Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.Aus Pro g. Wer jetzt nach Prag kommt, wird es nicht im Geringsten gewahr, daß er Der böhmische Löwe behauptet mitten im Drange der Begebenheiten das Aus Pro g. Wer jetzt nach Prag kommt, wird es nicht im Geringsten gewahr, daß er Der böhmische Löwe behauptet mitten im Drange der Begebenheiten das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277119"/> </div> <div n="1"> <head> Aus Pro g.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1087"> Wer jetzt nach Prag kommt, wird es nicht im Geringsten gewahr, daß er<lb/> den Boden eines Staates betteten, dessen Hauptstadt einen Monat lang von<lb/> einem lebensgefährlichen revolutionären Fieber und den andern Monat hindurch<lb/> von einem eben so bedenklichen Heilmittel aus das Fürchterlichste hergenommen<lb/> wurde. Während man das Volk von Wien, welches sich seine Souveränität ans<lb/> dem Zeughause holte, durch die concrete Macht der Soldateska im Zaum hält,<lb/> weil ihm die Schranke des Gesetzes zu abstract war: wird in Prag mit voller<lb/> Sammlung des Geistes an der Organisirung der neuen Gerichtsbehörden gear¬<lb/> beitet, ein Disciplinargesetz für die Nationalgarde in Berathung gezogen, die<lb/> Aula für die Vorlesungen des neu beginnenden Schuljahrs geöffnet, das Theater<lb/> und der Concertsaal fleißiger als je besucht. Diese wenigen Blüthen, welche aber<lb/> nur der Oelzweig des Friedens zu treiben vermag, stehen in einem sonderbaren<lb/> Contrast zu der blos negativen Macht des Schwertes, welche der Anarchie in<lb/> Wien durch Willkür ein Ende machte. Seit dem 6. October haben wir in Prag<lb/> keine andere Anarchie, als die des Münzstandes wahrgenommen, — und auch die¬<lb/> ser beschloß unser Stadtrath durch ein die Cursiv-Silbermünze vertretendes und<lb/> gegen Banknoten einlösbares Papiergeld (im Betrage von 150,000 si. C.-M.)<lb/> unter Haftung der Commune vorläufig abzuhelfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Der böhmische Löwe behauptet mitten im Drange der Begebenheiten das<lb/> Phlegma einer egyptischen Sphinx, und fleht mit unveränderter Miene, aber auch<lb/> mit stillem Behagen nach der Donau hin, wo die östreichische Regierung durch<lb/> die drei Kugeln, welche Blum tödteten, nach der czechischen Interpretation eine lako¬<lb/> nische Erklärung über die ersten §K. des deutschen Verfassungsentwurfes abgege^<lb/> ben und den südslavischen Stammgenossen der Czechen das loyale Vergnügen<lb/> vergönnt hat, an den Feinden ihrer nationalen Entwicklung im Namen der Inte¬<lb/> grität Oestreichs persönliche Rache zu nehmen. So glauben die Czechen, aber<lb/> es ist eine arge Selbsttäuschung, wenn sie sich die dynastische Politik so ganz und<lb/> gar mundgerecht machen. Blum mußte das leere Pathos, mir dem er gegen den<lb/> ungenählen Rock Chnsti und den Purpur der Könige in gleicher Weise geeifert<lb/> hatte, mit seinem Leben büßen; aber seine Hinrichtung war keine beabsichtigte<lb/> Demonstration gegen die deutsche Nationalversammlung, sondern eben nur eine<lb/> grausame Naivetät jenes starren Kriegers, der sein graues Haar aus der Zeit<lb/> des Absolutismus in jene, die uus gehört, herüberbrachte. Anderseits sucht die<lb/> Regierung den Nationalhaß der Slaven gegen die Magyaren nur als ein wirk-<lb/> sames Vehikel für ihre dynastischen Zwecke auszubeuten; sie hat jenen Dämon</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0363]
Aus Pro g.
Wer jetzt nach Prag kommt, wird es nicht im Geringsten gewahr, daß er
den Boden eines Staates betteten, dessen Hauptstadt einen Monat lang von
einem lebensgefährlichen revolutionären Fieber und den andern Monat hindurch
von einem eben so bedenklichen Heilmittel aus das Fürchterlichste hergenommen
wurde. Während man das Volk von Wien, welches sich seine Souveränität ans
dem Zeughause holte, durch die concrete Macht der Soldateska im Zaum hält,
weil ihm die Schranke des Gesetzes zu abstract war: wird in Prag mit voller
Sammlung des Geistes an der Organisirung der neuen Gerichtsbehörden gear¬
beitet, ein Disciplinargesetz für die Nationalgarde in Berathung gezogen, die
Aula für die Vorlesungen des neu beginnenden Schuljahrs geöffnet, das Theater
und der Concertsaal fleißiger als je besucht. Diese wenigen Blüthen, welche aber
nur der Oelzweig des Friedens zu treiben vermag, stehen in einem sonderbaren
Contrast zu der blos negativen Macht des Schwertes, welche der Anarchie in
Wien durch Willkür ein Ende machte. Seit dem 6. October haben wir in Prag
keine andere Anarchie, als die des Münzstandes wahrgenommen, — und auch die¬
ser beschloß unser Stadtrath durch ein die Cursiv-Silbermünze vertretendes und
gegen Banknoten einlösbares Papiergeld (im Betrage von 150,000 si. C.-M.)
unter Haftung der Commune vorläufig abzuhelfen.
Der böhmische Löwe behauptet mitten im Drange der Begebenheiten das
Phlegma einer egyptischen Sphinx, und fleht mit unveränderter Miene, aber auch
mit stillem Behagen nach der Donau hin, wo die östreichische Regierung durch
die drei Kugeln, welche Blum tödteten, nach der czechischen Interpretation eine lako¬
nische Erklärung über die ersten §K. des deutschen Verfassungsentwurfes abgege^
ben und den südslavischen Stammgenossen der Czechen das loyale Vergnügen
vergönnt hat, an den Feinden ihrer nationalen Entwicklung im Namen der Inte¬
grität Oestreichs persönliche Rache zu nehmen. So glauben die Czechen, aber
es ist eine arge Selbsttäuschung, wenn sie sich die dynastische Politik so ganz und
gar mundgerecht machen. Blum mußte das leere Pathos, mir dem er gegen den
ungenählen Rock Chnsti und den Purpur der Könige in gleicher Weise geeifert
hatte, mit seinem Leben büßen; aber seine Hinrichtung war keine beabsichtigte
Demonstration gegen die deutsche Nationalversammlung, sondern eben nur eine
grausame Naivetät jenes starren Kriegers, der sein graues Haar aus der Zeit
des Absolutismus in jene, die uus gehört, herüberbrachte. Anderseits sucht die
Regierung den Nationalhaß der Slaven gegen die Magyaren nur als ein wirk-
sames Vehikel für ihre dynastischen Zwecke auszubeuten; sie hat jenen Dämon
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