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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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20 Poeten sich an ihre Spitze stellen, wird dieser Reaction neuen Vorschub leisten.
Ihre ganze Partei wäre längst unter den Füßen, wenn das Gift der sinnlosen
Phrasen nicht auch die Partei der geschlichen Freiheit inficirt hätte. Jede neue
Brutalität ihrerseits ist aber ein heilsames Gegengewicht.

Was nun Sie persönlich angeht, so fällt es mir nicht ein, Sie mit dem
Gesinde! zusammen zu werfen, durch dessen Berührung Sie Sich gegenwärtig de
Schmutzer. Sie sind kein Jesuit, aber Sie siud -- ich gebrauche gegen Sie die
Worte, die Sie gegen Prutz anwandelt -- Sie sind kein Politiker! Der
Politiker sitzt am Steuerruder und geht unverrückt seinem Ziele nach, wie er auch
dem Wind und den Wellen Rechnung trägt. Sie aber sind ein ungeduldiger Knabe;
wenn Sie nicht in demselben Augenblick das ersehnte Land erreichen, so segeln Sie
versuchsweise bald rechts, bald links, wie es Ihnen im Augenblick einfällt. Die
Ausdauer in der Arbeit, die Ruhe in der Leidenschaft fehlt Ihnen. Sie hätten
Amerika nicht entdeckt.

Täuschen Sie Sich auch nicht über Ihre Popularität! Der Beifall, den die
Masse Ihrer Rede zollt, blendet Ihre Eitelkeit. Er gilt ihr nur halb. Die eine
Hälfte Ihrer Rede besteht aus variirten Abstractionen von der "Sitnirung der
Prinzipien" u> tgi.; das summt dem Volk ins Ohr, und es denkt dabei: "ver¬
steh nicht recht, aber höllisch gelehrt!" die andere ans humoristisch vorgetragenen
Anecdoten. Das gefällt; Publikns lacht, applaudirt und ist sehr vergnügt, daß
ein Philosoph so "gemein" spricht. Aber dieser Humor ist nicht organisch in Ihre
Prinzipien eingebildet, wie der eines O'Comet; er geht nebenher. Das Nützliche
geht neben dem Angenehmen; es ist kein Ganzes. Mit solchen Reden bilden Sie
feine politische Partei, wenn Sie nicht die Summe der Individuen, welche Arnold
Rüge für einen, gemüthlichen und "sehr weit gehenden" Mann halten, eine Partei
nennen wollen. Der Gymnasiast und der Handwerksmann ist ein dankbares Pu¬
blikum, wenn man ihm schmeichelt, aber Sie find zu gut dazu, um den -- ver¬
zeihen Sie mir den Ausdruck, ich finde keinen andern! -- den Spaßmacher eines
solchen Publikums zu spielen.

Denken Sie an Hoffmann v. Fallersleben! Sie sind- nahe daran, in seine
Fußtapfen zu treten.


Ganz der Ihrige
Julian Schmidt.


Snnzbotm. IV. Is48.2 t

20 Poeten sich an ihre Spitze stellen, wird dieser Reaction neuen Vorschub leisten.
Ihre ganze Partei wäre längst unter den Füßen, wenn das Gift der sinnlosen
Phrasen nicht auch die Partei der geschlichen Freiheit inficirt hätte. Jede neue
Brutalität ihrerseits ist aber ein heilsames Gegengewicht.

Was nun Sie persönlich angeht, so fällt es mir nicht ein, Sie mit dem
Gesinde! zusammen zu werfen, durch dessen Berührung Sie Sich gegenwärtig de
Schmutzer. Sie sind kein Jesuit, aber Sie siud — ich gebrauche gegen Sie die
Worte, die Sie gegen Prutz anwandelt — Sie sind kein Politiker! Der
Politiker sitzt am Steuerruder und geht unverrückt seinem Ziele nach, wie er auch
dem Wind und den Wellen Rechnung trägt. Sie aber sind ein ungeduldiger Knabe;
wenn Sie nicht in demselben Augenblick das ersehnte Land erreichen, so segeln Sie
versuchsweise bald rechts, bald links, wie es Ihnen im Augenblick einfällt. Die
Ausdauer in der Arbeit, die Ruhe in der Leidenschaft fehlt Ihnen. Sie hätten
Amerika nicht entdeckt.

Täuschen Sie Sich auch nicht über Ihre Popularität! Der Beifall, den die
Masse Ihrer Rede zollt, blendet Ihre Eitelkeit. Er gilt ihr nur halb. Die eine
Hälfte Ihrer Rede besteht aus variirten Abstractionen von der „Sitnirung der
Prinzipien" u> tgi.; das summt dem Volk ins Ohr, und es denkt dabei: „ver¬
steh nicht recht, aber höllisch gelehrt!" die andere ans humoristisch vorgetragenen
Anecdoten. Das gefällt; Publikns lacht, applaudirt und ist sehr vergnügt, daß
ein Philosoph so „gemein" spricht. Aber dieser Humor ist nicht organisch in Ihre
Prinzipien eingebildet, wie der eines O'Comet; er geht nebenher. Das Nützliche
geht neben dem Angenehmen; es ist kein Ganzes. Mit solchen Reden bilden Sie
feine politische Partei, wenn Sie nicht die Summe der Individuen, welche Arnold
Rüge für einen, gemüthlichen und „sehr weit gehenden" Mann halten, eine Partei
nennen wollen. Der Gymnasiast und der Handwerksmann ist ein dankbares Pu¬
blikum, wenn man ihm schmeichelt, aber Sie find zu gut dazu, um den — ver¬
zeihen Sie mir den Ausdruck, ich finde keinen andern! — den Spaßmacher eines
solchen Publikums zu spielen.

Denken Sie an Hoffmann v. Fallersleben! Sie sind- nahe daran, in seine
Fußtapfen zu treten.


Ganz der Ihrige
Julian Schmidt.


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[0169] 20 Poeten sich an ihre Spitze stellen, wird dieser Reaction neuen Vorschub leisten. Ihre ganze Partei wäre längst unter den Füßen, wenn das Gift der sinnlosen Phrasen nicht auch die Partei der geschlichen Freiheit inficirt hätte. Jede neue Brutalität ihrerseits ist aber ein heilsames Gegengewicht. Was nun Sie persönlich angeht, so fällt es mir nicht ein, Sie mit dem Gesinde! zusammen zu werfen, durch dessen Berührung Sie Sich gegenwärtig de Schmutzer. Sie sind kein Jesuit, aber Sie siud — ich gebrauche gegen Sie die Worte, die Sie gegen Prutz anwandelt — Sie sind kein Politiker! Der Politiker sitzt am Steuerruder und geht unverrückt seinem Ziele nach, wie er auch dem Wind und den Wellen Rechnung trägt. Sie aber sind ein ungeduldiger Knabe; wenn Sie nicht in demselben Augenblick das ersehnte Land erreichen, so segeln Sie versuchsweise bald rechts, bald links, wie es Ihnen im Augenblick einfällt. Die Ausdauer in der Arbeit, die Ruhe in der Leidenschaft fehlt Ihnen. Sie hätten Amerika nicht entdeckt. Täuschen Sie Sich auch nicht über Ihre Popularität! Der Beifall, den die Masse Ihrer Rede zollt, blendet Ihre Eitelkeit. Er gilt ihr nur halb. Die eine Hälfte Ihrer Rede besteht aus variirten Abstractionen von der „Sitnirung der Prinzipien" u> tgi.; das summt dem Volk ins Ohr, und es denkt dabei: „ver¬ steh nicht recht, aber höllisch gelehrt!" die andere ans humoristisch vorgetragenen Anecdoten. Das gefällt; Publikns lacht, applaudirt und ist sehr vergnügt, daß ein Philosoph so „gemein" spricht. Aber dieser Humor ist nicht organisch in Ihre Prinzipien eingebildet, wie der eines O'Comet; er geht nebenher. Das Nützliche geht neben dem Angenehmen; es ist kein Ganzes. Mit solchen Reden bilden Sie feine politische Partei, wenn Sie nicht die Summe der Individuen, welche Arnold Rüge für einen, gemüthlichen und „sehr weit gehenden" Mann halten, eine Partei nennen wollen. Der Gymnasiast und der Handwerksmann ist ein dankbares Pu¬ blikum, wenn man ihm schmeichelt, aber Sie find zu gut dazu, um den — ver¬ zeihen Sie mir den Ausdruck, ich finde keinen andern! — den Spaßmacher eines solchen Publikums zu spielen. Denken Sie an Hoffmann v. Fallersleben! Sie sind- nahe daran, in seine Fußtapfen zu treten. Ganz der Ihrige Julian Schmidt. Snnzbotm. IV. Is48.2 t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/169>, abgerufen am 25.12.2024.