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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Das Wesen der Demokratie.
i.
Verus. Lricdmann an L. ASßler.



Lieber Freund! Sie hatten mich in Ihrem offenen Briefe*) vor mehreren
Wochen mit Vorwürfen überhäuft, welche ich nur durch den Eifer erklärlich finde,
mit welchem Sie das politische Bekehrungswerk an mir zu vollbringen suchten.
Sie nahmen kurzweg an, daß ich die Rettung Deutschlands von den Wienern
hoffte, daß ich mit der äußersten Linken in Frankfurt und Wien eine Losreißung
Italiens und Polens von Oestreich und das Aufgehen Deutschvstreichs in der
deutschen Republik wünsche. Sie schalten mich einen jugendlichen Enthusiasten, der
noch im Freiheitstaumel der Märztage stecke. Sie suchten mir endlich das Schauer-
bild der permanenten Revolution vor die Augen zu führen, um daraus und aus
der Charakterlosigkeit der deutscheu Demokraten die Nothwendigkeit zu beweisen,
daß wir nunmehr "für positive Schöpfungen der Freiheit gegen die zwecklose Fort¬
setzung der Revolution kämpfen müssen." Ihre Schilderung der deutschen Repu¬
blikaner und Demokraten war lebendig und wahr. Ich hatte Gelegenheit, mich
auf meiner Flugreise durch Deutschland, welche mich damals anch für einige
Stunden zu Ihnen brachte, davon zu überzeug/n. Die Waffenstillstandsfrage hatte
gerade zu dieser Zeit alle passionnten Demokraten von Neuem auf die Beine ge¬
bracht und das souveräne Volk wurde in allen deutschen Gauen und Tanzsälen
versammelt und haranguirt. Adressen und Gegenpetitionen flogen nach Frank¬
furt, Süddeutschland wollte sich wie Ein Mann erheben, die Rheinlande ertönten
wieder vom Heckerliede -- und das linke Centrum im Parlament wurde weich und
stimmte für die Sistiruug des dänisch-preußischen Vertrages.

Wer hätte da nicht an ein Neichsministerium der Linken gedacht? (!!) Es
war die erste wichtige Kompetenzfrage, in welcher sich die Kraft der Centralgewalt
bewähren sollte. Der diplomatische Vereinbarnngsweg, welchen die Centralgewalt
seit ihrem Entstehen bis ans den heutigen Tag gegenüber den Einzelstaaten ein¬
geschlagen hat, mußte manchem feurigen Patrioten jede Hoffnung benehmen, daß
eine Realisirung des starken deutschen Bundesstaates durch die Negierungspolitik
der Herren Schmerling-Heckscher-Bassermann gelingen würde. Den Reichsfrieden
durch Belagerungszustände und Reichstruppen herzustellen, die Conflicte zwischen
Fürsten und Volk in den Bundesstaaten durch Absendung von Reichscommissarien
zu schlichten, den demagogischen Umtrieben mit polizeilichen Maßregeln von Reichs-



Grenzboten vom 82. September.
Das Wesen der Demokratie.
i.
Verus. Lricdmann an L. ASßler.



Lieber Freund! Sie hatten mich in Ihrem offenen Briefe*) vor mehreren
Wochen mit Vorwürfen überhäuft, welche ich nur durch den Eifer erklärlich finde,
mit welchem Sie das politische Bekehrungswerk an mir zu vollbringen suchten.
Sie nahmen kurzweg an, daß ich die Rettung Deutschlands von den Wienern
hoffte, daß ich mit der äußersten Linken in Frankfurt und Wien eine Losreißung
Italiens und Polens von Oestreich und das Aufgehen Deutschvstreichs in der
deutschen Republik wünsche. Sie schalten mich einen jugendlichen Enthusiasten, der
noch im Freiheitstaumel der Märztage stecke. Sie suchten mir endlich das Schauer-
bild der permanenten Revolution vor die Augen zu führen, um daraus und aus
der Charakterlosigkeit der deutscheu Demokraten die Nothwendigkeit zu beweisen,
daß wir nunmehr „für positive Schöpfungen der Freiheit gegen die zwecklose Fort¬
setzung der Revolution kämpfen müssen." Ihre Schilderung der deutschen Repu¬
blikaner und Demokraten war lebendig und wahr. Ich hatte Gelegenheit, mich
auf meiner Flugreise durch Deutschland, welche mich damals anch für einige
Stunden zu Ihnen brachte, davon zu überzeug/n. Die Waffenstillstandsfrage hatte
gerade zu dieser Zeit alle passionnten Demokraten von Neuem auf die Beine ge¬
bracht und das souveräne Volk wurde in allen deutschen Gauen und Tanzsälen
versammelt und haranguirt. Adressen und Gegenpetitionen flogen nach Frank¬
furt, Süddeutschland wollte sich wie Ein Mann erheben, die Rheinlande ertönten
wieder vom Heckerliede — und das linke Centrum im Parlament wurde weich und
stimmte für die Sistiruug des dänisch-preußischen Vertrages.

Wer hätte da nicht an ein Neichsministerium der Linken gedacht? (!!) Es
war die erste wichtige Kompetenzfrage, in welcher sich die Kraft der Centralgewalt
bewähren sollte. Der diplomatische Vereinbarnngsweg, welchen die Centralgewalt
seit ihrem Entstehen bis ans den heutigen Tag gegenüber den Einzelstaaten ein¬
geschlagen hat, mußte manchem feurigen Patrioten jede Hoffnung benehmen, daß
eine Realisirung des starken deutschen Bundesstaates durch die Negierungspolitik
der Herren Schmerling-Heckscher-Bassermann gelingen würde. Den Reichsfrieden
durch Belagerungszustände und Reichstruppen herzustellen, die Conflicte zwischen
Fürsten und Volk in den Bundesstaaten durch Absendung von Reichscommissarien
zu schlichten, den demagogischen Umtrieben mit polizeilichen Maßregeln von Reichs-



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[0436] Das Wesen der Demokratie. i. Verus. Lricdmann an L. ASßler. Lieber Freund! Sie hatten mich in Ihrem offenen Briefe*) vor mehreren Wochen mit Vorwürfen überhäuft, welche ich nur durch den Eifer erklärlich finde, mit welchem Sie das politische Bekehrungswerk an mir zu vollbringen suchten. Sie nahmen kurzweg an, daß ich die Rettung Deutschlands von den Wienern hoffte, daß ich mit der äußersten Linken in Frankfurt und Wien eine Losreißung Italiens und Polens von Oestreich und das Aufgehen Deutschvstreichs in der deutschen Republik wünsche. Sie schalten mich einen jugendlichen Enthusiasten, der noch im Freiheitstaumel der Märztage stecke. Sie suchten mir endlich das Schauer- bild der permanenten Revolution vor die Augen zu führen, um daraus und aus der Charakterlosigkeit der deutscheu Demokraten die Nothwendigkeit zu beweisen, daß wir nunmehr „für positive Schöpfungen der Freiheit gegen die zwecklose Fort¬ setzung der Revolution kämpfen müssen." Ihre Schilderung der deutschen Repu¬ blikaner und Demokraten war lebendig und wahr. Ich hatte Gelegenheit, mich auf meiner Flugreise durch Deutschland, welche mich damals anch für einige Stunden zu Ihnen brachte, davon zu überzeug/n. Die Waffenstillstandsfrage hatte gerade zu dieser Zeit alle passionnten Demokraten von Neuem auf die Beine ge¬ bracht und das souveräne Volk wurde in allen deutschen Gauen und Tanzsälen versammelt und haranguirt. Adressen und Gegenpetitionen flogen nach Frank¬ furt, Süddeutschland wollte sich wie Ein Mann erheben, die Rheinlande ertönten wieder vom Heckerliede — und das linke Centrum im Parlament wurde weich und stimmte für die Sistiruug des dänisch-preußischen Vertrages. Wer hätte da nicht an ein Neichsministerium der Linken gedacht? (!!) Es war die erste wichtige Kompetenzfrage, in welcher sich die Kraft der Centralgewalt bewähren sollte. Der diplomatische Vereinbarnngsweg, welchen die Centralgewalt seit ihrem Entstehen bis ans den heutigen Tag gegenüber den Einzelstaaten ein¬ geschlagen hat, mußte manchem feurigen Patrioten jede Hoffnung benehmen, daß eine Realisirung des starken deutschen Bundesstaates durch die Negierungspolitik der Herren Schmerling-Heckscher-Bassermann gelingen würde. Den Reichsfrieden durch Belagerungszustände und Reichstruppen herzustellen, die Conflicte zwischen Fürsten und Volk in den Bundesstaaten durch Absendung von Reichscommissarien zu schlichten, den demagogischen Umtrieben mit polizeilichen Maßregeln von Reichs- Grenzboten vom 82. September.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/436>, abgerufen am 22.07.2024.