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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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gen den bisherigen Druck mußte nun schweigen, wenigstens für den Allgenblick,
denn ein Jeder sagte, öffentlich oder privatim, was er Lust hatte, und wenn er
Muße hatte, es zu Papier zu bringen, so war ein Censor ebensowenig hinderlich,
als sich eine baldige Repressivmaßregel erwarten ließ. Freilich hatte die Masse
von der Preßfreiheit ziemlich sonderbare Vorstellungen; der Berliner Philister meinte,
er könne nun seinen Annoncen in der Vossischen freie Aufnahme verschaffen.

Es bildete sich sehr bald wieder eine revolutionäre und eine conservative Partei,
die sich principiell darin unterschied, daß die eine mit der Revolution vom 18.
März den alten Staat für abgebrochen hält, und ihn wie auf einem neuen Fun¬
dament -- der Souveränität des Volks, das an den Barrikaden die alte Militär¬
herrschaft gebrochen -- ganz von Frischem wieder aufrichten will, während die
andere die Umgestaltung, deren Nothwendigkeit sie eben so wohl einsieht, auf dem
Rechtsboden vorzunehmen gedenkt, d. h. innerhalb der gesetzlichen Formen des al¬
ten Staates. Es ist bekannt, daß die römischen Juristen nicht selten dadurch die
alten Formen festhielten, daß sie durch eine Fiction einen andern Sinn hineinleg¬
ten. Die alten Formen sollen allerdings aufgehoben werden, aber durch ihre ei¬
gene Dialektik.

Das Practische dieser Fragen knüpft sich lediglich an die National-Repräsenta-
tion; in den Forderungen der Preßfreiheit, Geschwornen und dergleichen sind alle
einig. Die revolutionäre Partei will, daß die neue, constituirende Versammlung
aus den Urwahleu hervorgehe, daß alle Staatsbürger ohne Unterschied, sobald sie
mündig sind, und durch kein richterliches Erkenntniß ihrer Ehrenrechte beraubt,
Wähler und wählbar sein, sollen. Die Konservativen wollen gewisse Classen aus¬
schließen, entweder durch einen kleinen Census, oder durch Entfernung bestimmter
Kategorien, des Gesindes, der Bettler u. tgi., oder durch indirecte Wahlen.

Die einen wollen also die Betheiligung derjenigen Volksklasse, die der mo¬
derne Franzose Peuple nennt, der Besitzlosen; denn sie, denen man vorzugsweise
die Revolution verdankt, sollen auch an den Früchten derselben Theil nehmen.
Eben darum sind sie auch darauf angewiesen, sich auf das "Volk" zu stützen, und
ihre geschicktesten Redner verstehen es sehr wohl, dem Arbeiter, dem vielleicht an
den theoretischen Rechten seiner Souveränität nicht viel gelegen sein würde, durch
Einmischung materieller Aussichten die Sache des Radikalismus in ein besseres
Licht zu stellen. Die conservative Partei sieht in dem allgemeinen Stimmrecht,
dem eine allgemeine Volksbewaffnung auf dem Fuße folgen müßte, die pronun-
cirte Anarchie, sie glaubt zwar nicht, daß ans den Urwahleu Männer ans der
niedern Volksklasse als Deputirte hervorgehen würden, denn es ist eine alte Er¬
fahrung, daß diese immer mehr einem besser Gekleideten ihr Vertrauen schenken,
als einem ihres Gleichen, sie fürchtet vielmehr, daß sie sich von der Leidenschaft¬
lichkeit der entschiedenen Radicalen fortreißen lassen, und eine Reihe von Jacobi-
nern in den Nationalconvent schicken werden, die selbst die Ideen des Communis-


gen den bisherigen Druck mußte nun schweigen, wenigstens für den Allgenblick,
denn ein Jeder sagte, öffentlich oder privatim, was er Lust hatte, und wenn er
Muße hatte, es zu Papier zu bringen, so war ein Censor ebensowenig hinderlich,
als sich eine baldige Repressivmaßregel erwarten ließ. Freilich hatte die Masse
von der Preßfreiheit ziemlich sonderbare Vorstellungen; der Berliner Philister meinte,
er könne nun seinen Annoncen in der Vossischen freie Aufnahme verschaffen.

Es bildete sich sehr bald wieder eine revolutionäre und eine conservative Partei,
die sich principiell darin unterschied, daß die eine mit der Revolution vom 18.
März den alten Staat für abgebrochen hält, und ihn wie auf einem neuen Fun¬
dament — der Souveränität des Volks, das an den Barrikaden die alte Militär¬
herrschaft gebrochen — ganz von Frischem wieder aufrichten will, während die
andere die Umgestaltung, deren Nothwendigkeit sie eben so wohl einsieht, auf dem
Rechtsboden vorzunehmen gedenkt, d. h. innerhalb der gesetzlichen Formen des al¬
ten Staates. Es ist bekannt, daß die römischen Juristen nicht selten dadurch die
alten Formen festhielten, daß sie durch eine Fiction einen andern Sinn hineinleg¬
ten. Die alten Formen sollen allerdings aufgehoben werden, aber durch ihre ei¬
gene Dialektik.

Das Practische dieser Fragen knüpft sich lediglich an die National-Repräsenta-
tion; in den Forderungen der Preßfreiheit, Geschwornen und dergleichen sind alle
einig. Die revolutionäre Partei will, daß die neue, constituirende Versammlung
aus den Urwahleu hervorgehe, daß alle Staatsbürger ohne Unterschied, sobald sie
mündig sind, und durch kein richterliches Erkenntniß ihrer Ehrenrechte beraubt,
Wähler und wählbar sein, sollen. Die Konservativen wollen gewisse Classen aus¬
schließen, entweder durch einen kleinen Census, oder durch Entfernung bestimmter
Kategorien, des Gesindes, der Bettler u. tgi., oder durch indirecte Wahlen.

Die einen wollen also die Betheiligung derjenigen Volksklasse, die der mo¬
derne Franzose Peuple nennt, der Besitzlosen; denn sie, denen man vorzugsweise
die Revolution verdankt, sollen auch an den Früchten derselben Theil nehmen.
Eben darum sind sie auch darauf angewiesen, sich auf das „Volk" zu stützen, und
ihre geschicktesten Redner verstehen es sehr wohl, dem Arbeiter, dem vielleicht an
den theoretischen Rechten seiner Souveränität nicht viel gelegen sein würde, durch
Einmischung materieller Aussichten die Sache des Radikalismus in ein besseres
Licht zu stellen. Die conservative Partei sieht in dem allgemeinen Stimmrecht,
dem eine allgemeine Volksbewaffnung auf dem Fuße folgen müßte, die pronun-
cirte Anarchie, sie glaubt zwar nicht, daß ans den Urwahleu Männer ans der
niedern Volksklasse als Deputirte hervorgehen würden, denn es ist eine alte Er¬
fahrung, daß diese immer mehr einem besser Gekleideten ihr Vertrauen schenken,
als einem ihres Gleichen, sie fürchtet vielmehr, daß sie sich von der Leidenschaft¬
lichkeit der entschiedenen Radicalen fortreißen lassen, und eine Reihe von Jacobi-
nern in den Nationalconvent schicken werden, die selbst die Ideen des Communis-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/24>, abgerufen am 26.06.2024.