Sie Sich keine Illusionen! Wien ist kein Saragossa, und gepriesen sei
die Vernunft der Wiener, daß sie es nicht dazu gemacht haben. Aber das hätten
die demokratischen Machthaber vorher überlegen sollen. Wenn man sich später
jenen unmöglichen Bedingungen unterwirft, kann man es auch früher thun. Uebri-
gens hatte man die Unterhandlung verspätet. Wollte die Stadt den Bürgerkrieg
vermeiden, so mußte sie Latours Mörder verfolgen, zu diesem Zweck sich mit
Auersperg verbinden und das Proletariat entwaffnen. Konnte sie das nicht, so
rechtfertigte sie damit den Belagerungsstand. Wollte sie es nicht -- nun, dann
war das Loos geworfen. Aber ihr wäret an leichte Siege, an Revolutionen ge¬
wöhnt, die wie ein Kinderspiel aussehen, ihr glaubtet nicht an den Ernst des
Lebens. Diese gemüthliche Illusion war eure Schuld; ihr zaudertet, wo ihr
hättet handeln sollen -- in einem oder dem andern Sinn - und so überkam euch
das Verderben. Der Sonnenwagen mußte der schwachen Hand entzogen werden,
die ihn nicht zu zügeln verstand, und die mehr dnrch Unfähigkeit als durch bösen
Willen die Welt mit einem Brande bedrohte. Das war Nothwendigkeit, man muß
sich ihr ergeben, wie herbe sie auch aussieht.

Glauben Sie mir, wir sind tief ergriffen worden von dem Schicksal, das so
manchen getroffen hat, mit dem wir noch kurze Zeit vorher in persönlichem Um¬
gange gestanden. Namentlich Messenhauser, dieser brave Junge, der uns im
vergangenen Winter in Leipzig durch seine gemüthlich heitern Plaudereien und
Flausen so sehr ergötzte. Aber sein Loos war nicht zweifelhaft; er hat den
kurzen Traum welthistorischer Bedeutung mit dem Leben bezahlt. Noch einmal!
lassen wir das Vergangene! Er ist als Mann gestorben, und bei ihm, wie bei
den Unglücklichen, die das gleiche Loos traf, hat der Tod einen verklärenden
Schleier über ihre Vergangenheit geworfen. Das Unglück übt eine heilige Kraft........
Blicken wir in die Zukunft.

Unserer Partei, sagen Sie, wäre jetzt diese Zukunft vorläufig anvertraut.
Sie machen uns Vorwürfe, daß wir bisher nichts gethan, um das Volk auf den
rechten Weg zu leiten. Rüge hat es mir in seinem Sendschreiben gleichfalls vor¬
gehalten. Aber sagen Sie mir doch, was wir eigentlich hätten thun sollen? Für
das Vaterland zu sterben, ist unter Umständen süß; schon Horaz sagt es; aber
für das Vaterland geprügelt zu werdeu, ist für einen gebildeten Mann unter allen
Umständen fatal. Denken sie an die "Preußenversammlungdie wir im Anfang
der "Revolution" besuchten -- Sie, Freytag, Schindler, Kurt -- die ganze Cou-


mot speiit man das Recht der Geschichte und die Anforderungen des Verstandes nicht
mehr ab. Wenn man einen Kampf unternimmt, so muß wenigstens eine Aussicht
zum Siege sein und man muß seine Maßregeln nehmen. Freilich gibt es auch
Fälle, wo die Begeisterung oder die Verzweiflung über die letzte Rücksicht hinaus¬
reißt, wo in dem höchsten Aufschwung der Seele das Volk ausruft: II 5-we
inoui-it-! Ein solcher Entschluß ist gerechtfertigt, wenn — man wirklich stirbt.
Machen Sie Sich keine Illusionen! Wien ist kein Saragossa, und gepriesen sei
die Vernunft der Wiener, daß sie es nicht dazu gemacht haben. Aber das hätten
die demokratischen Machthaber vorher überlegen sollen. Wenn man sich später
jenen unmöglichen Bedingungen unterwirft, kann man es auch früher thun. Uebri-
gens hatte man die Unterhandlung verspätet. Wollte die Stadt den Bürgerkrieg
vermeiden, so mußte sie Latours Mörder verfolgen, zu diesem Zweck sich mit
Auersperg verbinden und das Proletariat entwaffnen. Konnte sie das nicht, so
rechtfertigte sie damit den Belagerungsstand. Wollte sie es nicht — nun, dann
war das Loos geworfen. Aber ihr wäret an leichte Siege, an Revolutionen ge¬
wöhnt, die wie ein Kinderspiel aussehen, ihr glaubtet nicht an den Ernst des
Lebens. Diese gemüthliche Illusion war eure Schuld; ihr zaudertet, wo ihr
hättet handeln sollen — in einem oder dem andern Sinn - und so überkam euch
das Verderben. Der Sonnenwagen mußte der schwachen Hand entzogen werden,
die ihn nicht zu zügeln verstand, und die mehr dnrch Unfähigkeit als durch bösen
Willen die Welt mit einem Brande bedrohte. Das war Nothwendigkeit, man muß
sich ihr ergeben, wie herbe sie auch aussieht.

Glauben Sie mir, wir sind tief ergriffen worden von dem Schicksal, das so
manchen getroffen hat, mit dem wir noch kurze Zeit vorher in persönlichem Um¬
gange gestanden. Namentlich Messenhauser, dieser brave Junge, der uns im
vergangenen Winter in Leipzig durch seine gemüthlich heitern Plaudereien und
Flausen so sehr ergötzte. Aber sein Loos war nicht zweifelhaft; er hat den
kurzen Traum welthistorischer Bedeutung mit dem Leben bezahlt. Noch einmal!
lassen wir das Vergangene! Er ist als Mann gestorben, und bei ihm, wie bei
den Unglücklichen, die das gleiche Loos traf, hat der Tod einen verklärenden
Schleier über ihre Vergangenheit geworfen. Das Unglück übt eine heilige Kraft........
Blicken wir in die Zukunft.

Unserer Partei, sagen Sie, wäre jetzt diese Zukunft vorläufig anvertraut.
Sie machen uns Vorwürfe, daß wir bisher nichts gethan, um das Volk auf den
rechten Weg zu leiten. Rüge hat es mir in seinem Sendschreiben gleichfalls vor¬
gehalten. Aber sagen Sie mir doch, was wir eigentlich hätten thun sollen? Für
das Vaterland zu sterben, ist unter Umständen süß; schon Horaz sagt es; aber
für das Vaterland geprügelt zu werdeu, ist für einen gebildeten Mann unter allen
Umständen fatal. Denken sie an die „Preußenversammlungdie wir im Anfang
der „Revolution" besuchten — Sie, Freytag, Schindler, Kurt — die ganze Cou-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/442>, abgerufen am 03.07.2024.