Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Worauf wartete die Regierung eigentlich? Wie sie sagte, auf das gesetzliche
Organ des Landes, den Vereinigten Landtag. Sie wollte nicht aus absoluter
Machtvollkommenheit die Freiheit geben. Sie vergaß, daß in aufgeregten Zeiten
die Stände nur in so weit gelten, als sie die Stimme des Volks, d. h. der Ent¬
schiedener im Volke, für sich haben; sie vergaß, daß ihre eigne Existenz nicht ans
dem Rechtsboden, sondern auf einem Vulkan ruhe, den die Revolution, den der
Barrikadenkampf aufgeworfen. Sie vergaß, daß die Stände, welche dem absoluten
Königthum gegenüber die Freiheit vertreten hatten, im Verhältniß zu der neuen Zeit
nur die Reaction sein konnten. Sie hatte die Geschichte der französischen Revo¬
lution nicht gelesen, oder sie hatte vergessen, daß die Parlamentsräthe, die gegen
die Autokratie des Hofes die wüthendste Opposition gemacht, in der demokratischen
Versammlung die extremsten Reactionärs waren. Die Vertreter der Privilegien
werden gegen den absoluten Staat ebenso energisch auftreten, als gegen die Sou¬
veränität des Volkes. Ich will Herrn v. Vincke nicht mit d'Espremenil verglei¬
chen, aber in ihrer Situation ist doch eine gewisse Verwandtschaft.

Was sollte der Landtag eigentlich? Die alte, gestürzte Partei beschwichtigen?
Das konnte er nicht, denn für diese wU er immer noch zu liberal; das durfte er
auch nicht, denn eine Einigkeit mit der alten verrätherischen Partei wäre ein
Verrath an der Sache gewesen^ die allein die neue Regierung aufrecht hielt. Die
conservativ - constitutionelle Partei wollte Ordnung, Gesetz, gemäßigte Freiheit;
wenn das Gouvernement diese selbstständig geben konnte, so wäre die Partei zu¬
frieden gewesen, mit oder ohne Landtag. Die Radikalen dagegen denuncirten
bereits die Möglichkeit dieses Landtags als einen Verrath; das; Volk war in
Gährung, und der Landtag konnte dieser nur neuen Stoss geben, nicht sie be-
MvGÄSG' >>'! et^,ut'i',<:!^"um,fil-iiM sus" ö>>6 'ins iZMjl

Noch einmal also , was sollte der Landtag? die Regierung stützen, er, dessen
Grundvesten vollkommen aufgelöst und zerbröckelt waren, der sich selbst das Todes¬
urtheil ivrechen mußte? Wollte die Regierung demokratische Einrichtungen hervor¬
rufen, so. konnte sie es ohne ihn, denn das Volk stützte sie; wollte sie es nicht,
so konnte er ihr nichts helfen, denn wenn er sie unterstützte, so klagte man beide
an, wenn er ihr opponirte, so war ihr wieder die Initiative geraubt, und sie
mußte Concessionen machen, anstatt zu führen. Ist es nicht, beiläufig, eine Schmach
für Männer wie Hansemann, Camphausen, Auerswald, daß dieser alte Land¬
tag in wichtigen Punkten in die Gesetzvorschläge des Gouvernements eine Modifi¬
kation in liberalem Sinn eintreten lassen zu müssen glaubte?

Und vor Allem: durch diesen Aufschub gingen einige kostbare Tage verloren,
die bei der herrschenden Stimmung nothwendig der Revolution zu Gute kommen

WHt""in" nnSll^wIvM "i5',,.jzj,v,P' irsldZ5''Ä"i,'i>Ä ,in"''7"Hj.ijM )pir
Wie dem auch sei, die Regierung glaubte einmal, den einberufenen Landtag
auch abhalten zu müssen. Noch jetzt hätte sie ihn halten können, wenn sie ihn


Worauf wartete die Regierung eigentlich? Wie sie sagte, auf das gesetzliche
Organ des Landes, den Vereinigten Landtag. Sie wollte nicht aus absoluter
Machtvollkommenheit die Freiheit geben. Sie vergaß, daß in aufgeregten Zeiten
die Stände nur in so weit gelten, als sie die Stimme des Volks, d. h. der Ent¬
schiedener im Volke, für sich haben; sie vergaß, daß ihre eigne Existenz nicht ans
dem Rechtsboden, sondern auf einem Vulkan ruhe, den die Revolution, den der
Barrikadenkampf aufgeworfen. Sie vergaß, daß die Stände, welche dem absoluten
Königthum gegenüber die Freiheit vertreten hatten, im Verhältniß zu der neuen Zeit
nur die Reaction sein konnten. Sie hatte die Geschichte der französischen Revo¬
lution nicht gelesen, oder sie hatte vergessen, daß die Parlamentsräthe, die gegen
die Autokratie des Hofes die wüthendste Opposition gemacht, in der demokratischen
Versammlung die extremsten Reactionärs waren. Die Vertreter der Privilegien
werden gegen den absoluten Staat ebenso energisch auftreten, als gegen die Sou¬
veränität des Volkes. Ich will Herrn v. Vincke nicht mit d'Espremenil verglei¬
chen, aber in ihrer Situation ist doch eine gewisse Verwandtschaft.

Was sollte der Landtag eigentlich? Die alte, gestürzte Partei beschwichtigen?
Das konnte er nicht, denn für diese wU er immer noch zu liberal; das durfte er
auch nicht, denn eine Einigkeit mit der alten verrätherischen Partei wäre ein
Verrath an der Sache gewesen^ die allein die neue Regierung aufrecht hielt. Die
conservativ - constitutionelle Partei wollte Ordnung, Gesetz, gemäßigte Freiheit;
wenn das Gouvernement diese selbstständig geben konnte, so wäre die Partei zu¬
frieden gewesen, mit oder ohne Landtag. Die Radikalen dagegen denuncirten
bereits die Möglichkeit dieses Landtags als einen Verrath; das; Volk war in
Gährung, und der Landtag konnte dieser nur neuen Stoss geben, nicht sie be-
MvGÄSG' >>'! et^,ut'i',<:!^«um,fil-iiM sus» ö>>6 'ins iZMjl

Noch einmal also , was sollte der Landtag? die Regierung stützen, er, dessen
Grundvesten vollkommen aufgelöst und zerbröckelt waren, der sich selbst das Todes¬
urtheil ivrechen mußte? Wollte die Regierung demokratische Einrichtungen hervor¬
rufen, so. konnte sie es ohne ihn, denn das Volk stützte sie; wollte sie es nicht,
so konnte er ihr nichts helfen, denn wenn er sie unterstützte, so klagte man beide
an, wenn er ihr opponirte, so war ihr wieder die Initiative geraubt, und sie
mußte Concessionen machen, anstatt zu führen. Ist es nicht, beiläufig, eine Schmach
für Männer wie Hansemann, Camphausen, Auerswald, daß dieser alte Land¬
tag in wichtigen Punkten in die Gesetzvorschläge des Gouvernements eine Modifi¬
kation in liberalem Sinn eintreten lassen zu müssen glaubte?

Und vor Allem: durch diesen Aufschub gingen einige kostbare Tage verloren,
die bei der herrschenden Stimmung nothwendig der Revolution zu Gute kommen

WHt«»in« nnSll^wIvM »i5',,.jzj,v,P' irsldZ5''Ä»i,'i>Ä ,in»''7»Hj.ijM )pir
Wie dem auch sei, die Regierung glaubte einmal, den einberufenen Landtag
auch abhalten zu müssen. Noch jetzt hätte sie ihn halten können, wenn sie ihn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276280"/>
          <p xml:id="ID_232"> Worauf wartete die Regierung eigentlich? Wie sie sagte, auf das gesetzliche<lb/>
Organ des Landes, den Vereinigten Landtag. Sie wollte nicht aus absoluter<lb/>
Machtvollkommenheit die Freiheit geben. Sie vergaß, daß in aufgeregten Zeiten<lb/>
die Stände nur in so weit gelten, als sie die Stimme des Volks, d. h. der Ent¬<lb/>
schiedener im Volke, für sich haben; sie vergaß, daß ihre eigne Existenz nicht ans<lb/>
dem Rechtsboden, sondern auf einem Vulkan ruhe, den die Revolution, den der<lb/>
Barrikadenkampf aufgeworfen. Sie vergaß, daß die Stände, welche dem absoluten<lb/>
Königthum gegenüber die Freiheit vertreten hatten, im Verhältniß zu der neuen Zeit<lb/>
nur die Reaction sein konnten. Sie hatte die Geschichte der französischen Revo¬<lb/>
lution nicht gelesen, oder sie hatte vergessen, daß die Parlamentsräthe, die gegen<lb/>
die Autokratie des Hofes die wüthendste Opposition gemacht, in der demokratischen<lb/>
Versammlung die extremsten Reactionärs waren. Die Vertreter der Privilegien<lb/>
werden gegen den absoluten Staat ebenso energisch auftreten, als gegen die Sou¬<lb/>
veränität des Volkes. Ich will Herrn v. Vincke nicht mit d'Espremenil verglei¬<lb/>
chen, aber in ihrer Situation ist doch eine gewisse Verwandtschaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_233"> Was sollte der Landtag eigentlich? Die alte, gestürzte Partei beschwichtigen?<lb/>
Das konnte er nicht, denn für diese wU er immer noch zu liberal; das durfte er<lb/>
auch nicht, denn eine Einigkeit mit der alten verrätherischen Partei wäre ein<lb/>
Verrath an der Sache gewesen^ die allein die neue Regierung aufrecht hielt. Die<lb/>
conservativ - constitutionelle Partei wollte Ordnung, Gesetz, gemäßigte Freiheit;<lb/>
wenn das Gouvernement diese selbstständig geben konnte, so wäre die Partei zu¬<lb/>
frieden gewesen, mit oder ohne Landtag. Die Radikalen dagegen denuncirten<lb/>
bereits die Möglichkeit dieses Landtags als einen Verrath; das; Volk war in<lb/>
Gährung, und der Landtag konnte dieser nur neuen Stoss geben, nicht sie be-<lb/>
MvGÄSG' &gt;&gt;'!  et^,ut'i',&lt;:!^«um,fil-iiM sus» ö&gt;&gt;6 'ins iZMjl</p><lb/>
          <p xml:id="ID_234"> Noch einmal also , was sollte der Landtag? die Regierung stützen, er, dessen<lb/>
Grundvesten vollkommen aufgelöst und zerbröckelt waren, der sich selbst das Todes¬<lb/>
urtheil ivrechen mußte? Wollte die Regierung demokratische Einrichtungen hervor¬<lb/>
rufen, so. konnte sie es ohne ihn, denn das Volk stützte sie; wollte sie es nicht,<lb/>
so konnte er ihr nichts helfen, denn wenn er sie unterstützte, so klagte man beide<lb/>
an, wenn er ihr opponirte, so war ihr wieder die Initiative geraubt, und sie<lb/>
mußte Concessionen machen, anstatt zu führen. Ist es nicht, beiläufig, eine Schmach<lb/>
für Männer wie Hansemann, Camphausen, Auerswald, daß dieser alte Land¬<lb/>
tag in wichtigen Punkten in die Gesetzvorschläge des Gouvernements eine Modifi¬<lb/>
kation in liberalem Sinn eintreten lassen zu müssen glaubte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_235"> Und vor Allem: durch diesen Aufschub gingen einige kostbare Tage verloren,<lb/>
die bei der herrschenden Stimmung nothwendig der Revolution zu Gute kommen</p><lb/>
          <p xml:id="ID_236" next="#ID_237"> WHt«»in« nnSll^wIvM »i5',,.jzj,v,P' irsldZ5''Ä»i,'i&gt;Ä ,in»''7»Hj.ijM )pir<lb/>
Wie dem auch sei, die Regierung glaubte einmal, den einberufenen Landtag<lb/>
auch abhalten zu müssen. Noch jetzt hätte sie ihn halten können, wenn sie ihn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0074] Worauf wartete die Regierung eigentlich? Wie sie sagte, auf das gesetzliche Organ des Landes, den Vereinigten Landtag. Sie wollte nicht aus absoluter Machtvollkommenheit die Freiheit geben. Sie vergaß, daß in aufgeregten Zeiten die Stände nur in so weit gelten, als sie die Stimme des Volks, d. h. der Ent¬ schiedener im Volke, für sich haben; sie vergaß, daß ihre eigne Existenz nicht ans dem Rechtsboden, sondern auf einem Vulkan ruhe, den die Revolution, den der Barrikadenkampf aufgeworfen. Sie vergaß, daß die Stände, welche dem absoluten Königthum gegenüber die Freiheit vertreten hatten, im Verhältniß zu der neuen Zeit nur die Reaction sein konnten. Sie hatte die Geschichte der französischen Revo¬ lution nicht gelesen, oder sie hatte vergessen, daß die Parlamentsräthe, die gegen die Autokratie des Hofes die wüthendste Opposition gemacht, in der demokratischen Versammlung die extremsten Reactionärs waren. Die Vertreter der Privilegien werden gegen den absoluten Staat ebenso energisch auftreten, als gegen die Sou¬ veränität des Volkes. Ich will Herrn v. Vincke nicht mit d'Espremenil verglei¬ chen, aber in ihrer Situation ist doch eine gewisse Verwandtschaft. Was sollte der Landtag eigentlich? Die alte, gestürzte Partei beschwichtigen? Das konnte er nicht, denn für diese wU er immer noch zu liberal; das durfte er auch nicht, denn eine Einigkeit mit der alten verrätherischen Partei wäre ein Verrath an der Sache gewesen^ die allein die neue Regierung aufrecht hielt. Die conservativ - constitutionelle Partei wollte Ordnung, Gesetz, gemäßigte Freiheit; wenn das Gouvernement diese selbstständig geben konnte, so wäre die Partei zu¬ frieden gewesen, mit oder ohne Landtag. Die Radikalen dagegen denuncirten bereits die Möglichkeit dieses Landtags als einen Verrath; das; Volk war in Gährung, und der Landtag konnte dieser nur neuen Stoss geben, nicht sie be- MvGÄSG' >>'! et^,ut'i',<:!^«um,fil-iiM sus» ö>>6 'ins iZMjl Noch einmal also , was sollte der Landtag? die Regierung stützen, er, dessen Grundvesten vollkommen aufgelöst und zerbröckelt waren, der sich selbst das Todes¬ urtheil ivrechen mußte? Wollte die Regierung demokratische Einrichtungen hervor¬ rufen, so. konnte sie es ohne ihn, denn das Volk stützte sie; wollte sie es nicht, so konnte er ihr nichts helfen, denn wenn er sie unterstützte, so klagte man beide an, wenn er ihr opponirte, so war ihr wieder die Initiative geraubt, und sie mußte Concessionen machen, anstatt zu führen. Ist es nicht, beiläufig, eine Schmach für Männer wie Hansemann, Camphausen, Auerswald, daß dieser alte Land¬ tag in wichtigen Punkten in die Gesetzvorschläge des Gouvernements eine Modifi¬ kation in liberalem Sinn eintreten lassen zu müssen glaubte? Und vor Allem: durch diesen Aufschub gingen einige kostbare Tage verloren, die bei der herrschenden Stimmung nothwendig der Revolution zu Gute kommen WHt«»in« nnSll^wIvM »i5',,.jzj,v,P' irsldZ5''Ä»i,'i>Ä ,in»''7»Hj.ijM )pir Wie dem auch sei, die Regierung glaubte einmal, den einberufenen Landtag auch abhalten zu müssen. Noch jetzt hätte sie ihn halten können, wenn sie ihn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/74
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/74>, abgerufen am 03.07.2024.