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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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halten, daß sie dasselbe durch die Aussicht auf ein unbekanntes Jenseits daS Elend
des hiesigen Lebens habe vergessen lassen; das Ministerium Eichhorn habe dieses
Wesen so ans die Spitze getrieben, daß es habe brechen müssen, und man sei ihm
darum Dank schuldig. Nur die Aufklärung könne den Arbeiter glücklich und zu
einem nützlichen Gliede des Staats machen.

3) Die Kosten dieses Unternehmens seien dadurch herzustellen, daß mau das
Militär abschaffe, und eine allgemeine Volksbewaffnung einführe; auch das Waffen¬
handwerk solle eine Schule des Volks sein; sie seien ferner dadurch herzustellen,

4) daß man die Regierung wohlfeiler mache, daß man deit unnützen Hofhalt
abstelle, nud die Negierung nur als Beamte des Volkes betrachte.

5) Endlich müßte die Regierung controlirt werdeu, aber nicht durch die pri-
vilegirten Stände, sondern durch echte Volksvertreter. Diese könnten nur aus Ur-
wähler hervorgehen. Einberufungen der Urversammlungen sei also das erste Recht
des Volkes.

Ich muß gestehen, daß ich selten einen Vortrug gehört habe, der klarer und
mehr auf sein Publikum berechnet gewesen wäre. Durchaus populär, durchaus
im Ton eines Handwerkers, und doch von einer logischen Schärfe, die jedem
Philosophen Ehre gemacht haben würde. Nur ein paar Mal verplauderte er
sich, und ließ geradezu Feuervach'sche Theorien hören. Den folgenden Tag sah
ich ihn im Frack und in Glacehandschuhen im politischen Club.

Ein Arzt, Dr. Ries, hob dieselben Punkte mit gleicher Beredsamkeit hervor.
Sie wurden auf den Antrag des Justiz-Commissarius Reinhart, trotz des Wider¬
standes, den Urban und das übrige Comite leisteten, zum Beschluß der Versamm¬
lung erhoben und dem König vorgelegt. Der König verwies die Abgeordneten an
die betreffenden Behörden.

Es ist seit dem, wie ich lese, Sonntags wieder eine Arbeiterversammlung
gehalten, in der man gegen die projectirten Wahlbeschränkungen protestirt hat.
Auch in den Zelten finden noch immer größere Versammlungen statt, meistens von
der radicalen Partei. Die bewaffnete Bürgerschaft soll wieder einige Attentate
aus die Associationsfreiheit gemacht haben.

Die Zeitungen erscheinen jetzt in einem wahrhaft Schrecken erregenden Um¬
fang; den größten Raum füllen die Annoncen aus, denn Jeder will jetzt etwas
von sich hören lassen. Zum großen Theil sind es lyrisch-dithyrambische Ausbrüche
der freigelassenen Freiheitsbegeistcrnng; auch Artikel versöhnlichen Inhalts; meh-
rere Leutnants haben ihre Sympathien mit dem Volk poetisch an den Tag gelegt,
freilich kommen auch dazwischen manche ziemlich freche Herausforderungen vor.
Gebessert haben sich aber die Zeitungen uicht, mit Ausnahme der Zeitungshalle,
deren Redacteur jetzt seinen sophistisch-antiliberalen Standpunkt aufgegeben und
sich mit Entschiedenheit dem Ultra - Radikalismus angeschlossen hat. Das Motto
seiner Zeitung ist jetzt: Alles für das Volk, und alles durch das Volk. Er trägt


halten, daß sie dasselbe durch die Aussicht auf ein unbekanntes Jenseits daS Elend
des hiesigen Lebens habe vergessen lassen; das Ministerium Eichhorn habe dieses
Wesen so ans die Spitze getrieben, daß es habe brechen müssen, und man sei ihm
darum Dank schuldig. Nur die Aufklärung könne den Arbeiter glücklich und zu
einem nützlichen Gliede des Staats machen.

3) Die Kosten dieses Unternehmens seien dadurch herzustellen, daß mau das
Militär abschaffe, und eine allgemeine Volksbewaffnung einführe; auch das Waffen¬
handwerk solle eine Schule des Volks sein; sie seien ferner dadurch herzustellen,

4) daß man die Regierung wohlfeiler mache, daß man deit unnützen Hofhalt
abstelle, nud die Negierung nur als Beamte des Volkes betrachte.

5) Endlich müßte die Regierung controlirt werdeu, aber nicht durch die pri-
vilegirten Stände, sondern durch echte Volksvertreter. Diese könnten nur aus Ur-
wähler hervorgehen. Einberufungen der Urversammlungen sei also das erste Recht
des Volkes.

Ich muß gestehen, daß ich selten einen Vortrug gehört habe, der klarer und
mehr auf sein Publikum berechnet gewesen wäre. Durchaus populär, durchaus
im Ton eines Handwerkers, und doch von einer logischen Schärfe, die jedem
Philosophen Ehre gemacht haben würde. Nur ein paar Mal verplauderte er
sich, und ließ geradezu Feuervach'sche Theorien hören. Den folgenden Tag sah
ich ihn im Frack und in Glacehandschuhen im politischen Club.

Ein Arzt, Dr. Ries, hob dieselben Punkte mit gleicher Beredsamkeit hervor.
Sie wurden auf den Antrag des Justiz-Commissarius Reinhart, trotz des Wider¬
standes, den Urban und das übrige Comite leisteten, zum Beschluß der Versamm¬
lung erhoben und dem König vorgelegt. Der König verwies die Abgeordneten an
die betreffenden Behörden.

Es ist seit dem, wie ich lese, Sonntags wieder eine Arbeiterversammlung
gehalten, in der man gegen die projectirten Wahlbeschränkungen protestirt hat.
Auch in den Zelten finden noch immer größere Versammlungen statt, meistens von
der radicalen Partei. Die bewaffnete Bürgerschaft soll wieder einige Attentate
aus die Associationsfreiheit gemacht haben.

Die Zeitungen erscheinen jetzt in einem wahrhaft Schrecken erregenden Um¬
fang; den größten Raum füllen die Annoncen aus, denn Jeder will jetzt etwas
von sich hören lassen. Zum großen Theil sind es lyrisch-dithyrambische Ausbrüche
der freigelassenen Freiheitsbegeistcrnng; auch Artikel versöhnlichen Inhalts; meh-
rere Leutnants haben ihre Sympathien mit dem Volk poetisch an den Tag gelegt,
freilich kommen auch dazwischen manche ziemlich freche Herausforderungen vor.
Gebessert haben sich aber die Zeitungen uicht, mit Ausnahme der Zeitungshalle,
deren Redacteur jetzt seinen sophistisch-antiliberalen Standpunkt aufgegeben und
sich mit Entschiedenheit dem Ultra - Radikalismus angeschlossen hat. Das Motto
seiner Zeitung ist jetzt: Alles für das Volk, und alles durch das Volk. Er trägt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/31>, abgerufen am 26.06.2024.