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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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lege ich kein großes Gewicht; was ein Vertrag zusammengefügt, kann ein Ver¬
trag wieder scheiden. Eben so wenig auf die historische Reminiscenz an Oest¬
reichs Große; man kann für Friedrich den Großen schon eingenommen sein, ohne
deshalb an die Ewigkeit Preußens zu glauben, und das wird für Oestreich doch
auch wohl gelten müssen. Dagegen ist sehr wichtig die Einsicht in die Unmög¬
lichkeit, Oestreich anders aufzulösen, als durch einen blutigen Bürgerkrieg, theils
gegen die Czechen, theils gegen die gesammte kaiserliche Armee; ein Bürgerkrieg,
der nur mit Hilfe des Proletariats geführt werden könnte, der also die Anarchie
heraufbeschwören müßte. Sehr wichtig ist ferner das materielle Interesse, das
Oestreich zusammenhält. Ueber diesen Punkt haben sich die Grenzboten schon oft
genug ausgesprochen.

Beide Wünsche, so sehr sie sich wiedersprechen, sind also an sich berechtigt.
Darum hat man aber noch kein Recht, die Erfüllung beider zu fordern. Es
ist angenehm im gelinden Rausch, es ist vernünftig beim klaren Verstand zu sein.
Aber das eine schließt das andere aus. Politische Kinder werden durch das
Widersprechende dieser Wünsche dahin gebracht, einfach und abstrakt zu schreien.
Ein solches Kind ist z. B. Herr Wiesner, offenbar der confnseste Mensch der
ganzen Rationalversammlung. Er sagt: "Kein Oestreich, kein Preußen! Der
Spruch ist den Deutschen, einige specifische Preußen ausgenommen, tief ins Herz
geschrieben," nachdem er eben über die deutschen Windischgräj), Kaiser Ferdinand,
Wessenberg n. s. w., die ein Oestreich wollen, geklagt, ja nachdem er selber
ausgerufen.' "Ans der Asche erhebt sich, wie ein Phönix des Völker- und Staats¬
lebens , ein neues, freies und herrliches Oestreich. Dieses wird Mittel genug
finden, die verschiedenen Völkerschaften, die alle Schicksale der Monarchie getheilt,
an sich zu ketten." Also Oestreich soll bleiben, aber die schwarzgelben, die das¬
selbe wollen, sind Hallunken. Warum? weil sie Preußen die Hegemonie in Deutsch¬
land überlassen. Ihr Wahlspruch sei: "Kein Oestreich und Ein Preußen!" wäh¬
rend er gleichzeitig darüber zürnt, daß sie Oestreich erhalten und Preußen in Deutsch¬
land aufgehen lassen wollen "). Das dunkle Gefühl der sogenannten nationalen
Eitelkeit, das sich doch nur an die Dynastie Habsburg anklammert, denn Oest¬
reich ist auf keine Weise ein ethnographischer, sondern nur ein dynastischer Be¬
griff, streitet mit dem republikanischen Gefühl, das mit Dyucistie überhaupt nichts



*) Derselbe Redner radotirt folgendermaßen. "Zum Schluß will ich Sie darauf aufmerksam
Machen, wie oft Sie jener Seite des Hauses (der Linken), ganz ohne Grund einen Bvr-
wurf gemacht haben, sie haben sehr oft gerufen, daß dort Republikaner sitzen. Meine
Herren! ES sitzen dort Republikaner, und ich bin auch einer." -- Auf der Schule
hielt uns einmal ein durchreisender Charletan Vorlesung über verschiedene Gegenstände. Er er¬
zählte, in der lüneburger Heide gebe es kein Wasser und fragte uns, womit wir also dort
die Pferde tränken wollten? Wir riethen auf Branntwein und alle möglichen Flüssigkeiten.
Alles nichts. Endlich sagte er, indem er das eine Auge verschmitzt zudrückte: Meine Herren!
es ist doch Wasser da!

lege ich kein großes Gewicht; was ein Vertrag zusammengefügt, kann ein Ver¬
trag wieder scheiden. Eben so wenig auf die historische Reminiscenz an Oest¬
reichs Große; man kann für Friedrich den Großen schon eingenommen sein, ohne
deshalb an die Ewigkeit Preußens zu glauben, und das wird für Oestreich doch
auch wohl gelten müssen. Dagegen ist sehr wichtig die Einsicht in die Unmög¬
lichkeit, Oestreich anders aufzulösen, als durch einen blutigen Bürgerkrieg, theils
gegen die Czechen, theils gegen die gesammte kaiserliche Armee; ein Bürgerkrieg,
der nur mit Hilfe des Proletariats geführt werden könnte, der also die Anarchie
heraufbeschwören müßte. Sehr wichtig ist ferner das materielle Interesse, das
Oestreich zusammenhält. Ueber diesen Punkt haben sich die Grenzboten schon oft
genug ausgesprochen.

Beide Wünsche, so sehr sie sich wiedersprechen, sind also an sich berechtigt.
Darum hat man aber noch kein Recht, die Erfüllung beider zu fordern. Es
ist angenehm im gelinden Rausch, es ist vernünftig beim klaren Verstand zu sein.
Aber das eine schließt das andere aus. Politische Kinder werden durch das
Widersprechende dieser Wünsche dahin gebracht, einfach und abstrakt zu schreien.
Ein solches Kind ist z. B. Herr Wiesner, offenbar der confnseste Mensch der
ganzen Rationalversammlung. Er sagt: „Kein Oestreich, kein Preußen! Der
Spruch ist den Deutschen, einige specifische Preußen ausgenommen, tief ins Herz
geschrieben," nachdem er eben über die deutschen Windischgräj), Kaiser Ferdinand,
Wessenberg n. s. w., die ein Oestreich wollen, geklagt, ja nachdem er selber
ausgerufen.' „Ans der Asche erhebt sich, wie ein Phönix des Völker- und Staats¬
lebens , ein neues, freies und herrliches Oestreich. Dieses wird Mittel genug
finden, die verschiedenen Völkerschaften, die alle Schicksale der Monarchie getheilt,
an sich zu ketten." Also Oestreich soll bleiben, aber die schwarzgelben, die das¬
selbe wollen, sind Hallunken. Warum? weil sie Preußen die Hegemonie in Deutsch¬
land überlassen. Ihr Wahlspruch sei: „Kein Oestreich und Ein Preußen!" wäh¬
rend er gleichzeitig darüber zürnt, daß sie Oestreich erhalten und Preußen in Deutsch¬
land aufgehen lassen wollen "). Das dunkle Gefühl der sogenannten nationalen
Eitelkeit, das sich doch nur an die Dynastie Habsburg anklammert, denn Oest¬
reich ist auf keine Weise ein ethnographischer, sondern nur ein dynastischer Be¬
griff, streitet mit dem republikanischen Gefühl, das mit Dyucistie überhaupt nichts



*) Derselbe Redner radotirt folgendermaßen. „Zum Schluß will ich Sie darauf aufmerksam
Machen, wie oft Sie jener Seite des Hauses (der Linken), ganz ohne Grund einen Bvr-
wurf gemacht haben, sie haben sehr oft gerufen, daß dort Republikaner sitzen. Meine
Herren! ES sitzen dort Republikaner, und ich bin auch einer." — Auf der Schule
hielt uns einmal ein durchreisender Charletan Vorlesung über verschiedene Gegenstände. Er er¬
zählte, in der lüneburger Heide gebe es kein Wasser und fragte uns, womit wir also dort
die Pferde tränken wollten? Wir riethen auf Branntwein und alle möglichen Flüssigkeiten.
Alles nichts. Endlich sagte er, indem er das eine Auge verschmitzt zudrückte: Meine Herren!
es ist doch Wasser da!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/207>, abgerufen am 22.07.2024.