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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Daß dieser Zusammentritt erfolgen wird, scheint nunmehr unzweifelhaft.
Die meisten deutschen Staaten -- Preußen mit eingeschlossen -- haben die Wah¬
len nach der vorgeschriebenen Form bereits angeordnet; von Oestreich ist eine solche
Wahlanordnuug in den nächsten Tagen zu erwarten.

Die Frage, welche zunächst zu prüfen wäre, ist diese: sind die Deputirten
anzusehn als Bevollmächtigte ihrer Staaten oder der ganzen Nation? -- Das letztere
scheint unzweifelhaft, wenn man die herrschende Phraseologie allein in Betracht
zieht; aber daß es dem Vorparlament selber doch nicht so ganz unzweifelhaft ge¬
wesen, ergibt sich n. a. aus der Bestimmung, daß die kleinen Staaten, die nicht
50,000 Einw. haben, dennoch einen Deputirten schicken sollen; ergibt sich aus
der Anmerkung, daß zur activen Wahlfähigkeit die einzelnen Staaten das Staats¬
bürgerrecht für nöthig halten könnten; ergibt sich aus dem den Staatsregierungen
zugeschriebenen Recht, über die Einrichtung der Wahlen -- direct oder indirect
-- selbstständig zu verfügen.

Die Frage ist sehr ernst, denn es knüpft sich daran die zweite: werden sich
die einzelnen Staaten den Beschlüssen der Versammlung fügen, im Fall sie ernst¬
haft mit ihrem Interesse collidiren?

Man betrachtet die Aufgabe der Constituante gewöhnlich von dem blos for¬
mellen Gesichtspunkt, der Verfassung. Wird ein Kaiserthum eingerichtet werden?
wird man die Krone einem Habsburger, einem Hohenzollern oder wem sonst
übertragen? oder wird die Gesammtheit der Staaten eine Republik bilden, mit
einem Präsidenten an der Spitze?

Fragen, deren Wichtigkeit ich keinen Augenblick verkennen will, denn die
local-patriotische Eitelkeit ist ein Moment, das immer in Anschlag gebracht werden
muß. Preußen wird sich nun und nimmermehr einem östreichischen Fürsten, Oest¬
reich nun und nimmermehr einem preußischen, beide nun und nimmermehr einem
dritten unterwerfen. Aber grade durch diese Betrachtung wäre die Frage wohl
zu lösen, indem eine republikanische Regierungsform, mit einem wechselnden Prä¬
sidenten, als unbedingte Nothwendigkeit daraus resultirt.

Schwieriger schon ist die Frage über das Zweikammersystem. Die erste
Kammer wäre nicht eine Aristokratie, sondern, wie in der nordamerikanischen Ver¬
fassung, eine Versammlung der Repräsentanten der Staaten. In diesem Sinne
haben sich viele Publicisten geäußert, ohne zu bedenken, daß die Gleichheit der
Repräsentation wenigstens eine ungefähre Gleichheit der repräsentieren Staa¬
ten bedingt. New-York, Virginien und Maryland find zwar sehr verschieden,
aber doch immer nicht so unverhältnißmäßig, als Oestreich, Preußen und Lippe-
Detmold.

Die Annahme eines Zweikammersystems mit gleicher Berechtigung beider
Kammern hebt die Schwierigkeiten der Lage nicht auf. Die Form der Verfassung
hat doch nur einen Sinn, in so fern durch sie die materiellen Fragen entschieden


Daß dieser Zusammentritt erfolgen wird, scheint nunmehr unzweifelhaft.
Die meisten deutschen Staaten — Preußen mit eingeschlossen — haben die Wah¬
len nach der vorgeschriebenen Form bereits angeordnet; von Oestreich ist eine solche
Wahlanordnuug in den nächsten Tagen zu erwarten.

Die Frage, welche zunächst zu prüfen wäre, ist diese: sind die Deputirten
anzusehn als Bevollmächtigte ihrer Staaten oder der ganzen Nation? — Das letztere
scheint unzweifelhaft, wenn man die herrschende Phraseologie allein in Betracht
zieht; aber daß es dem Vorparlament selber doch nicht so ganz unzweifelhaft ge¬
wesen, ergibt sich n. a. aus der Bestimmung, daß die kleinen Staaten, die nicht
50,000 Einw. haben, dennoch einen Deputirten schicken sollen; ergibt sich aus
der Anmerkung, daß zur activen Wahlfähigkeit die einzelnen Staaten das Staats¬
bürgerrecht für nöthig halten könnten; ergibt sich aus dem den Staatsregierungen
zugeschriebenen Recht, über die Einrichtung der Wahlen — direct oder indirect
— selbstständig zu verfügen.

Die Frage ist sehr ernst, denn es knüpft sich daran die zweite: werden sich
die einzelnen Staaten den Beschlüssen der Versammlung fügen, im Fall sie ernst¬
haft mit ihrem Interesse collidiren?

Man betrachtet die Aufgabe der Constituante gewöhnlich von dem blos for¬
mellen Gesichtspunkt, der Verfassung. Wird ein Kaiserthum eingerichtet werden?
wird man die Krone einem Habsburger, einem Hohenzollern oder wem sonst
übertragen? oder wird die Gesammtheit der Staaten eine Republik bilden, mit
einem Präsidenten an der Spitze?

Fragen, deren Wichtigkeit ich keinen Augenblick verkennen will, denn die
local-patriotische Eitelkeit ist ein Moment, das immer in Anschlag gebracht werden
muß. Preußen wird sich nun und nimmermehr einem östreichischen Fürsten, Oest¬
reich nun und nimmermehr einem preußischen, beide nun und nimmermehr einem
dritten unterwerfen. Aber grade durch diese Betrachtung wäre die Frage wohl
zu lösen, indem eine republikanische Regierungsform, mit einem wechselnden Prä¬
sidenten, als unbedingte Nothwendigkeit daraus resultirt.

Schwieriger schon ist die Frage über das Zweikammersystem. Die erste
Kammer wäre nicht eine Aristokratie, sondern, wie in der nordamerikanischen Ver¬
fassung, eine Versammlung der Repräsentanten der Staaten. In diesem Sinne
haben sich viele Publicisten geäußert, ohne zu bedenken, daß die Gleichheit der
Repräsentation wenigstens eine ungefähre Gleichheit der repräsentieren Staa¬
ten bedingt. New-York, Virginien und Maryland find zwar sehr verschieden,
aber doch immer nicht so unverhältnißmäßig, als Oestreich, Preußen und Lippe-
Detmold.

Die Annahme eines Zweikammersystems mit gleicher Berechtigung beider
Kammern hebt die Schwierigkeiten der Lage nicht auf. Die Form der Verfassung
hat doch nur einen Sinn, in so fern durch sie die materiellen Fragen entschieden


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[0142] Daß dieser Zusammentritt erfolgen wird, scheint nunmehr unzweifelhaft. Die meisten deutschen Staaten — Preußen mit eingeschlossen — haben die Wah¬ len nach der vorgeschriebenen Form bereits angeordnet; von Oestreich ist eine solche Wahlanordnuug in den nächsten Tagen zu erwarten. Die Frage, welche zunächst zu prüfen wäre, ist diese: sind die Deputirten anzusehn als Bevollmächtigte ihrer Staaten oder der ganzen Nation? — Das letztere scheint unzweifelhaft, wenn man die herrschende Phraseologie allein in Betracht zieht; aber daß es dem Vorparlament selber doch nicht so ganz unzweifelhaft ge¬ wesen, ergibt sich n. a. aus der Bestimmung, daß die kleinen Staaten, die nicht 50,000 Einw. haben, dennoch einen Deputirten schicken sollen; ergibt sich aus der Anmerkung, daß zur activen Wahlfähigkeit die einzelnen Staaten das Staats¬ bürgerrecht für nöthig halten könnten; ergibt sich aus dem den Staatsregierungen zugeschriebenen Recht, über die Einrichtung der Wahlen — direct oder indirect — selbstständig zu verfügen. Die Frage ist sehr ernst, denn es knüpft sich daran die zweite: werden sich die einzelnen Staaten den Beschlüssen der Versammlung fügen, im Fall sie ernst¬ haft mit ihrem Interesse collidiren? Man betrachtet die Aufgabe der Constituante gewöhnlich von dem blos for¬ mellen Gesichtspunkt, der Verfassung. Wird ein Kaiserthum eingerichtet werden? wird man die Krone einem Habsburger, einem Hohenzollern oder wem sonst übertragen? oder wird die Gesammtheit der Staaten eine Republik bilden, mit einem Präsidenten an der Spitze? Fragen, deren Wichtigkeit ich keinen Augenblick verkennen will, denn die local-patriotische Eitelkeit ist ein Moment, das immer in Anschlag gebracht werden muß. Preußen wird sich nun und nimmermehr einem östreichischen Fürsten, Oest¬ reich nun und nimmermehr einem preußischen, beide nun und nimmermehr einem dritten unterwerfen. Aber grade durch diese Betrachtung wäre die Frage wohl zu lösen, indem eine republikanische Regierungsform, mit einem wechselnden Prä¬ sidenten, als unbedingte Nothwendigkeit daraus resultirt. Schwieriger schon ist die Frage über das Zweikammersystem. Die erste Kammer wäre nicht eine Aristokratie, sondern, wie in der nordamerikanischen Ver¬ fassung, eine Versammlung der Repräsentanten der Staaten. In diesem Sinne haben sich viele Publicisten geäußert, ohne zu bedenken, daß die Gleichheit der Repräsentation wenigstens eine ungefähre Gleichheit der repräsentieren Staa¬ ten bedingt. New-York, Virginien und Maryland find zwar sehr verschieden, aber doch immer nicht so unverhältnißmäßig, als Oestreich, Preußen und Lippe- Detmold. Die Annahme eines Zweikammersystems mit gleicher Berechtigung beider Kammern hebt die Schwierigkeiten der Lage nicht auf. Die Form der Verfassung hat doch nur einen Sinn, in so fern durch sie die materiellen Fragen entschieden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/142>, abgerufen am 28.09.2024.