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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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die innere Nothwendigkeit zur Republik getrieben, und durch unvermeidliche An¬
steckung überträgt sich das revolutionäre Fieber auf Deutschland, dessen weitere
Geschicke dann, da sie der blinden Gewalt der Leidenschaften anheimgegeben sind,
sich nicht weiter berechnen lassen. Vielleicht beginnen sie mit einem Umsturz aller
Throne, einem Kampf der rothen Republik mit dem Militär, einem perenirenden
Bürgerkriege, wie wir ihn in Spanien haben oder einer zweiten Auflage der fran¬
zösischen Komödie, die jetzt im Begriff zu sein scheint, des Effects wegen zu einem
Cäsar zu greifen, sollte man ihn mich in dem romantischen Jüngling mit dem ge¬
zähmten Adler von Boulogne suchen, der wenigstens einen dem Herzen theuern
Namen trägt.

Neigt sich dagegen die Wagschale zu Gunsten der schwarzgelben, so wird
Deutschland seine Einheit in einem engern, aber eben darum bestimmteren Kreise
suchen müssen. Es wird dann darauf ankommen, der definitiven Centralgewalt
die faktische Macht in die Hände zu geben, welche die provisorische nur theoretisch
besaß. Um dazu einen Weg zu finden, müßten wir die Lage der zweiten Gro߬
macht Deutschlands ins Auge fassen. Wir behalten uus dies für den nächsten
Artikel vor, können aber nicht unterlassen Folgendes zu bemerken. Es ist nicht zu
leugnen, daß in der Abneigung gegen Preußen, wie sie im größern Theil von
Süddeutschland herrscht, viel Gemachtes liegt; abgesehen von dem Gegensatz, der
in der Natur der beiden Stimmen liegt, hat die ultramontane Partei in Baiern
unter Görres Auspicien viel dazu beigetragen. Aber Preußen ist gleichfalls
Schuld. Das Hervortreten der aristokratisch monarchischen Partei aus der einen
Seite - - man denke an die wunderbaren Aeußerungen des Königs bei seinem Geburts¬
tage -- die Sinnlosigkeit der Berliner Radikalen auf der andern, sind leider nicht
im Mindesten geeignet, für Preußen Vertrauen zu erwecken, so lange nicht in dem
eigentlichen Kern der Nation, der von den doctrinären Nachbetern Louis Blaue's
so verrufenen Klasse der Bourgeoisie -- sich eine feste Haltung, ein geschlossenes
Prinzip herausstellt.

Eine solche Partei ist dem Keime nach in Frankfurt vorhanden. Bei der
Parteistellung der Paulskirche darf man nicht übersehen, daß es sich hier um
zwei verschiedene Gesichtspunkte handelt. Wir stehen entschieden ans Seiten der
Rechten, wenn es sich um Bekämpfung der Anarchie, um Herstellung des gesetzlichen
Zustandes handelt. Wir müssen sie bekämpfen in den materiellen Fragen. Wenn
sie hier °- wie es Vincke und Schwerin bei der Jagdgerechtigkeit thaten -- auf
den Rechtsboden pocht, so ist zu entgegnen, daß es gerade Sache der organischen
Gesetzgebung ist, diesen Rechtsboden nach dem Bedürfnisse der Zeit zu modificiren.
Nicht immer kann ein bestehendes Unrecht durch einfachen Vertrag der Berechtig¬
ten gelöst werden; im äußersten Falle hat der Staat die Mittel in Händen, durch
seinen entscheidenden Richterspruch über das Recht herauszugehn. Noch mehr sind


die innere Nothwendigkeit zur Republik getrieben, und durch unvermeidliche An¬
steckung überträgt sich das revolutionäre Fieber auf Deutschland, dessen weitere
Geschicke dann, da sie der blinden Gewalt der Leidenschaften anheimgegeben sind,
sich nicht weiter berechnen lassen. Vielleicht beginnen sie mit einem Umsturz aller
Throne, einem Kampf der rothen Republik mit dem Militär, einem perenirenden
Bürgerkriege, wie wir ihn in Spanien haben oder einer zweiten Auflage der fran¬
zösischen Komödie, die jetzt im Begriff zu sein scheint, des Effects wegen zu einem
Cäsar zu greifen, sollte man ihn mich in dem romantischen Jüngling mit dem ge¬
zähmten Adler von Boulogne suchen, der wenigstens einen dem Herzen theuern
Namen trägt.

Neigt sich dagegen die Wagschale zu Gunsten der schwarzgelben, so wird
Deutschland seine Einheit in einem engern, aber eben darum bestimmteren Kreise
suchen müssen. Es wird dann darauf ankommen, der definitiven Centralgewalt
die faktische Macht in die Hände zu geben, welche die provisorische nur theoretisch
besaß. Um dazu einen Weg zu finden, müßten wir die Lage der zweiten Gro߬
macht Deutschlands ins Auge fassen. Wir behalten uus dies für den nächsten
Artikel vor, können aber nicht unterlassen Folgendes zu bemerken. Es ist nicht zu
leugnen, daß in der Abneigung gegen Preußen, wie sie im größern Theil von
Süddeutschland herrscht, viel Gemachtes liegt; abgesehen von dem Gegensatz, der
in der Natur der beiden Stimmen liegt, hat die ultramontane Partei in Baiern
unter Görres Auspicien viel dazu beigetragen. Aber Preußen ist gleichfalls
Schuld. Das Hervortreten der aristokratisch monarchischen Partei aus der einen
Seite - - man denke an die wunderbaren Aeußerungen des Königs bei seinem Geburts¬
tage — die Sinnlosigkeit der Berliner Radikalen auf der andern, sind leider nicht
im Mindesten geeignet, für Preußen Vertrauen zu erwecken, so lange nicht in dem
eigentlichen Kern der Nation, der von den doctrinären Nachbetern Louis Blaue's
so verrufenen Klasse der Bourgeoisie — sich eine feste Haltung, ein geschlossenes
Prinzip herausstellt.

Eine solche Partei ist dem Keime nach in Frankfurt vorhanden. Bei der
Parteistellung der Paulskirche darf man nicht übersehen, daß es sich hier um
zwei verschiedene Gesichtspunkte handelt. Wir stehen entschieden ans Seiten der
Rechten, wenn es sich um Bekämpfung der Anarchie, um Herstellung des gesetzlichen
Zustandes handelt. Wir müssen sie bekämpfen in den materiellen Fragen. Wenn
sie hier °- wie es Vincke und Schwerin bei der Jagdgerechtigkeit thaten — auf
den Rechtsboden pocht, so ist zu entgegnen, daß es gerade Sache der organischen
Gesetzgebung ist, diesen Rechtsboden nach dem Bedürfnisse der Zeit zu modificiren.
Nicht immer kann ein bestehendes Unrecht durch einfachen Vertrag der Berechtig¬
ten gelöst werden; im äußersten Falle hat der Staat die Mittel in Händen, durch
seinen entscheidenden Richterspruch über das Recht herauszugehn. Noch mehr sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/114>, abgerufen am 28.09.2024.