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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Staaisganze auszuüben verstanden, weil ihnen die schöpferische Kraft fehlte. Man
sollte denken, aus dieser freien, bevorzugten Aristokratie, der einzigen, die inner¬
halb des Kaiserthums einer solchen Ungebundenheit sich zu erfreuen hatte, sei eine
Reihe östreichischer Staatsmänner und Feldherrn hervorgegangen. Wir finden
unter den ersten Namen aber vorzugsweise Deutsche, einige Wälsche und Slaven.

Die ungarische Sprache ist ohne Literatur, ohne Entwickelung. Ein guter Theil
der Worte sind lateinische mit magyarischen Endungen. Seit die Nationalitäts¬
schnurre bei den Ungarn Mode geworden, haben sie eine Literatur auf alle Weise
künstlich hervorzurufen und alle Fremdwörter auszumerzen gesucht. Zu beiden Zwecken
haben sie eine Unmasse neuer Worte erfunden, so daß die Szekler dieses Nenuu-
garisch nicht mehr verstehen nud ein alter Ungar, der in Pesth ein neumodisches
Trauerspiel mit ansah,', ausrief: Die jungen Herrn erfinden lauter neue Worte,
ich verstehe nichts von dem ganzen Ding! Ethnographen erklären die unzählbare
Menge der amerikanischen Sprachen zum Theil dadurch, daß es den Wilden eines
schönen Morgens einfällt, eine neue Sprache zu erfinden, die sie wie Kinder aus
beliebigen Lauten willkürlich zusammensetzen.

Die Deutschen können allenfalls selbst unter einer slavischen Herrschaft ein¬
trächtig neben den Slaven wohnen, sie wissen, daß die Slaven sich durch die
deutsche Cultur ergänzen müssen, wenn sie sich aus der Barbarei herausarbeiten
wollen. Die Ungarn haben lange nicht selbstständigen Reichthum an nationalen
Kräften genug, um die sie umgebenden an Zahl und Produktionskraft ihnen weit
überlegenen Völkerschaften frei gewähren lassen zu können. Von der sich bildenden
deutsch-slavischen Cultur würde ihre Eigenthümlichkeit bald hinweggeschwemmt wer¬
den, vor der großen Aufnahme fremden Gutes das eigne verschwinden. Sie müssen
daher die freie Entwickelung der ihnen untergebenen Völkerschaften hemmen, ihnen
sogar die Sprache ans ihrer schlechten Wvrtrafsinerie aufzwüngen, wie sie es bis¬
her gethan haben. Ans dieser Unnatur entstehen ewige innere Zwistigkeiten, ein
vulkanischer Boden auf dem keine staatliche Blüthe gedeihen kaun.

Wir müssen nun fragen, wie zu dem Plan im europäischen Südosten eine
neue Weltmacht zu gründen, die existirenden Weltmächte sich verhalten. Es gibt
in Europa nur zwei, England und Nußland. Deutschland und Oestreich sollen
es erst werden und Frankreich hat, mit Ausnahme der Napoleonischen Zeit, keine
Politik in großem Styl gehabt. Die französische Politik war immer zu sehr auf
unmittelbaren Erfolg, auf augenblicklich äußeren Effekt gerichtet, wie noch neuer¬
lich bei den spanischen Heirathen. Sie besaß nie die Geduld, weit aussehende
Ziele mit ruhiger Ausdauer planmäßig zu verfolgen. Eine Politik des Ehrgeizes,
aus raschen, glänzenden Gewinn, aber nicht auf eine fruchtbare Weltstellung ge¬
richtet, bis auf die Napoleonische Epoche, die beide Intentionen vereinigte.

Um die Stellung Englands zu der vorliegenden Frage zu begreisen, muß


Staaisganze auszuüben verstanden, weil ihnen die schöpferische Kraft fehlte. Man
sollte denken, aus dieser freien, bevorzugten Aristokratie, der einzigen, die inner¬
halb des Kaiserthums einer solchen Ungebundenheit sich zu erfreuen hatte, sei eine
Reihe östreichischer Staatsmänner und Feldherrn hervorgegangen. Wir finden
unter den ersten Namen aber vorzugsweise Deutsche, einige Wälsche und Slaven.

Die ungarische Sprache ist ohne Literatur, ohne Entwickelung. Ein guter Theil
der Worte sind lateinische mit magyarischen Endungen. Seit die Nationalitäts¬
schnurre bei den Ungarn Mode geworden, haben sie eine Literatur auf alle Weise
künstlich hervorzurufen und alle Fremdwörter auszumerzen gesucht. Zu beiden Zwecken
haben sie eine Unmasse neuer Worte erfunden, so daß die Szekler dieses Nenuu-
garisch nicht mehr verstehen nud ein alter Ungar, der in Pesth ein neumodisches
Trauerspiel mit ansah,', ausrief: Die jungen Herrn erfinden lauter neue Worte,
ich verstehe nichts von dem ganzen Ding! Ethnographen erklären die unzählbare
Menge der amerikanischen Sprachen zum Theil dadurch, daß es den Wilden eines
schönen Morgens einfällt, eine neue Sprache zu erfinden, die sie wie Kinder aus
beliebigen Lauten willkürlich zusammensetzen.

Die Deutschen können allenfalls selbst unter einer slavischen Herrschaft ein¬
trächtig neben den Slaven wohnen, sie wissen, daß die Slaven sich durch die
deutsche Cultur ergänzen müssen, wenn sie sich aus der Barbarei herausarbeiten
wollen. Die Ungarn haben lange nicht selbstständigen Reichthum an nationalen
Kräften genug, um die sie umgebenden an Zahl und Produktionskraft ihnen weit
überlegenen Völkerschaften frei gewähren lassen zu können. Von der sich bildenden
deutsch-slavischen Cultur würde ihre Eigenthümlichkeit bald hinweggeschwemmt wer¬
den, vor der großen Aufnahme fremden Gutes das eigne verschwinden. Sie müssen
daher die freie Entwickelung der ihnen untergebenen Völkerschaften hemmen, ihnen
sogar die Sprache ans ihrer schlechten Wvrtrafsinerie aufzwüngen, wie sie es bis¬
her gethan haben. Ans dieser Unnatur entstehen ewige innere Zwistigkeiten, ein
vulkanischer Boden auf dem keine staatliche Blüthe gedeihen kaun.

Wir müssen nun fragen, wie zu dem Plan im europäischen Südosten eine
neue Weltmacht zu gründen, die existirenden Weltmächte sich verhalten. Es gibt
in Europa nur zwei, England und Nußland. Deutschland und Oestreich sollen
es erst werden und Frankreich hat, mit Ausnahme der Napoleonischen Zeit, keine
Politik in großem Styl gehabt. Die französische Politik war immer zu sehr auf
unmittelbaren Erfolg, auf augenblicklich äußeren Effekt gerichtet, wie noch neuer¬
lich bei den spanischen Heirathen. Sie besaß nie die Geduld, weit aussehende
Ziele mit ruhiger Ausdauer planmäßig zu verfolgen. Eine Politik des Ehrgeizes,
aus raschen, glänzenden Gewinn, aber nicht auf eine fruchtbare Weltstellung ge¬
richtet, bis auf die Napoleonische Epoche, die beide Intentionen vereinigte.

Um die Stellung Englands zu der vorliegenden Frage zu begreisen, muß


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[0352] Staaisganze auszuüben verstanden, weil ihnen die schöpferische Kraft fehlte. Man sollte denken, aus dieser freien, bevorzugten Aristokratie, der einzigen, die inner¬ halb des Kaiserthums einer solchen Ungebundenheit sich zu erfreuen hatte, sei eine Reihe östreichischer Staatsmänner und Feldherrn hervorgegangen. Wir finden unter den ersten Namen aber vorzugsweise Deutsche, einige Wälsche und Slaven. Die ungarische Sprache ist ohne Literatur, ohne Entwickelung. Ein guter Theil der Worte sind lateinische mit magyarischen Endungen. Seit die Nationalitäts¬ schnurre bei den Ungarn Mode geworden, haben sie eine Literatur auf alle Weise künstlich hervorzurufen und alle Fremdwörter auszumerzen gesucht. Zu beiden Zwecken haben sie eine Unmasse neuer Worte erfunden, so daß die Szekler dieses Nenuu- garisch nicht mehr verstehen nud ein alter Ungar, der in Pesth ein neumodisches Trauerspiel mit ansah,', ausrief: Die jungen Herrn erfinden lauter neue Worte, ich verstehe nichts von dem ganzen Ding! Ethnographen erklären die unzählbare Menge der amerikanischen Sprachen zum Theil dadurch, daß es den Wilden eines schönen Morgens einfällt, eine neue Sprache zu erfinden, die sie wie Kinder aus beliebigen Lauten willkürlich zusammensetzen. Die Deutschen können allenfalls selbst unter einer slavischen Herrschaft ein¬ trächtig neben den Slaven wohnen, sie wissen, daß die Slaven sich durch die deutsche Cultur ergänzen müssen, wenn sie sich aus der Barbarei herausarbeiten wollen. Die Ungarn haben lange nicht selbstständigen Reichthum an nationalen Kräften genug, um die sie umgebenden an Zahl und Produktionskraft ihnen weit überlegenen Völkerschaften frei gewähren lassen zu können. Von der sich bildenden deutsch-slavischen Cultur würde ihre Eigenthümlichkeit bald hinweggeschwemmt wer¬ den, vor der großen Aufnahme fremden Gutes das eigne verschwinden. Sie müssen daher die freie Entwickelung der ihnen untergebenen Völkerschaften hemmen, ihnen sogar die Sprache ans ihrer schlechten Wvrtrafsinerie aufzwüngen, wie sie es bis¬ her gethan haben. Ans dieser Unnatur entstehen ewige innere Zwistigkeiten, ein vulkanischer Boden auf dem keine staatliche Blüthe gedeihen kaun. Wir müssen nun fragen, wie zu dem Plan im europäischen Südosten eine neue Weltmacht zu gründen, die existirenden Weltmächte sich verhalten. Es gibt in Europa nur zwei, England und Nußland. Deutschland und Oestreich sollen es erst werden und Frankreich hat, mit Ausnahme der Napoleonischen Zeit, keine Politik in großem Styl gehabt. Die französische Politik war immer zu sehr auf unmittelbaren Erfolg, auf augenblicklich äußeren Effekt gerichtet, wie noch neuer¬ lich bei den spanischen Heirathen. Sie besaß nie die Geduld, weit aussehende Ziele mit ruhiger Ausdauer planmäßig zu verfolgen. Eine Politik des Ehrgeizes, aus raschen, glänzenden Gewinn, aber nicht auf eine fruchtbare Weltstellung ge¬ richtet, bis auf die Napoleonische Epoche, die beide Intentionen vereinigte. Um die Stellung Englands zu der vorliegenden Frage zu begreisen, muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/352>, abgerufen am 24.11.2024.