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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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die Debatte schief ging, und da das Beispiel von Unberufenen und zuletzt von
Allen nachgeahmt wurde, so wirkte es schädlich.

Thiersch ist ein alter Herr mit weißem Haar und blühend rothem Greisen-
gesicht. Von seinen Sieden ist nichts zu sagen. Blaues Pathos ohne Inhalt.
Als Merkwürdigkeit erwähne ich noch v. Rings eis, den bekannten Mediciner, der
seine Wissenschaft christianisirt, von Feuerbach einst zu hart: Hippokrates in der
Pfaffenkutte, gescholten. Er ist ein wohlwollender alter Herr mit einer unbeschreib¬
lichen Physiognomie.

Nun noch ein Wort von den Wienern. Sie waren die Schooßkinder der
Versammlung. Wenn die Debatte geschlossen wurde, verlangte man immer außer
der Reihenfolge noch einen Wiener zu hören. Man erfreute sich an ihrem Dia¬
lekt und behandelte sie wie Wilde oder Naturkinder. Sie erwiderten diese Zärt¬
lichkeit, indem sie auf alle Weise ihre Liebe zu Deutschland an den Tag legten.
Sie sprachen nicht von östreichischen, sondern von östreichisch-deutschen Universi¬
täten. Die hervorragendsten von ihnen waren v. H y e, ein äußerst seiner, gebil¬
deter, und, wie es scheint, auch kenntnißreicher Mann; der bekannte Chemiker
Endlicher, ein liebenswürdiger alter Herr; v. Lcrch, Decan der medicinischen
Facultät, ein ganz junger Mann, der sich dnrch die Weitschweifigkeit und Inhalt-
losigkeit seiner Reden auszeichnete, in dem Grade, daß er sogar die ihm als Wie¬
ner so sehr entgegenkommende Gunst der Versammlung verscherzte; endlich Schei¬
ner, katholischer freisinniger Theolog, ein Mann von der würdigsten und einneh¬
mendsten Humanität. Er brachte großen Eindruck hervor durch eiuen Toast im
Lapidarstyl: Meine Herrn! Ein Oestreicher in Ihrer Mitte und ein katholischer
Geistlicher! Soll ich Ihnen das deuten? Ein einiges Deutschland in Staat und
Kirche!




T h e a t er - I n d e n.



Wir erlebten vor einigen Tagen in Leipzig das seltsame Schauspiel, daß der
Kaufmann von Venedig so gut wie ausgezischt wurde. An dem Spiel lag es
nicht; die Darstellung des Shylock war vortrefflich, in den Hauptscenen geradezu
glänzend zu nennen. Die andern Schauspieler thaten das Ihrige, und waren
wenigstens nicht schlechter als nöthig. Es lag am Stück. Einerseits ist es nicht
angebracht, während der Messe Juden zu spielen, dann kann man aber auch wohl,
ohne Shakespeare nahe treten zu wollen, zugestehn, daß der Kaufmann von Vene¬
dig in seiner gegenwärtigen Fassung unserer Bühne nicht mehr entspricht. Die


die Debatte schief ging, und da das Beispiel von Unberufenen und zuletzt von
Allen nachgeahmt wurde, so wirkte es schädlich.

Thiersch ist ein alter Herr mit weißem Haar und blühend rothem Greisen-
gesicht. Von seinen Sieden ist nichts zu sagen. Blaues Pathos ohne Inhalt.
Als Merkwürdigkeit erwähne ich noch v. Rings eis, den bekannten Mediciner, der
seine Wissenschaft christianisirt, von Feuerbach einst zu hart: Hippokrates in der
Pfaffenkutte, gescholten. Er ist ein wohlwollender alter Herr mit einer unbeschreib¬
lichen Physiognomie.

Nun noch ein Wort von den Wienern. Sie waren die Schooßkinder der
Versammlung. Wenn die Debatte geschlossen wurde, verlangte man immer außer
der Reihenfolge noch einen Wiener zu hören. Man erfreute sich an ihrem Dia¬
lekt und behandelte sie wie Wilde oder Naturkinder. Sie erwiderten diese Zärt¬
lichkeit, indem sie auf alle Weise ihre Liebe zu Deutschland an den Tag legten.
Sie sprachen nicht von östreichischen, sondern von östreichisch-deutschen Universi¬
täten. Die hervorragendsten von ihnen waren v. H y e, ein äußerst seiner, gebil¬
deter, und, wie es scheint, auch kenntnißreicher Mann; der bekannte Chemiker
Endlicher, ein liebenswürdiger alter Herr; v. Lcrch, Decan der medicinischen
Facultät, ein ganz junger Mann, der sich dnrch die Weitschweifigkeit und Inhalt-
losigkeit seiner Reden auszeichnete, in dem Grade, daß er sogar die ihm als Wie¬
ner so sehr entgegenkommende Gunst der Versammlung verscherzte; endlich Schei¬
ner, katholischer freisinniger Theolog, ein Mann von der würdigsten und einneh¬
mendsten Humanität. Er brachte großen Eindruck hervor durch eiuen Toast im
Lapidarstyl: Meine Herrn! Ein Oestreicher in Ihrer Mitte und ein katholischer
Geistlicher! Soll ich Ihnen das deuten? Ein einiges Deutschland in Staat und
Kirche!




T h e a t er - I n d e n.



Wir erlebten vor einigen Tagen in Leipzig das seltsame Schauspiel, daß der
Kaufmann von Venedig so gut wie ausgezischt wurde. An dem Spiel lag es
nicht; die Darstellung des Shylock war vortrefflich, in den Hauptscenen geradezu
glänzend zu nennen. Die andern Schauspieler thaten das Ihrige, und waren
wenigstens nicht schlechter als nöthig. Es lag am Stück. Einerseits ist es nicht
angebracht, während der Messe Juden zu spielen, dann kann man aber auch wohl,
ohne Shakespeare nahe treten zu wollen, zugestehn, daß der Kaufmann von Vene¬
dig in seiner gegenwärtigen Fassung unserer Bühne nicht mehr entspricht. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/23>, abgerufen am 25.12.2024.