Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.in das Frankfurter Parlament gewählt worden sind, machen unter den jetzigen Ver¬ in das Frankfurter Parlament gewählt worden sind, machen unter den jetzigen Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277011"/> <p xml:id="ID_729" prev="#ID_728" next="#ID_730"> in das Frankfurter Parlament gewählt worden sind, machen unter den jetzigen Ver¬<lb/> hältnissen dieselben Anschauungen über das Verhältniß Oestreichs zu Deutschland geltend,<lb/> die sie vor Monaten aus ihrer Heimath in die Kammer mitbrachten und die doch aus<lb/> einer wesentlich andern factischen Grundlage beruhten. Dadurch sind ihre politischen<lb/> Bekenntnisse zu abstracten Theorien geworden. So habe ich z. B. gesunden, daß die<lb/> Rede Reiters in Frankfurt, worin sich dieser sür das unbedingte Ausgehen der deutsch,<lb/> östreichischen Provinzen in Deutschland erklärt, nur eine Wiederholung jener Rede ist,<lb/> die er um die Zeit des Palacky scheu Sendschreibens an Soiron, im deutschen Verein<lb/> zu Prag gehalten hatte, ^ein^ol-l und-uitur. — Während aber unsere Deputaten in<lb/> der Paulskirche das entfernte Oestreich aus den Augen verlieren, legen die Deutsch¬<lb/> böhmen hier mehr Gewicht auf die parlamentarischen Discussionen in dem fernen Frank¬<lb/> furt, als auf die unmittelbare Dialektik der Thatsachen aus östreichischen Boden. Schon<lb/> früher ist mir oft das erkünstelte Interesse der Dentschböhmen an den allgemeinen Neichs-<lb/> fragcn aufgefallen, und es galt mir als ein Beweis, mit welcher Mühe sie sich zu über¬<lb/> reden suchten, daß sie in der That' dem deutschen Ncichsverbande angehören. Durch das<lb/> Fernrohr beobachteten sie den Ban jenes Staates, in dem sie schon bei Zeiten auf das<lb/> Bürgerrecht subscribirt hatten — und nichts dürfte z. B. drolliger sein, als die unlängst<lb/> gestellte Anfrage des deutschen Vereins von Leipa bei dem Ccntralverein von Reichen--<lb/> berg, ob eS nicht angemessener wäre, die Frankfurter Nationalversammlung mittelst<lb/> Adresse zu den entschiedensten Maßregeln und einer schonungsloser Strafe gegen die<lb/> Wühler aufzufordern." — Sowie man es in Prag vorzüglich daraus anlegt, zu beweisen,<lb/> daß Wien nicht Oestreich ist, so bemühen sich die Dentschböhmen der nördlichen Kreise<lb/> darzuthun, daß Prag nicht Böhmen sei. Aber auf diese Weise haben die drei Vororte<lb/> des deutschen Nordens, Reichenberg, Tvplitz und Eger, welche durch ihr Deutschthum<lb/> das exklusive Czechenthum Prags paralisiren sollen, eine Last des politischen Bewußtseins<lb/> zu tragen, welche mit ihren sonst nur landstädtischen Beziehungen in sonderbarem Kon¬<lb/> traste steht. — Die Deutschböhmen stehen noch immer ans dem romantischen Standpunkt<lb/> der Gefühlspolitik ans der Zeit der Befreiungskriege. Deutschland ist ihnen ein Dogma,<lb/> an das sie glauben. Die Deutschtümelei, die sich früher einmal an das User des<lb/> Rheins postirte, und den Franzosen arge Sottisen hinüberrief, macht sich jetzt in gleicher<lb/> Weise im Osten geltend; und so wie dort den freien Rhein, will man hier die freie<lb/> deutsche Donan durchaus nicht fahren lassen. Dieser hohle Rheinlieds-Enthusiasmus, der<lb/> jetzt auch die Deutschböhmen heimsucht, ist sogar schon in poetischer Form ausgesprochen<lb/> worden, und das Lied von Becker hat ein würdiges Seitenstück an dem „Töplitzer Lied"<lb/> von Uffo Horn gefunden, in dem es heißt, daß sich der Rhein wieder mit der Donan<lb/> „beweiben" wird. Man ist hier noch nicht zu der Einsicht gekommen, daß es sich in<lb/> Frankfurt um die Begründung einer organischen Existenz von Deutschland handle, daß<lb/> die Nationalversammlung wohl ein Vaterland, das dem Deutschen abhanden gekommen,<lb/> wieder construiren, aber zugleich ans die bekannte Frage des Arndt'schen Liedes eine<lb/> genaue bestimmte Antwort geben müsse. Die letzten Vorfälle haben es gelehrt, daß des<lb/> Deutschen Vaterland nicht so weit gehen könne, als die deutsche Zunge Lieder singt.<lb/> Das deutsche Vaterland in politischem Sinne geht so weit, als sich das deutsche Gesetz<lb/> durchsetzen läßt, so weit, als überhaupt die constituircndc, legislative und executive<lb/> Gewalt, die in Frankfurt centralisirt ist, reichen kann; aber es erstreckt sich nicht über<lb/> alle jene Gaue, wo es deutsche Liedertafeln und Burschenschafter gibt, wo deutsche Herzen<lb/> schlagen u. s. w. Schon lange hat man das iustinctartige Gefühl nur mit Mühe wcg-<lb/> raisonircn können, daß wirklich an Oestreichs Grenzen die praktische Wirksamkeit der<lb/> deutschen Centralgewalt aufhöre. Mit dem Einmarsch deutscher Reichstruppen auf<lb/> östreichischen Boden war es nie sehr ernst gemeint — und das bescheidene Auftreten der<lb/> beiden ReichscommisM Welcker und Mosle zeigt deutlich genug, wie sehr die Idee von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0255]
in das Frankfurter Parlament gewählt worden sind, machen unter den jetzigen Ver¬
hältnissen dieselben Anschauungen über das Verhältniß Oestreichs zu Deutschland geltend,
die sie vor Monaten aus ihrer Heimath in die Kammer mitbrachten und die doch aus
einer wesentlich andern factischen Grundlage beruhten. Dadurch sind ihre politischen
Bekenntnisse zu abstracten Theorien geworden. So habe ich z. B. gesunden, daß die
Rede Reiters in Frankfurt, worin sich dieser sür das unbedingte Ausgehen der deutsch,
östreichischen Provinzen in Deutschland erklärt, nur eine Wiederholung jener Rede ist,
die er um die Zeit des Palacky scheu Sendschreibens an Soiron, im deutschen Verein
zu Prag gehalten hatte, ^ein^ol-l und-uitur. — Während aber unsere Deputaten in
der Paulskirche das entfernte Oestreich aus den Augen verlieren, legen die Deutsch¬
böhmen hier mehr Gewicht auf die parlamentarischen Discussionen in dem fernen Frank¬
furt, als auf die unmittelbare Dialektik der Thatsachen aus östreichischen Boden. Schon
früher ist mir oft das erkünstelte Interesse der Dentschböhmen an den allgemeinen Neichs-
fragcn aufgefallen, und es galt mir als ein Beweis, mit welcher Mühe sie sich zu über¬
reden suchten, daß sie in der That' dem deutschen Ncichsverbande angehören. Durch das
Fernrohr beobachteten sie den Ban jenes Staates, in dem sie schon bei Zeiten auf das
Bürgerrecht subscribirt hatten — und nichts dürfte z. B. drolliger sein, als die unlängst
gestellte Anfrage des deutschen Vereins von Leipa bei dem Ccntralverein von Reichen--
berg, ob eS nicht angemessener wäre, die Frankfurter Nationalversammlung mittelst
Adresse zu den entschiedensten Maßregeln und einer schonungsloser Strafe gegen die
Wühler aufzufordern." — Sowie man es in Prag vorzüglich daraus anlegt, zu beweisen,
daß Wien nicht Oestreich ist, so bemühen sich die Dentschböhmen der nördlichen Kreise
darzuthun, daß Prag nicht Böhmen sei. Aber auf diese Weise haben die drei Vororte
des deutschen Nordens, Reichenberg, Tvplitz und Eger, welche durch ihr Deutschthum
das exklusive Czechenthum Prags paralisiren sollen, eine Last des politischen Bewußtseins
zu tragen, welche mit ihren sonst nur landstädtischen Beziehungen in sonderbarem Kon¬
traste steht. — Die Deutschböhmen stehen noch immer ans dem romantischen Standpunkt
der Gefühlspolitik ans der Zeit der Befreiungskriege. Deutschland ist ihnen ein Dogma,
an das sie glauben. Die Deutschtümelei, die sich früher einmal an das User des
Rheins postirte, und den Franzosen arge Sottisen hinüberrief, macht sich jetzt in gleicher
Weise im Osten geltend; und so wie dort den freien Rhein, will man hier die freie
deutsche Donan durchaus nicht fahren lassen. Dieser hohle Rheinlieds-Enthusiasmus, der
jetzt auch die Deutschböhmen heimsucht, ist sogar schon in poetischer Form ausgesprochen
worden, und das Lied von Becker hat ein würdiges Seitenstück an dem „Töplitzer Lied"
von Uffo Horn gefunden, in dem es heißt, daß sich der Rhein wieder mit der Donan
„beweiben" wird. Man ist hier noch nicht zu der Einsicht gekommen, daß es sich in
Frankfurt um die Begründung einer organischen Existenz von Deutschland handle, daß
die Nationalversammlung wohl ein Vaterland, das dem Deutschen abhanden gekommen,
wieder construiren, aber zugleich ans die bekannte Frage des Arndt'schen Liedes eine
genaue bestimmte Antwort geben müsse. Die letzten Vorfälle haben es gelehrt, daß des
Deutschen Vaterland nicht so weit gehen könne, als die deutsche Zunge Lieder singt.
Das deutsche Vaterland in politischem Sinne geht so weit, als sich das deutsche Gesetz
durchsetzen läßt, so weit, als überhaupt die constituircndc, legislative und executive
Gewalt, die in Frankfurt centralisirt ist, reichen kann; aber es erstreckt sich nicht über
alle jene Gaue, wo es deutsche Liedertafeln und Burschenschafter gibt, wo deutsche Herzen
schlagen u. s. w. Schon lange hat man das iustinctartige Gefühl nur mit Mühe wcg-
raisonircn können, daß wirklich an Oestreichs Grenzen die praktische Wirksamkeit der
deutschen Centralgewalt aufhöre. Mit dem Einmarsch deutscher Reichstruppen auf
östreichischen Boden war es nie sehr ernst gemeint — und das bescheidene Auftreten der
beiden ReichscommisM Welcker und Mosle zeigt deutlich genug, wie sehr die Idee von
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