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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Presse vom civil- und staatsrechtlichen Standpunkte aus beleuchtet und obengenannte
Behörde der Verfassungsvcrletzung anklagt. Der Schriftsteller soll, wie es scheint, noch
immer von der Polizei als vogelfrei behandelt werden, denn sie sucht jetzt die Ver¬
breitung der geistigen Produkte zu hindern, da sie dieselben nicht mehr mit der Censor-
scheere verstümmeln kann. Ein ungeheures Mißtrauen herrscht deßhalb unter dem frei¬
sinnigen Theile der Bevölkerung und es ist nicht zu verkennen, daß die allgemeine In¬
dignation sich aus irgend eine Weise Luft macht, wenn solchem Unwesen nicht bald
E. D. gesteuert wird. --




Äus Wien.
I.

Warum wir noch keine Presse haben. -- Die Wiener Zeitung. -- Die östreichische Zeitung. -- Die Con-
stitution von Hafner. -- SvnntagSolütter, Thcaterzeitung "n° Humorist.

Die periodische Presse Wiens ist erst am 15. März geboren worden. Wir können
auch bei ihrer Beurtheilung durchaus nicht den Maßstab anlegen, den wir für etwas
Fertiges, Gewordenes in Bereitschaft haben. Die Wiener periodische Presse hat bis
jetzt noch durchaus keinen ausgesprochenen Charakter, sie ist in jeder Woche, ja beinahe
an jedem Tage etwas Anderes. Vor den Märztagen hatte sie einen Charakter, eine
Färbung, eine Stellung, eben so wie der Gefangene mit seinen Fesseln eine bestimmte
entschiedene Gestalt ist. Mau merkte ihr die Armensündcrmicne, den Schergcngeruch
vollkommen an, und die Blätter, die aus Wiens periodischer Presse hervorgingen, mußte
Jeder auch ohne Angabe des Namens, des Druckorts, mit Hinweglassung aller Bezie¬
hungen aber auch für nichts anders -- als österreichische erkennen. Unter einem Stoß
von Zeitungen und Zeitschriften hätte ich die Wiener herausgefunden. Es war etwas
so entschieden Geistloses, Embryoartiges, unnachahmbar Bagatcllenmäßigcs darin, daß
wer eine Woche lang sie gelesen, diesen Charakter nirgends und niemals an ihnen
verkennen konnte.

Das hat aufgehört. Aber an die Stelle dieser Unbedeutendheit ist noch Nichts
Bedeutendes getreten. Es mangelt vielleicht nicht an Kräften, Fähigkeiten, Talenten,
die die Presse lenken und beherrschen könnten, aber es fehlt -- das Levenselcmcnt jeder
freien Presse -- die verschiedene politische Färbung, der Parteicngeist. Bis jetzt gibt
es in Oestreich gar keine politischen Parteien; es hat sich noch keine Opposition heraus¬
gebildet; man kann nicht von Konservativen und Liberalen sprechen; es gibt höchstens
Reactionäre auf der einen Seite und vielleicht -- aber nur in höchst geringer Anzahl --
ein paar Republikaner. Auf dem Boden des constitutionellen Lebens selbst aber kann
noch von keiner Parteiung die Rede sein, weil wir noch keine Constirution haben. Eben
so wenig ist eine Opposition denkbar. Das Ministerium selbst ist kein konstitutionelles,
es sind durchweg Männer des alten Systems, die unter dem Einflüsse desselben früher
arbeiteten. Ein Kopfschütteln bei der einen oder andern Maßregel des früheren Cabi-
nets -- stempelt diese Männer noch nicht zu Ministern der neuen Zeit. Diese können
erst aus dem Parlamente hervorgehen.

Darum hat sich auch die Presse noch keinen bedeutenden Einfluß zu verschaffen
gewußt; das gesprochene Wort, die Versammlungen, tobendes lärmendes Austreten haben


Presse vom civil- und staatsrechtlichen Standpunkte aus beleuchtet und obengenannte
Behörde der Verfassungsvcrletzung anklagt. Der Schriftsteller soll, wie es scheint, noch
immer von der Polizei als vogelfrei behandelt werden, denn sie sucht jetzt die Ver¬
breitung der geistigen Produkte zu hindern, da sie dieselben nicht mehr mit der Censor-
scheere verstümmeln kann. Ein ungeheures Mißtrauen herrscht deßhalb unter dem frei¬
sinnigen Theile der Bevölkerung und es ist nicht zu verkennen, daß die allgemeine In¬
dignation sich aus irgend eine Weise Luft macht, wenn solchem Unwesen nicht bald
E. D. gesteuert wird. —




Äus Wien.
I.

Warum wir noch keine Presse haben. — Die Wiener Zeitung. — Die östreichische Zeitung. — Die Con-
stitution von Hafner. — SvnntagSolütter, Thcaterzeitung »n° Humorist.

Die periodische Presse Wiens ist erst am 15. März geboren worden. Wir können
auch bei ihrer Beurtheilung durchaus nicht den Maßstab anlegen, den wir für etwas
Fertiges, Gewordenes in Bereitschaft haben. Die Wiener periodische Presse hat bis
jetzt noch durchaus keinen ausgesprochenen Charakter, sie ist in jeder Woche, ja beinahe
an jedem Tage etwas Anderes. Vor den Märztagen hatte sie einen Charakter, eine
Färbung, eine Stellung, eben so wie der Gefangene mit seinen Fesseln eine bestimmte
entschiedene Gestalt ist. Mau merkte ihr die Armensündcrmicne, den Schergcngeruch
vollkommen an, und die Blätter, die aus Wiens periodischer Presse hervorgingen, mußte
Jeder auch ohne Angabe des Namens, des Druckorts, mit Hinweglassung aller Bezie¬
hungen aber auch für nichts anders — als österreichische erkennen. Unter einem Stoß
von Zeitungen und Zeitschriften hätte ich die Wiener herausgefunden. Es war etwas
so entschieden Geistloses, Embryoartiges, unnachahmbar Bagatcllenmäßigcs darin, daß
wer eine Woche lang sie gelesen, diesen Charakter nirgends und niemals an ihnen
verkennen konnte.

Das hat aufgehört. Aber an die Stelle dieser Unbedeutendheit ist noch Nichts
Bedeutendes getreten. Es mangelt vielleicht nicht an Kräften, Fähigkeiten, Talenten,
die die Presse lenken und beherrschen könnten, aber es fehlt — das Levenselcmcnt jeder
freien Presse — die verschiedene politische Färbung, der Parteicngeist. Bis jetzt gibt
es in Oestreich gar keine politischen Parteien; es hat sich noch keine Opposition heraus¬
gebildet; man kann nicht von Konservativen und Liberalen sprechen; es gibt höchstens
Reactionäre auf der einen Seite und vielleicht — aber nur in höchst geringer Anzahl —
ein paar Republikaner. Auf dem Boden des constitutionellen Lebens selbst aber kann
noch von keiner Parteiung die Rede sein, weil wir noch keine Constirution haben. Eben
so wenig ist eine Opposition denkbar. Das Ministerium selbst ist kein konstitutionelles,
es sind durchweg Männer des alten Systems, die unter dem Einflüsse desselben früher
arbeiteten. Ein Kopfschütteln bei der einen oder andern Maßregel des früheren Cabi-
nets — stempelt diese Männer noch nicht zu Ministern der neuen Zeit. Diese können
erst aus dem Parlamente hervorgehen.

Darum hat sich auch die Presse noch keinen bedeutenden Einfluß zu verschaffen
gewußt; das gesprochene Wort, die Versammlungen, tobendes lärmendes Austreten haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/118>, abgerufen am 28.09.2024.