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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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ihm seine Abrichter nicht und er selbst schwärmt zu sehr für die Nationalbewaff¬
nung, als daß er Dich nicht über solche kleinliche Angst auslachen sollte.

So viel ist aber richtig, dürste es in Dentschland nur Stammesstciaten in
Zukunft geben, so müßten alle gegenwärtig bestehenden erst cassirt werden, denn
in Wahrheit und zum Glück sür Deutschland ist keiner ans dieses Princip gebaut,
das überhaupt in unsrer Geschichte eine ganz andre Rolle spielt, als die zu wissen
scheinen, welche gegenwärtig so sehr damit coquettiren. Allerdings gab es einmal
eine Zeit, wo es wirklich die erste Rolle spielte, doch diese liegt jetzt über tausend
Jahre hinter uns. Ehe der fränkische Pipin und Karl der Große alles deutsche
Land zu einem Staatsorganismus vereinigten, war das goldne Zeitalter der
Stämme und Stammeseigenthümlichkeiten, vorab eines recht gründlichen Stammes¬
hasses, der den Baier von den Alemannen und beide wieder von dem Sachsen
und Franken schied. Sie waren auf dem besten Wege, ähnlich wie die verschie¬
denen Horden der Rothhäute Amerikas über dem Bewußtsein des Stammvollblutes
den Rest von Nationalgefühl, der sich aus früheren Zeiten erhalten, ganz zu ver¬
lieren und in allen Dingen jeder seinen eigenen Weg zu gehen. Ob sie am Ende
auch noch zu selbstständigen Stammessprachen gediehen waren, weiß ich nicht, doch
ist es sehr wahrscheinlich, denn auch hierin waren sie die Glieder eines Volkes
auf eine ganz unbegreifliche Weise bereits einander entfremdet. Es ist das Ver¬
dienst der fränkischen Herrscher, diesen Stammkazikenthümern für immer ein Ende
gemacht zu haben. Theils geschah es durch die vollständige Auflösung ihrer poli¬
tischen Selbstständigkeit -- Karl der Große setzte den letzten sogenannten National-
Herzog, Thasstlo von Baiern, ab, und bildete nach politischen und administrativen
Gesichtspunkten aus den großen Stammeslandschasten Baiern und Sachsen ein
halbes Hundert kleinerer Bezirke unter Staatsbeamten, den Grafen, deren Brauch¬
barkeit in den übrigen Provinzen des ungeheuern Reichs sich bereits auf's glän¬
zendste bewährt hatte -- theils durch die Kirche, die sich bei der Abgrenzung
ihrer erzbischöflichen Sprengel nicht im geringsten und zwar ans demselben Grunde,
wie die Könige und Kaiser, um die Stammeseigenthümlichkeiten kümmerte. Allen¬
falls ließ sich noch eine deutsche Nationalkirche ertragen, aber nimmermehr eine
bairische, sächsische oder alemannische.

Von da an war die Lebenskraft der Stämme geknickt. Hatte sie sich ja doch
auch früher nur in negativer Weise, d. h. in einer starren separatistischen Tendenz
zu äußern vermocht, und schon dadurch, glaube ich, hinreichend erwiesen, daß sie
keine gesunde Natur besaß. Jetzt gab es wenigstens den Ansatz zu einem deutschen
Staate, und trotz aller Zuckungen dieses niedergeschmetterten, aber nicht ganz ge-
tödteten Particularismus ist Deutschland seitdem nie wieder nach dem Principe
der Stammesabsonderung auseinandergefallen. Wo es zum Vorschein kam, wurde
es von nun an als ein bloßes rebellisches Gelüste behandelt, wovon die spätere


ihm seine Abrichter nicht und er selbst schwärmt zu sehr für die Nationalbewaff¬
nung, als daß er Dich nicht über solche kleinliche Angst auslachen sollte.

So viel ist aber richtig, dürste es in Dentschland nur Stammesstciaten in
Zukunft geben, so müßten alle gegenwärtig bestehenden erst cassirt werden, denn
in Wahrheit und zum Glück sür Deutschland ist keiner ans dieses Princip gebaut,
das überhaupt in unsrer Geschichte eine ganz andre Rolle spielt, als die zu wissen
scheinen, welche gegenwärtig so sehr damit coquettiren. Allerdings gab es einmal
eine Zeit, wo es wirklich die erste Rolle spielte, doch diese liegt jetzt über tausend
Jahre hinter uns. Ehe der fränkische Pipin und Karl der Große alles deutsche
Land zu einem Staatsorganismus vereinigten, war das goldne Zeitalter der
Stämme und Stammeseigenthümlichkeiten, vorab eines recht gründlichen Stammes¬
hasses, der den Baier von den Alemannen und beide wieder von dem Sachsen
und Franken schied. Sie waren auf dem besten Wege, ähnlich wie die verschie¬
denen Horden der Rothhäute Amerikas über dem Bewußtsein des Stammvollblutes
den Rest von Nationalgefühl, der sich aus früheren Zeiten erhalten, ganz zu ver¬
lieren und in allen Dingen jeder seinen eigenen Weg zu gehen. Ob sie am Ende
auch noch zu selbstständigen Stammessprachen gediehen waren, weiß ich nicht, doch
ist es sehr wahrscheinlich, denn auch hierin waren sie die Glieder eines Volkes
auf eine ganz unbegreifliche Weise bereits einander entfremdet. Es ist das Ver¬
dienst der fränkischen Herrscher, diesen Stammkazikenthümern für immer ein Ende
gemacht zu haben. Theils geschah es durch die vollständige Auflösung ihrer poli¬
tischen Selbstständigkeit — Karl der Große setzte den letzten sogenannten National-
Herzog, Thasstlo von Baiern, ab, und bildete nach politischen und administrativen
Gesichtspunkten aus den großen Stammeslandschasten Baiern und Sachsen ein
halbes Hundert kleinerer Bezirke unter Staatsbeamten, den Grafen, deren Brauch¬
barkeit in den übrigen Provinzen des ungeheuern Reichs sich bereits auf's glän¬
zendste bewährt hatte — theils durch die Kirche, die sich bei der Abgrenzung
ihrer erzbischöflichen Sprengel nicht im geringsten und zwar ans demselben Grunde,
wie die Könige und Kaiser, um die Stammeseigenthümlichkeiten kümmerte. Allen¬
falls ließ sich noch eine deutsche Nationalkirche ertragen, aber nimmermehr eine
bairische, sächsische oder alemannische.

Von da an war die Lebenskraft der Stämme geknickt. Hatte sie sich ja doch
auch früher nur in negativer Weise, d. h. in einer starren separatistischen Tendenz
zu äußern vermocht, und schon dadurch, glaube ich, hinreichend erwiesen, daß sie
keine gesunde Natur besaß. Jetzt gab es wenigstens den Ansatz zu einem deutschen
Staate, und trotz aller Zuckungen dieses niedergeschmetterten, aber nicht ganz ge-
tödteten Particularismus ist Deutschland seitdem nie wieder nach dem Principe
der Stammesabsonderung auseinandergefallen. Wo es zum Vorschein kam, wurde
es von nun an als ein bloßes rebellisches Gelüste behandelt, wovon die spätere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/379>, abgerufen am 26.12.2024.