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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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sonalunion der souveränen nichtdeutschen und der centralisirten deutschen Länder
ist für Oestreich nichts als ein maskirter Todschlag. Ein dritter Wunsch: Deutsch¬
land ni Oestreich aufgehen zu lassen, ist vollends unausführbar. Und wenn sich
Alles, was seine Ausführung unmöglich macht, beseitigen ließe, seine Realisirung
würde erst recht verwirren. Das alte deutsche Reich zerfiel unter anderm, weil
Oestreich Interessen und eine Politik hatte, deuen Norddeutschland feindlich sein
mußte. Wie damals die Politik der Kabinette, so geht jetzt die der Völker aus¬
einander. Hamburg und Breslau haben jetzt gegen Trieft und Wien eine ähnliche
Stellung wie Preußen und Oestreich zur Zeit des siebenjährigen Krieges. Wozu noch
einmal das ersehnen, was schon einmal gestorben ist, weites nicht leben konnte? Es
bleibt also, wenn das deutsche Oestreich mit dem übrigen Deutschland vereinigt werden
soll, nichts übrig, als den Kaiserstaat zu zerstören und die deutschen Theile in die
Vereinigung aufzunehmen. Das aber wäre ein großes Unglück für Deutschland,
die deutschen Theile Oestreichs, für Ungarn und die Slavenländer, das größte
sür Euch.

Ehe Ihr dies billigt, werft einen Blick nach Rußland, ruhig, ohne Liebe
und ohne Haß.

Die Thätigkeit Rußlands in Eurem Osten ist die eines harten, gewaltigen
Znchtmeisters, der die rohen Anfänge der Völkerbildung, ziehende Nomadenstämme
in dem Steppenplateau vom Dniestr bis zum Ural, vom Ob bis zum Ostrande
Asiens festnagelt an die Scholle, er treibt und zwingt Grenzsteine zu setzen, die
Zelte in feste Hütten zu verwandeln, auf die Carawaucnsonr harte Straßen zu
bauen. Hunderte von Völkern und Sprachen hat der Czar unter seine Faust ge¬
zwungen, überall verfolgt er fest, schrittweise dasselbe Ziel. Wer darf leugne",
daß die Aufgabe und Idee eines solchen Staates eben so riesenhaft ist, als sein
Flächenraum, und daß Europa, wenn es den Gegensatz seiner Politik und Cultur
Rußland gegenüber als feindlich empfindet, doch nicht verkennen darf, wie Ru߬
land für die sichere Entfaltung der europäischen Völkerkraft der starke Wall ist,
welcher tatarischen Sand und asiatische Rohheit vou unseren Grenzmarken abhält.
Wir Deutsche können uns der Mittel nicht fteueu, durch welche Rußland regiert.
ES ist ein schablonenhaftes, drückendes Regiment, ein Gesetz, das den Kirgisen
erhebt, zwängt den Polen nieder, ja der Schematismus, selbst der Umfang der
ungeheuern Staatsmaschine corrumpirt den Beamten, verhindert sehr oft auch die
gute Wirkung der wohlgemeinten Arbeit. Eine tüchtige, aus der Seele der Völker
herausblühende Cultur kaun Rußland nie erzielen., es wird sie todten, wo sie
an's Licht tritt, es wird selbst getödtet werden, sobald die vorgeschriebene Bil¬
dung seiner Stämme den Punkt erreicht hat, wo die Verschiedenheit der praktischen
Interessen und Bedürfnisse den einzelnen handgreiflich und zwingend wird. Und
s" kann man schließen, daß der ungeheure Bau durch sich selbst zusammenstürzen
muß, sobald die vernünftige Nothwendigkeit aus ihm weicht, daß er fallen wird


sonalunion der souveränen nichtdeutschen und der centralisirten deutschen Länder
ist für Oestreich nichts als ein maskirter Todschlag. Ein dritter Wunsch: Deutsch¬
land ni Oestreich aufgehen zu lassen, ist vollends unausführbar. Und wenn sich
Alles, was seine Ausführung unmöglich macht, beseitigen ließe, seine Realisirung
würde erst recht verwirren. Das alte deutsche Reich zerfiel unter anderm, weil
Oestreich Interessen und eine Politik hatte, deuen Norddeutschland feindlich sein
mußte. Wie damals die Politik der Kabinette, so geht jetzt die der Völker aus¬
einander. Hamburg und Breslau haben jetzt gegen Trieft und Wien eine ähnliche
Stellung wie Preußen und Oestreich zur Zeit des siebenjährigen Krieges. Wozu noch
einmal das ersehnen, was schon einmal gestorben ist, weites nicht leben konnte? Es
bleibt also, wenn das deutsche Oestreich mit dem übrigen Deutschland vereinigt werden
soll, nichts übrig, als den Kaiserstaat zu zerstören und die deutschen Theile in die
Vereinigung aufzunehmen. Das aber wäre ein großes Unglück für Deutschland,
die deutschen Theile Oestreichs, für Ungarn und die Slavenländer, das größte
sür Euch.

Ehe Ihr dies billigt, werft einen Blick nach Rußland, ruhig, ohne Liebe
und ohne Haß.

Die Thätigkeit Rußlands in Eurem Osten ist die eines harten, gewaltigen
Znchtmeisters, der die rohen Anfänge der Völkerbildung, ziehende Nomadenstämme
in dem Steppenplateau vom Dniestr bis zum Ural, vom Ob bis zum Ostrande
Asiens festnagelt an die Scholle, er treibt und zwingt Grenzsteine zu setzen, die
Zelte in feste Hütten zu verwandeln, auf die Carawaucnsonr harte Straßen zu
bauen. Hunderte von Völkern und Sprachen hat der Czar unter seine Faust ge¬
zwungen, überall verfolgt er fest, schrittweise dasselbe Ziel. Wer darf leugne»,
daß die Aufgabe und Idee eines solchen Staates eben so riesenhaft ist, als sein
Flächenraum, und daß Europa, wenn es den Gegensatz seiner Politik und Cultur
Rußland gegenüber als feindlich empfindet, doch nicht verkennen darf, wie Ru߬
land für die sichere Entfaltung der europäischen Völkerkraft der starke Wall ist,
welcher tatarischen Sand und asiatische Rohheit vou unseren Grenzmarken abhält.
Wir Deutsche können uns der Mittel nicht fteueu, durch welche Rußland regiert.
ES ist ein schablonenhaftes, drückendes Regiment, ein Gesetz, das den Kirgisen
erhebt, zwängt den Polen nieder, ja der Schematismus, selbst der Umfang der
ungeheuern Staatsmaschine corrumpirt den Beamten, verhindert sehr oft auch die
gute Wirkung der wohlgemeinten Arbeit. Eine tüchtige, aus der Seele der Völker
herausblühende Cultur kaun Rußland nie erzielen., es wird sie todten, wo sie
an's Licht tritt, es wird selbst getödtet werden, sobald die vorgeschriebene Bil¬
dung seiner Stämme den Punkt erreicht hat, wo die Verschiedenheit der praktischen
Interessen und Bedürfnisse den einzelnen handgreiflich und zwingend wird. Und
s" kann man schließen, daß der ungeheure Bau durch sich selbst zusammenstürzen
muß, sobald die vernünftige Nothwendigkeit aus ihm weicht, daß er fallen wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/221>, abgerufen am 22.07.2024.