Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bauen. Allein jene Organisation ist eine wesentlich deutsche und damit schon die
Zurede vor dem Sieg des Slaventhums widerlegt. Daß den Jellachich seine Lands-
leute mit "Zivio" anrufen und das Lied "Was ist des Deutschen Vaterland"
auszischen, ist noch kein Beweis für den Sieg des Slaventhums. In unsrer
realistischen Zeit bedeutet Vaterland nicht mehr die Sprachgrenze, sondern die po¬
litische und so klingt das Lied im Munde der Wiener wie Theilung Oestreichs.
Die Slaven aber, zunächst die Tschechen, haben durch ihre neueste Haltung den
Maßregeln in Wien gegenüber bewiesen, daß sie die Wiederherstellung des Staats
nicht als die Wiederherstellung des Despotismus verstehe". Sie wollen eine ver¬
ständige Demokratie. Die Aufgabe der Deutschen ist es, ihnen die Bruderhand
zu reichen und gemeinsam nach dem großen Ziele zu streben, welches die Zukunft
Oestreich anweist. Wer für die Interessen des Gesammtstaates am meisten pro¬
duktive Kraft entwickeln wird, dem gebührt die Hegemonie bei gleicher Autonomie
aller östreichischen Volker für die Interessen der engeren Kreise.

Wird Oestreich auch als deutscher Staat, wenn es selbstständige Zwecke ver¬
folgt, uns und unsrer Industrie nicht seine Grenze, den Weg nach Osten ver¬
schließen? Oestreich bedarf, um seine Ausgabe im Südosten zu lösen, eines kräf¬
tigen Verbündeten. Es hat im Südosten mit mächtigen Concurrenten zu kämpfen,
mit Rußland, England, Frankreich. Wer soll sein Verbündeter sein als Deutsch¬
land? Oestreich wird gegen unsern Handel nicht feindselig auftreten, schon aus
Gründen der politischen Allianz. Aber auch aus Gründen der handelspolitischen
Reciprocität. Es wird für viele seiner Produkte den natürlichsten Abnehmer in
Deutschland finden, anch für den Ueberschuß der asiatischen Einfuhr. Der asia¬
tische Zwischenhandel mit Deutschland wird ein Hanptzwcig seiner Thätigkeit sein.
Oestreich wird eine freundliche Handelspolitik gegen Deutschland um so sicherer
verfolge", je natürlicher und fruchtbarer jene Beziehungen des Verkehrs sind und
je mehr es zu den andern Hauptmächten die Stellung eines Rivalen einnimmt.

Aber wird Oestreich seine natürlichen Vortheile nicht vielleicht an den Despo¬
tismus verrathen? -- Es ist klar, daß Oestreich das Wesen der konstitutionelle"
Demokratie noch nicht so bald in vollem Maße wird verwirklichen können. Es
kann den Provinzial- oder Eiiizelvölkerschaftsintercssen die größtmögliche Autonomie
gewähren. Für die Leitung des Gesammtstaates wird es den Einfluß der National¬
vertreter vorläufig in die Grenzen der Berathung zurückweise" müssen, wenn anch
der Schein des Gegentheils bestehen bleiben sollte.

Hier müssen wir eine Betrachtung wieder aufnehmen, die wir vorhin nicht
vollendeten. Welches Interesse haben die Weltmächte an der Gestaltung des Süd.
osteus? Wir haben von England gesprochen. Wie steht es mit Nußland?

Rußland ist in Verständniß und Wahl seiner Mittel eben so Meister wie
England. Es begünstigt nicht ein ohnmächtiges zerrissenes Barbarenthum, wo es
sich, wie schon in Konstantinopel den Wechselfällen eines steten Jntriguenkampfes


bauen. Allein jene Organisation ist eine wesentlich deutsche und damit schon die
Zurede vor dem Sieg des Slaventhums widerlegt. Daß den Jellachich seine Lands-
leute mit „Zivio" anrufen und das Lied „Was ist des Deutschen Vaterland"
auszischen, ist noch kein Beweis für den Sieg des Slaventhums. In unsrer
realistischen Zeit bedeutet Vaterland nicht mehr die Sprachgrenze, sondern die po¬
litische und so klingt das Lied im Munde der Wiener wie Theilung Oestreichs.
Die Slaven aber, zunächst die Tschechen, haben durch ihre neueste Haltung den
Maßregeln in Wien gegenüber bewiesen, daß sie die Wiederherstellung des Staats
nicht als die Wiederherstellung des Despotismus verstehe». Sie wollen eine ver¬
ständige Demokratie. Die Aufgabe der Deutschen ist es, ihnen die Bruderhand
zu reichen und gemeinsam nach dem großen Ziele zu streben, welches die Zukunft
Oestreich anweist. Wer für die Interessen des Gesammtstaates am meisten pro¬
duktive Kraft entwickeln wird, dem gebührt die Hegemonie bei gleicher Autonomie
aller östreichischen Volker für die Interessen der engeren Kreise.

Wird Oestreich auch als deutscher Staat, wenn es selbstständige Zwecke ver¬
folgt, uns und unsrer Industrie nicht seine Grenze, den Weg nach Osten ver¬
schließen? Oestreich bedarf, um seine Ausgabe im Südosten zu lösen, eines kräf¬
tigen Verbündeten. Es hat im Südosten mit mächtigen Concurrenten zu kämpfen,
mit Rußland, England, Frankreich. Wer soll sein Verbündeter sein als Deutsch¬
land? Oestreich wird gegen unsern Handel nicht feindselig auftreten, schon aus
Gründen der politischen Allianz. Aber auch aus Gründen der handelspolitischen
Reciprocität. Es wird für viele seiner Produkte den natürlichsten Abnehmer in
Deutschland finden, anch für den Ueberschuß der asiatischen Einfuhr. Der asia¬
tische Zwischenhandel mit Deutschland wird ein Hanptzwcig seiner Thätigkeit sein.
Oestreich wird eine freundliche Handelspolitik gegen Deutschland um so sicherer
verfolge», je natürlicher und fruchtbarer jene Beziehungen des Verkehrs sind und
je mehr es zu den andern Hauptmächten die Stellung eines Rivalen einnimmt.

Aber wird Oestreich seine natürlichen Vortheile nicht vielleicht an den Despo¬
tismus verrathen? — Es ist klar, daß Oestreich das Wesen der konstitutionelle«
Demokratie noch nicht so bald in vollem Maße wird verwirklichen können. Es
kann den Provinzial- oder Eiiizelvölkerschaftsintercssen die größtmögliche Autonomie
gewähren. Für die Leitung des Gesammtstaates wird es den Einfluß der National¬
vertreter vorläufig in die Grenzen der Berathung zurückweise» müssen, wenn anch
der Schein des Gegentheils bestehen bleiben sollte.

Hier müssen wir eine Betrachtung wieder aufnehmen, die wir vorhin nicht
vollendeten. Welches Interesse haben die Weltmächte an der Gestaltung des Süd.
osteus? Wir haben von England gesprochen. Wie steht es mit Nußland?

Rußland ist in Verständniß und Wahl seiner Mittel eben so Meister wie
England. Es begünstigt nicht ein ohnmächtiges zerrissenes Barbarenthum, wo es
sich, wie schon in Konstantinopel den Wechselfällen eines steten Jntriguenkampfes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277116"/>
          <p xml:id="ID_1075" prev="#ID_1074"> bauen. Allein jene Organisation ist eine wesentlich deutsche und damit schon die<lb/>
Zurede vor dem Sieg des Slaventhums widerlegt. Daß den Jellachich seine Lands-<lb/>
leute mit &#x201E;Zivio" anrufen und das Lied &#x201E;Was ist des Deutschen Vaterland"<lb/>
auszischen, ist noch kein Beweis für den Sieg des Slaventhums. In unsrer<lb/>
realistischen Zeit bedeutet Vaterland nicht mehr die Sprachgrenze, sondern die po¬<lb/>
litische und so klingt das Lied im Munde der Wiener wie Theilung Oestreichs.<lb/>
Die Slaven aber, zunächst die Tschechen, haben durch ihre neueste Haltung den<lb/>
Maßregeln in Wien gegenüber bewiesen, daß sie die Wiederherstellung des Staats<lb/>
nicht als die Wiederherstellung des Despotismus verstehe». Sie wollen eine ver¬<lb/>
ständige Demokratie. Die Aufgabe der Deutschen ist es, ihnen die Bruderhand<lb/>
zu reichen und gemeinsam nach dem großen Ziele zu streben, welches die Zukunft<lb/>
Oestreich anweist. Wer für die Interessen des Gesammtstaates am meisten pro¬<lb/>
duktive Kraft entwickeln wird, dem gebührt die Hegemonie bei gleicher Autonomie<lb/>
aller östreichischen Volker für die Interessen der engeren Kreise.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1076"> Wird Oestreich auch als deutscher Staat, wenn es selbstständige Zwecke ver¬<lb/>
folgt, uns und unsrer Industrie nicht seine Grenze, den Weg nach Osten ver¬<lb/>
schließen? Oestreich bedarf, um seine Ausgabe im Südosten zu lösen, eines kräf¬<lb/>
tigen Verbündeten. Es hat im Südosten mit mächtigen Concurrenten zu kämpfen,<lb/>
mit Rußland, England, Frankreich. Wer soll sein Verbündeter sein als Deutsch¬<lb/>
land? Oestreich wird gegen unsern Handel nicht feindselig auftreten, schon aus<lb/>
Gründen der politischen Allianz. Aber auch aus Gründen der handelspolitischen<lb/>
Reciprocität. Es wird für viele seiner Produkte den natürlichsten Abnehmer in<lb/>
Deutschland finden, anch für den Ueberschuß der asiatischen Einfuhr. Der asia¬<lb/>
tische Zwischenhandel mit Deutschland wird ein Hanptzwcig seiner Thätigkeit sein.<lb/>
Oestreich wird eine freundliche Handelspolitik gegen Deutschland um so sicherer<lb/>
verfolge», je natürlicher und fruchtbarer jene Beziehungen des Verkehrs sind und<lb/>
je mehr es zu den andern Hauptmächten die Stellung eines Rivalen einnimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1077"> Aber wird Oestreich seine natürlichen Vortheile nicht vielleicht an den Despo¬<lb/>
tismus verrathen? &#x2014; Es ist klar, daß Oestreich das Wesen der konstitutionelle«<lb/>
Demokratie noch nicht so bald in vollem Maße wird verwirklichen können. Es<lb/>
kann den Provinzial- oder Eiiizelvölkerschaftsintercssen die größtmögliche Autonomie<lb/>
gewähren. Für die Leitung des Gesammtstaates wird es den Einfluß der National¬<lb/>
vertreter vorläufig in die Grenzen der Berathung zurückweise» müssen, wenn anch<lb/>
der Schein des Gegentheils bestehen bleiben sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1078"> Hier müssen wir eine Betrachtung wieder aufnehmen, die wir vorhin nicht<lb/>
vollendeten. Welches Interesse haben die Weltmächte an der Gestaltung des Süd.<lb/>
osteus? Wir haben von England gesprochen. Wie steht es mit Nußland?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1079" next="#ID_1080"> Rußland ist in Verständniß und Wahl seiner Mittel eben so Meister wie<lb/>
England. Es begünstigt nicht ein ohnmächtiges zerrissenes Barbarenthum, wo es<lb/>
sich, wie schon in Konstantinopel den Wechselfällen eines steten Jntriguenkampfes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0360] bauen. Allein jene Organisation ist eine wesentlich deutsche und damit schon die Zurede vor dem Sieg des Slaventhums widerlegt. Daß den Jellachich seine Lands- leute mit „Zivio" anrufen und das Lied „Was ist des Deutschen Vaterland" auszischen, ist noch kein Beweis für den Sieg des Slaventhums. In unsrer realistischen Zeit bedeutet Vaterland nicht mehr die Sprachgrenze, sondern die po¬ litische und so klingt das Lied im Munde der Wiener wie Theilung Oestreichs. Die Slaven aber, zunächst die Tschechen, haben durch ihre neueste Haltung den Maßregeln in Wien gegenüber bewiesen, daß sie die Wiederherstellung des Staats nicht als die Wiederherstellung des Despotismus verstehe». Sie wollen eine ver¬ ständige Demokratie. Die Aufgabe der Deutschen ist es, ihnen die Bruderhand zu reichen und gemeinsam nach dem großen Ziele zu streben, welches die Zukunft Oestreich anweist. Wer für die Interessen des Gesammtstaates am meisten pro¬ duktive Kraft entwickeln wird, dem gebührt die Hegemonie bei gleicher Autonomie aller östreichischen Volker für die Interessen der engeren Kreise. Wird Oestreich auch als deutscher Staat, wenn es selbstständige Zwecke ver¬ folgt, uns und unsrer Industrie nicht seine Grenze, den Weg nach Osten ver¬ schließen? Oestreich bedarf, um seine Ausgabe im Südosten zu lösen, eines kräf¬ tigen Verbündeten. Es hat im Südosten mit mächtigen Concurrenten zu kämpfen, mit Rußland, England, Frankreich. Wer soll sein Verbündeter sein als Deutsch¬ land? Oestreich wird gegen unsern Handel nicht feindselig auftreten, schon aus Gründen der politischen Allianz. Aber auch aus Gründen der handelspolitischen Reciprocität. Es wird für viele seiner Produkte den natürlichsten Abnehmer in Deutschland finden, anch für den Ueberschuß der asiatischen Einfuhr. Der asia¬ tische Zwischenhandel mit Deutschland wird ein Hanptzwcig seiner Thätigkeit sein. Oestreich wird eine freundliche Handelspolitik gegen Deutschland um so sicherer verfolge», je natürlicher und fruchtbarer jene Beziehungen des Verkehrs sind und je mehr es zu den andern Hauptmächten die Stellung eines Rivalen einnimmt. Aber wird Oestreich seine natürlichen Vortheile nicht vielleicht an den Despo¬ tismus verrathen? — Es ist klar, daß Oestreich das Wesen der konstitutionelle« Demokratie noch nicht so bald in vollem Maße wird verwirklichen können. Es kann den Provinzial- oder Eiiizelvölkerschaftsintercssen die größtmögliche Autonomie gewähren. Für die Leitung des Gesammtstaates wird es den Einfluß der National¬ vertreter vorläufig in die Grenzen der Berathung zurückweise» müssen, wenn anch der Schein des Gegentheils bestehen bleiben sollte. Hier müssen wir eine Betrachtung wieder aufnehmen, die wir vorhin nicht vollendeten. Welches Interesse haben die Weltmächte an der Gestaltung des Süd. osteus? Wir haben von England gesprochen. Wie steht es mit Nußland? Rußland ist in Verständniß und Wahl seiner Mittel eben so Meister wie England. Es begünstigt nicht ein ohnmächtiges zerrissenes Barbarenthum, wo es sich, wie schon in Konstantinopel den Wechselfällen eines steten Jntriguenkampfes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/360
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/360>, abgerufen am 24.11.2024.