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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Was besorgt man denn also in Deutschland? -- Man besorgt, daß die Führer der
czechischm Partei ihr eigenes Interesse verkennen; daß sie dem Sturm und Drang einer
schwärmerischen Jugend nachgeben und die alte Träumerei von einem selbstständigen Böhmcr-
reich wieder anfachen könnten. Prag ist eine so königliche, eine so stolze und melancholische
Schönheit, daß sie manches Pragerkind verführen und den czechischcn Localpatriotismus leicht
zum Fanatismus und zur Phantasterei steigern kann; man kann sich erklären, wie begeisterte
Czechen die Stadt Libussa's wieder gern mit dem Diadem der vollen Souveränität krönen
möchten. -- Die Losreißung Böhmens vom Reichsverband ist eine Unmöglichkeit, den" wäre
das Land auch rein slavisch, wie könnte mitten in der heutigen Bewegung, die unaufhaltsam
auf die Vereinigung großer Massen hindrängt, ein Ländchen, wie Böhmen, sich isoliren'! Man
fürchtet also nicht den Erfolg eines czechomanischen Losreißungsversuchs -- diese Furcht wäre
mehr als kindisch -- aber die unheilvollen Conflicte, die eine solche Verirrung hervorrufen müßte.

Nennt diese Besorgnisse Gespcnsterscherei; sie ist nur zu verzeihlich, wenn man fortwäh¬
rend so unheimliche Schilderungen des in Prag herrschenden Geistes erhält. Alle Berichte stim¬
men darin überein, daß der deutsche Name in Prag auf die gehässigste Weise verhöhnt und
bedroht werde, daß Niemand wagen dürfe, öffentlich eine deutsche Cocarde zu tragen, oder vom
Frankfurter Parlament zu sprechen -c. Ist dies Duldsamkeit oder Brüderlichkeit'! Niemand
hindert den Czechen, mitten in Wien oder in Deutschböhmen, sein czechischcs Volk zu preisen
und die weißrothe Cocarde mit Stolz zu tragen; man findet vielmehr sein Selbstgefühl schön
und natürlich, aber der dcutscherzogene Böhme will auch mitten in Prag ein Deutscher bleiben
können. Möge unser geehrte Korrespondent dies den Czechen auf czcchisch sagen. -- Wir
hören so eben, daß 200 Wiener Studenten ihren Prager Brüdern eine deutsche Fahne über¬
bringen und als ein Symbol der Verbrüderung neben die böhmische stellen wollen. Hoffen
wir, daß die Aufnahme dieser Deputation jene Berichte Lügen strafen und den Weg zur Ver¬
ständigung bahnen wird.


D. Red.


Was besorgt man denn also in Deutschland? — Man besorgt, daß die Führer der
czechischm Partei ihr eigenes Interesse verkennen; daß sie dem Sturm und Drang einer
schwärmerischen Jugend nachgeben und die alte Träumerei von einem selbstständigen Böhmcr-
reich wieder anfachen könnten. Prag ist eine so königliche, eine so stolze und melancholische
Schönheit, daß sie manches Pragerkind verführen und den czechischcn Localpatriotismus leicht
zum Fanatismus und zur Phantasterei steigern kann; man kann sich erklären, wie begeisterte
Czechen die Stadt Libussa's wieder gern mit dem Diadem der vollen Souveränität krönen
möchten. — Die Losreißung Böhmens vom Reichsverband ist eine Unmöglichkeit, den» wäre
das Land auch rein slavisch, wie könnte mitten in der heutigen Bewegung, die unaufhaltsam
auf die Vereinigung großer Massen hindrängt, ein Ländchen, wie Böhmen, sich isoliren'! Man
fürchtet also nicht den Erfolg eines czechomanischen Losreißungsversuchs — diese Furcht wäre
mehr als kindisch — aber die unheilvollen Conflicte, die eine solche Verirrung hervorrufen müßte.

Nennt diese Besorgnisse Gespcnsterscherei; sie ist nur zu verzeihlich, wenn man fortwäh¬
rend so unheimliche Schilderungen des in Prag herrschenden Geistes erhält. Alle Berichte stim¬
men darin überein, daß der deutsche Name in Prag auf die gehässigste Weise verhöhnt und
bedroht werde, daß Niemand wagen dürfe, öffentlich eine deutsche Cocarde zu tragen, oder vom
Frankfurter Parlament zu sprechen -c. Ist dies Duldsamkeit oder Brüderlichkeit'! Niemand
hindert den Czechen, mitten in Wien oder in Deutschböhmen, sein czechischcs Volk zu preisen
und die weißrothe Cocarde mit Stolz zu tragen; man findet vielmehr sein Selbstgefühl schön
und natürlich, aber der dcutscherzogene Böhme will auch mitten in Prag ein Deutscher bleiben
können. Möge unser geehrte Korrespondent dies den Czechen auf czcchisch sagen. — Wir
hören so eben, daß 200 Wiener Studenten ihren Prager Brüdern eine deutsche Fahne über¬
bringen und als ein Symbol der Verbrüderung neben die böhmische stellen wollen. Hoffen
wir, daß die Aufnahme dieser Deputation jene Berichte Lügen strafen und den Weg zur Ver¬
ständigung bahnen wird.


D. Red.


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[0098] Was besorgt man denn also in Deutschland? — Man besorgt, daß die Führer der czechischm Partei ihr eigenes Interesse verkennen; daß sie dem Sturm und Drang einer schwärmerischen Jugend nachgeben und die alte Träumerei von einem selbstständigen Böhmcr- reich wieder anfachen könnten. Prag ist eine so königliche, eine so stolze und melancholische Schönheit, daß sie manches Pragerkind verführen und den czechischcn Localpatriotismus leicht zum Fanatismus und zur Phantasterei steigern kann; man kann sich erklären, wie begeisterte Czechen die Stadt Libussa's wieder gern mit dem Diadem der vollen Souveränität krönen möchten. — Die Losreißung Böhmens vom Reichsverband ist eine Unmöglichkeit, den» wäre das Land auch rein slavisch, wie könnte mitten in der heutigen Bewegung, die unaufhaltsam auf die Vereinigung großer Massen hindrängt, ein Ländchen, wie Böhmen, sich isoliren'! Man fürchtet also nicht den Erfolg eines czechomanischen Losreißungsversuchs — diese Furcht wäre mehr als kindisch — aber die unheilvollen Conflicte, die eine solche Verirrung hervorrufen müßte. Nennt diese Besorgnisse Gespcnsterscherei; sie ist nur zu verzeihlich, wenn man fortwäh¬ rend so unheimliche Schilderungen des in Prag herrschenden Geistes erhält. Alle Berichte stim¬ men darin überein, daß der deutsche Name in Prag auf die gehässigste Weise verhöhnt und bedroht werde, daß Niemand wagen dürfe, öffentlich eine deutsche Cocarde zu tragen, oder vom Frankfurter Parlament zu sprechen -c. Ist dies Duldsamkeit oder Brüderlichkeit'! Niemand hindert den Czechen, mitten in Wien oder in Deutschböhmen, sein czechischcs Volk zu preisen und die weißrothe Cocarde mit Stolz zu tragen; man findet vielmehr sein Selbstgefühl schön und natürlich, aber der dcutscherzogene Böhme will auch mitten in Prag ein Deutscher bleiben können. Möge unser geehrte Korrespondent dies den Czechen auf czcchisch sagen. — Wir hören so eben, daß 200 Wiener Studenten ihren Prager Brüdern eine deutsche Fahne über¬ bringen und als ein Symbol der Verbrüderung neben die böhmische stellen wollen. Hoffen wir, daß die Aufnahme dieser Deputation jene Berichte Lügen strafen und den Weg zur Ver¬ ständigung bahnen wird. D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/98>, abgerufen am 23.07.2024.