Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rung zwischen der deutschen und polnischen Nationalität statt -- ein lmisor I'-unou-
rette, das für die Verbrüderung der Provinz von keinem bedeutenden Erfolg sein
wird. Die Art, wie mau hier mit dem Königthum umspringt, ist fabelhaft, wenn
man sich an frühere Zeiten erinnert; ich sagte schon einmal, daß die Berliner
alle Hochverrathsgedanken, die sie seit 33 Jahren hatten unterdrücken müs¬
sen, jetzt bei der allgemeinen Explosion an die Lust bringen. Einen Fehler
haben die meisten Reden dieses Clubs: sie pochen zu sehr auf die Ereignisse
vom 19. März, sie erzählen zu viel von ihrer Revolution, sie drohen zu
viel mit einer neuen. Die Revolution ist nicht ein permanenter Zustand, der
Umsturz der Staatsverfassung bringt keine t-nun.-l rasa hervor, sondern eine Masse
von Bausteinen und Localitäten, die nun benutzt werden müssen zum Aufbau der
neuen. Mögen die Berliner sich hüten, daß man ihnen nicht vorwirft, was Lord
Chestcrsteld von den Franzosen behauptete: sie verstehen wohl Barrikaden aufzu¬
bauen, aber uicht Barrieren, d. h., sie verstehen die Regierung zu stürzen, aber
nicht sie zu beschräuken.

Gewissermaßen im Gegensatz gegen diesen Club hat sich ein "constitutioneller"
gebildet unter dem Vorsitz des Justizcommissarius Crelinger, der früher ans
Königsberg wegen seiner liberalen Gesinnung entfernt wurde und sich später im
Polenproceß auszeichnete. Er ist viel zahlreicher als der andere, und alle Mode-
rirten scheinen sich ihm anschließen zu wollen. Doch ist er entschieden liberal, und
will der Reaction ebenso Widerstand leisten, als der Anarchie. Dieser Club, der
seine feste Organisation, selbst seine Stenographen hat, scheint ruhiger und gründ¬
licher verfahren zu wollen, als der "politische," doch sagt man ihm nach, daß er
anch langweiliger sei. Als Augenzeuge kann ich davon nicht sprechen, da bei der
ersten, bei meiner Anwesenheit abgehaltenen Versammlung wegen Mangel an Raum
an eine eigentliche Debatte nicht gedacht werden konnte.

Eine sehr bedeutende Stütze hat die Bourgeoisie an dem Polizeipräsidenten
v. Minutoli, gegenwärtig dem populärsten Mann von Berlin, der auch durch
allgemeine Acclamation an die Spitze der Bürgerbewaffnung gestellt wurde. Wenn
er über die Straße geht, wird er allgemein gegrüßt -- eine Ehre, mit welcher
der Berliner in der letzten Zeit auch gegen die Prinzen sehr sparsam war. Er
hat sich während der Blutrache vom 18. März sehr liberal gezeigt. Indessen hat
es immer einen eigenen Anstrich gehabt, das Commando der Nationalgarde dem
Polizeipräsidenten anzuvertrauen, und spricht mehr für den friedlich gesetzlichen
Sinn der Berliner Bürger, als für ihren Freiheitstrieb. Herr v. Minutoli hat
das selbst gefühlt, und nur nach langem Sträuben seine neue Stellung ange¬
nommen. -- (Anm.) So eben hat er sie niedergelegt.

Von den Literaten hat sich namentlich Einer als Friedensstifter und Verbün¬
deter der gesetzlich gestimmten Bourgeoisie ausgezeichnet, Herr Dr. Wöniger,
der schon früher durch seine Referate in der Vossischen, namentlich über die Lei-


3* -

rung zwischen der deutschen und polnischen Nationalität statt — ein lmisor I'-unou-
rette, das für die Verbrüderung der Provinz von keinem bedeutenden Erfolg sein
wird. Die Art, wie mau hier mit dem Königthum umspringt, ist fabelhaft, wenn
man sich an frühere Zeiten erinnert; ich sagte schon einmal, daß die Berliner
alle Hochverrathsgedanken, die sie seit 33 Jahren hatten unterdrücken müs¬
sen, jetzt bei der allgemeinen Explosion an die Lust bringen. Einen Fehler
haben die meisten Reden dieses Clubs: sie pochen zu sehr auf die Ereignisse
vom 19. März, sie erzählen zu viel von ihrer Revolution, sie drohen zu
viel mit einer neuen. Die Revolution ist nicht ein permanenter Zustand, der
Umsturz der Staatsverfassung bringt keine t-nun.-l rasa hervor, sondern eine Masse
von Bausteinen und Localitäten, die nun benutzt werden müssen zum Aufbau der
neuen. Mögen die Berliner sich hüten, daß man ihnen nicht vorwirft, was Lord
Chestcrsteld von den Franzosen behauptete: sie verstehen wohl Barrikaden aufzu¬
bauen, aber uicht Barrieren, d. h., sie verstehen die Regierung zu stürzen, aber
nicht sie zu beschräuken.

Gewissermaßen im Gegensatz gegen diesen Club hat sich ein „constitutioneller"
gebildet unter dem Vorsitz des Justizcommissarius Crelinger, der früher ans
Königsberg wegen seiner liberalen Gesinnung entfernt wurde und sich später im
Polenproceß auszeichnete. Er ist viel zahlreicher als der andere, und alle Mode-
rirten scheinen sich ihm anschließen zu wollen. Doch ist er entschieden liberal, und
will der Reaction ebenso Widerstand leisten, als der Anarchie. Dieser Club, der
seine feste Organisation, selbst seine Stenographen hat, scheint ruhiger und gründ¬
licher verfahren zu wollen, als der „politische," doch sagt man ihm nach, daß er
anch langweiliger sei. Als Augenzeuge kann ich davon nicht sprechen, da bei der
ersten, bei meiner Anwesenheit abgehaltenen Versammlung wegen Mangel an Raum
an eine eigentliche Debatte nicht gedacht werden konnte.

Eine sehr bedeutende Stütze hat die Bourgeoisie an dem Polizeipräsidenten
v. Minutoli, gegenwärtig dem populärsten Mann von Berlin, der auch durch
allgemeine Acclamation an die Spitze der Bürgerbewaffnung gestellt wurde. Wenn
er über die Straße geht, wird er allgemein gegrüßt — eine Ehre, mit welcher
der Berliner in der letzten Zeit auch gegen die Prinzen sehr sparsam war. Er
hat sich während der Blutrache vom 18. März sehr liberal gezeigt. Indessen hat
es immer einen eigenen Anstrich gehabt, das Commando der Nationalgarde dem
Polizeipräsidenten anzuvertrauen, und spricht mehr für den friedlich gesetzlichen
Sinn der Berliner Bürger, als für ihren Freiheitstrieb. Herr v. Minutoli hat
das selbst gefühlt, und nur nach langem Sträuben seine neue Stellung ange¬
nommen. — (Anm.) So eben hat er sie niedergelegt.

Von den Literaten hat sich namentlich Einer als Friedensstifter und Verbün¬
deter der gesetzlich gestimmten Bourgeoisie ausgezeichnet, Herr Dr. Wöniger,
der schon früher durch seine Referate in der Vossischen, namentlich über die Lei-


3* -
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276235"/>
            <p xml:id="ID_75" prev="#ID_74"> rung zwischen der deutschen und polnischen Nationalität statt &#x2014; ein lmisor I'-unou-<lb/>
rette, das für die Verbrüderung der Provinz von keinem bedeutenden Erfolg sein<lb/>
wird. Die Art, wie mau hier mit dem Königthum umspringt, ist fabelhaft, wenn<lb/>
man sich an frühere Zeiten erinnert; ich sagte schon einmal, daß die Berliner<lb/>
alle Hochverrathsgedanken, die sie seit 33 Jahren hatten unterdrücken müs¬<lb/>
sen, jetzt bei der allgemeinen Explosion an die Lust bringen. Einen Fehler<lb/>
haben die meisten Reden dieses Clubs: sie pochen zu sehr auf die Ereignisse<lb/>
vom 19. März, sie erzählen zu viel von ihrer Revolution, sie drohen zu<lb/>
viel mit einer neuen. Die Revolution ist nicht ein permanenter Zustand, der<lb/>
Umsturz der Staatsverfassung bringt keine t-nun.-l rasa hervor, sondern eine Masse<lb/>
von Bausteinen und Localitäten, die nun benutzt werden müssen zum Aufbau der<lb/>
neuen. Mögen die Berliner sich hüten, daß man ihnen nicht vorwirft, was Lord<lb/>
Chestcrsteld von den Franzosen behauptete: sie verstehen wohl Barrikaden aufzu¬<lb/>
bauen, aber uicht Barrieren, d. h., sie verstehen die Regierung zu stürzen, aber<lb/>
nicht sie zu beschräuken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_76"> Gewissermaßen im Gegensatz gegen diesen Club hat sich ein &#x201E;constitutioneller"<lb/>
gebildet unter dem Vorsitz des Justizcommissarius Crelinger, der früher ans<lb/>
Königsberg wegen seiner liberalen Gesinnung entfernt wurde und sich später im<lb/>
Polenproceß auszeichnete. Er ist viel zahlreicher als der andere, und alle Mode-<lb/>
rirten scheinen sich ihm anschließen zu wollen. Doch ist er entschieden liberal, und<lb/>
will der Reaction ebenso Widerstand leisten, als der Anarchie. Dieser Club, der<lb/>
seine feste Organisation, selbst seine Stenographen hat, scheint ruhiger und gründ¬<lb/>
licher verfahren zu wollen, als der &#x201E;politische," doch sagt man ihm nach, daß er<lb/>
anch langweiliger sei. Als Augenzeuge kann ich davon nicht sprechen, da bei der<lb/>
ersten, bei meiner Anwesenheit abgehaltenen Versammlung wegen Mangel an Raum<lb/>
an eine eigentliche Debatte nicht gedacht werden konnte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_77"> Eine sehr bedeutende Stütze hat die Bourgeoisie an dem Polizeipräsidenten<lb/>
v. Minutoli, gegenwärtig dem populärsten Mann von Berlin, der auch durch<lb/>
allgemeine Acclamation an die Spitze der Bürgerbewaffnung gestellt wurde. Wenn<lb/>
er über die Straße geht, wird er allgemein gegrüßt &#x2014; eine Ehre, mit welcher<lb/>
der Berliner in der letzten Zeit auch gegen die Prinzen sehr sparsam war. Er<lb/>
hat sich während der Blutrache vom 18. März sehr liberal gezeigt. Indessen hat<lb/>
es immer einen eigenen Anstrich gehabt, das Commando der Nationalgarde dem<lb/>
Polizeipräsidenten anzuvertrauen, und spricht mehr für den friedlich gesetzlichen<lb/>
Sinn der Berliner Bürger, als für ihren Freiheitstrieb. Herr v. Minutoli hat<lb/>
das selbst gefühlt, und nur nach langem Sträuben seine neue Stellung ange¬<lb/>
nommen. &#x2014; (Anm.) So eben hat er sie niedergelegt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_78" next="#ID_79"> Von den Literaten hat sich namentlich Einer als Friedensstifter und Verbün¬<lb/>
deter der gesetzlich gestimmten Bourgeoisie ausgezeichnet, Herr Dr. Wöniger,<lb/>
der schon früher durch seine Referate in der Vossischen, namentlich über die Lei-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 3* -</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] rung zwischen der deutschen und polnischen Nationalität statt — ein lmisor I'-unou- rette, das für die Verbrüderung der Provinz von keinem bedeutenden Erfolg sein wird. Die Art, wie mau hier mit dem Königthum umspringt, ist fabelhaft, wenn man sich an frühere Zeiten erinnert; ich sagte schon einmal, daß die Berliner alle Hochverrathsgedanken, die sie seit 33 Jahren hatten unterdrücken müs¬ sen, jetzt bei der allgemeinen Explosion an die Lust bringen. Einen Fehler haben die meisten Reden dieses Clubs: sie pochen zu sehr auf die Ereignisse vom 19. März, sie erzählen zu viel von ihrer Revolution, sie drohen zu viel mit einer neuen. Die Revolution ist nicht ein permanenter Zustand, der Umsturz der Staatsverfassung bringt keine t-nun.-l rasa hervor, sondern eine Masse von Bausteinen und Localitäten, die nun benutzt werden müssen zum Aufbau der neuen. Mögen die Berliner sich hüten, daß man ihnen nicht vorwirft, was Lord Chestcrsteld von den Franzosen behauptete: sie verstehen wohl Barrikaden aufzu¬ bauen, aber uicht Barrieren, d. h., sie verstehen die Regierung zu stürzen, aber nicht sie zu beschräuken. Gewissermaßen im Gegensatz gegen diesen Club hat sich ein „constitutioneller" gebildet unter dem Vorsitz des Justizcommissarius Crelinger, der früher ans Königsberg wegen seiner liberalen Gesinnung entfernt wurde und sich später im Polenproceß auszeichnete. Er ist viel zahlreicher als der andere, und alle Mode- rirten scheinen sich ihm anschließen zu wollen. Doch ist er entschieden liberal, und will der Reaction ebenso Widerstand leisten, als der Anarchie. Dieser Club, der seine feste Organisation, selbst seine Stenographen hat, scheint ruhiger und gründ¬ licher verfahren zu wollen, als der „politische," doch sagt man ihm nach, daß er anch langweiliger sei. Als Augenzeuge kann ich davon nicht sprechen, da bei der ersten, bei meiner Anwesenheit abgehaltenen Versammlung wegen Mangel an Raum an eine eigentliche Debatte nicht gedacht werden konnte. Eine sehr bedeutende Stütze hat die Bourgeoisie an dem Polizeipräsidenten v. Minutoli, gegenwärtig dem populärsten Mann von Berlin, der auch durch allgemeine Acclamation an die Spitze der Bürgerbewaffnung gestellt wurde. Wenn er über die Straße geht, wird er allgemein gegrüßt — eine Ehre, mit welcher der Berliner in der letzten Zeit auch gegen die Prinzen sehr sparsam war. Er hat sich während der Blutrache vom 18. März sehr liberal gezeigt. Indessen hat es immer einen eigenen Anstrich gehabt, das Commando der Nationalgarde dem Polizeipräsidenten anzuvertrauen, und spricht mehr für den friedlich gesetzlichen Sinn der Berliner Bürger, als für ihren Freiheitstrieb. Herr v. Minutoli hat das selbst gefühlt, und nur nach langem Sträuben seine neue Stellung ange¬ nommen. — (Anm.) So eben hat er sie niedergelegt. Von den Literaten hat sich namentlich Einer als Friedensstifter und Verbün¬ deter der gesetzlich gestimmten Bourgeoisie ausgezeichnet, Herr Dr. Wöniger, der schon früher durch seine Referate in der Vossischen, namentlich über die Lei- 3* -

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/29>, abgerufen am 26.06.2024.