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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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dung geführt. Die eigentlichen taiseurs und moteuis der Wiener Krawatte be¬
saßen weder Kopf noch Ehrgeiz genug, um Bluttribunale und provisorische Re¬
gierungen zu errichten. Der kleine Bürger hat zu viel Selbstständigkeit und
Stolz, das Proletariat zu wenig Kraft und eigentliche Herrschsucht -- ein Ueber¬
schreiten der natürlichen Schranken, welche durch die NeichstagSbeschlüsse der gan¬
zen Bewegung gesetzt waren, hätte kaum für einige Stunden angehalten. Man
wäre dann wieder zu Deputationen und Adressen an den Hof geschritten, wie vor
Beginn des Kampfes. Die Dynastie ist in Oestreich eine so allgemein gefühlte
Nothwendigkeit für den Verband der Provinzen und selbst der einzelnen Stände,
daß nur der Wahnsinn in irgend einem Augenblicke an den Sturz derselben hätte
denken können. So kann anch von eigentlichem Hochverrats als Verbrechens ge¬
gen die Person des Landesfürsten, bei der Verurtheilung der Aufgegriffenen keine
Rede sein. Die Armee jedoch fühlt in dem Widerstande gegen sich die Person
des Kaisers verletzt und sucht nun den Bestand der Monarchie auf den blutigen
Gräbern der Hingerichteten dauernd zu befestigen. Ein Ministerium ist an's Ru¬
der gelangt, welches, wie wir aus dessen Programm ersehen, die bittern Erfah¬
rungen der vergangenen Monate wohl beherzigt, und endlich dem Urgründe aller
bisherigen östreichischen Revolutionen seit den Märztagen, dem Mangel eines po¬
litischen Systems durch eine offene Darstellung der gegenwärtigen Lage des Staa¬
tes ein Ziel gesetzt hat. Die aufrichtigen Radicalen werden eben so wie die auf¬
richtigen Konservativen mit Freuden ein Ministerium begrüßen, welches endlich
der Plan- und Haltlosigkeit der Negierung ein Ende macht. Freilich hätte ein
Ministerium Stadion vor den Mai- und Octobertagen ein von dem jetzigen we¬
sentlich verschiedenes Programm gegeben. Traurig genug, daß selbst unsere aner¬
kannten organisirenden Staatsmänner aus dem Blute des Volkes ihre Weisheit
schöpfen müssen.

Es war nicht meine Absicht, Ihnen hente speciell unsere östreichischen Zu¬
stände vor die Augen zu führen. Aber die Vorwürfe, mit welchen Sie mich in
dem offenen Briefe überhäuft hatten, lassen vermuthen, daß Sie alle Schuld an
der unseligen Entwickelung des blutigen Wiener Dramas den deutschen Demokra¬
ten beizumessen gesonnen seien. Die Flucht der Czechen und das Herbeieilen der
Ungarn hatte der ganzen Wiener Bewegung einen nationalen Anstrich gegeben,
welcher durch die Tödtung des deutschen Abgeordneten Robert Blum noch ins
Grellste erhöht wurde. Und doch war dies nur der bunte Vorhang, hinter wel¬
chem der rohe Kampf zwischen der Militairgewalt und der bewaffneten Volksmacht
entschieden wurde. Ob nun das Volk durch die Politik der Regierung oder durch
Aufreizung der Demokraten zur Revolution getrieben wurde, kann jetzt, nachdem
das Programm des neuen Ministeriums vor uns liegt, leichter beantwortet wer¬
den. Sie finden in diesem Programme alle jene Pnnkte erwähnt, welche bisher
zum Zankapfel der Parteien gedient haben. Die Verhältnisse zu Deutschland,


dung geführt. Die eigentlichen taiseurs und moteuis der Wiener Krawatte be¬
saßen weder Kopf noch Ehrgeiz genug, um Bluttribunale und provisorische Re¬
gierungen zu errichten. Der kleine Bürger hat zu viel Selbstständigkeit und
Stolz, das Proletariat zu wenig Kraft und eigentliche Herrschsucht — ein Ueber¬
schreiten der natürlichen Schranken, welche durch die NeichstagSbeschlüsse der gan¬
zen Bewegung gesetzt waren, hätte kaum für einige Stunden angehalten. Man
wäre dann wieder zu Deputationen und Adressen an den Hof geschritten, wie vor
Beginn des Kampfes. Die Dynastie ist in Oestreich eine so allgemein gefühlte
Nothwendigkeit für den Verband der Provinzen und selbst der einzelnen Stände,
daß nur der Wahnsinn in irgend einem Augenblicke an den Sturz derselben hätte
denken können. So kann anch von eigentlichem Hochverrats als Verbrechens ge¬
gen die Person des Landesfürsten, bei der Verurtheilung der Aufgegriffenen keine
Rede sein. Die Armee jedoch fühlt in dem Widerstande gegen sich die Person
des Kaisers verletzt und sucht nun den Bestand der Monarchie auf den blutigen
Gräbern der Hingerichteten dauernd zu befestigen. Ein Ministerium ist an's Ru¬
der gelangt, welches, wie wir aus dessen Programm ersehen, die bittern Erfah¬
rungen der vergangenen Monate wohl beherzigt, und endlich dem Urgründe aller
bisherigen östreichischen Revolutionen seit den Märztagen, dem Mangel eines po¬
litischen Systems durch eine offene Darstellung der gegenwärtigen Lage des Staa¬
tes ein Ziel gesetzt hat. Die aufrichtigen Radicalen werden eben so wie die auf¬
richtigen Konservativen mit Freuden ein Ministerium begrüßen, welches endlich
der Plan- und Haltlosigkeit der Negierung ein Ende macht. Freilich hätte ein
Ministerium Stadion vor den Mai- und Octobertagen ein von dem jetzigen we¬
sentlich verschiedenes Programm gegeben. Traurig genug, daß selbst unsere aner¬
kannten organisirenden Staatsmänner aus dem Blute des Volkes ihre Weisheit
schöpfen müssen.

Es war nicht meine Absicht, Ihnen hente speciell unsere östreichischen Zu¬
stände vor die Augen zu führen. Aber die Vorwürfe, mit welchen Sie mich in
dem offenen Briefe überhäuft hatten, lassen vermuthen, daß Sie alle Schuld an
der unseligen Entwickelung des blutigen Wiener Dramas den deutschen Demokra¬
ten beizumessen gesonnen seien. Die Flucht der Czechen und das Herbeieilen der
Ungarn hatte der ganzen Wiener Bewegung einen nationalen Anstrich gegeben,
welcher durch die Tödtung des deutschen Abgeordneten Robert Blum noch ins
Grellste erhöht wurde. Und doch war dies nur der bunte Vorhang, hinter wel¬
chem der rohe Kampf zwischen der Militairgewalt und der bewaffneten Volksmacht
entschieden wurde. Ob nun das Volk durch die Politik der Regierung oder durch
Aufreizung der Demokraten zur Revolution getrieben wurde, kann jetzt, nachdem
das Programm des neuen Ministeriums vor uns liegt, leichter beantwortet wer¬
den. Sie finden in diesem Programme alle jene Pnnkte erwähnt, welche bisher
zum Zankapfel der Parteien gedient haben. Die Verhältnisse zu Deutschland,


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[0438] dung geführt. Die eigentlichen taiseurs und moteuis der Wiener Krawatte be¬ saßen weder Kopf noch Ehrgeiz genug, um Bluttribunale und provisorische Re¬ gierungen zu errichten. Der kleine Bürger hat zu viel Selbstständigkeit und Stolz, das Proletariat zu wenig Kraft und eigentliche Herrschsucht — ein Ueber¬ schreiten der natürlichen Schranken, welche durch die NeichstagSbeschlüsse der gan¬ zen Bewegung gesetzt waren, hätte kaum für einige Stunden angehalten. Man wäre dann wieder zu Deputationen und Adressen an den Hof geschritten, wie vor Beginn des Kampfes. Die Dynastie ist in Oestreich eine so allgemein gefühlte Nothwendigkeit für den Verband der Provinzen und selbst der einzelnen Stände, daß nur der Wahnsinn in irgend einem Augenblicke an den Sturz derselben hätte denken können. So kann anch von eigentlichem Hochverrats als Verbrechens ge¬ gen die Person des Landesfürsten, bei der Verurtheilung der Aufgegriffenen keine Rede sein. Die Armee jedoch fühlt in dem Widerstande gegen sich die Person des Kaisers verletzt und sucht nun den Bestand der Monarchie auf den blutigen Gräbern der Hingerichteten dauernd zu befestigen. Ein Ministerium ist an's Ru¬ der gelangt, welches, wie wir aus dessen Programm ersehen, die bittern Erfah¬ rungen der vergangenen Monate wohl beherzigt, und endlich dem Urgründe aller bisherigen östreichischen Revolutionen seit den Märztagen, dem Mangel eines po¬ litischen Systems durch eine offene Darstellung der gegenwärtigen Lage des Staa¬ tes ein Ziel gesetzt hat. Die aufrichtigen Radicalen werden eben so wie die auf¬ richtigen Konservativen mit Freuden ein Ministerium begrüßen, welches endlich der Plan- und Haltlosigkeit der Negierung ein Ende macht. Freilich hätte ein Ministerium Stadion vor den Mai- und Octobertagen ein von dem jetzigen we¬ sentlich verschiedenes Programm gegeben. Traurig genug, daß selbst unsere aner¬ kannten organisirenden Staatsmänner aus dem Blute des Volkes ihre Weisheit schöpfen müssen. Es war nicht meine Absicht, Ihnen hente speciell unsere östreichischen Zu¬ stände vor die Augen zu führen. Aber die Vorwürfe, mit welchen Sie mich in dem offenen Briefe überhäuft hatten, lassen vermuthen, daß Sie alle Schuld an der unseligen Entwickelung des blutigen Wiener Dramas den deutschen Demokra¬ ten beizumessen gesonnen seien. Die Flucht der Czechen und das Herbeieilen der Ungarn hatte der ganzen Wiener Bewegung einen nationalen Anstrich gegeben, welcher durch die Tödtung des deutschen Abgeordneten Robert Blum noch ins Grellste erhöht wurde. Und doch war dies nur der bunte Vorhang, hinter wel¬ chem der rohe Kampf zwischen der Militairgewalt und der bewaffneten Volksmacht entschieden wurde. Ob nun das Volk durch die Politik der Regierung oder durch Aufreizung der Demokraten zur Revolution getrieben wurde, kann jetzt, nachdem das Programm des neuen Ministeriums vor uns liegt, leichter beantwortet wer¬ den. Sie finden in diesem Programme alle jene Pnnkte erwähnt, welche bisher zum Zankapfel der Parteien gedient haben. Die Verhältnisse zu Deutschland,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/438>, abgerufen am 22.07.2024.