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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die Oesterreicher in Italien.



Bei diesem unheimlich frühen Sommerwetter im Natur - und Völkerleben fühlt
man sich gestimmt, die unwahrscheinlichsten Botschaften für die glaubwürdigsten
zu halten, aber die Berichte aus Mailand und Venedig klingen zu märchenhaft
und widersprechend, um nicht ein banges Mißtrauen einzuflößen. Der Löwe von
San Marco ist erwacht, Trieft und Dalmatien denken nur auf ihre Vertheidigung.
Ist es möglich?! Gleichzeitig aber hören wir, die Lagunenstadt habe ihre von
den Todten herauf beschworeue Republik wieder unter den väterlichen "Schutz"
Oesterreichs gestellt!! -- Und die Mailänder, vor Kurzem noch als feige Bandi¬
ten verschwärzt, haben sich mit einem Heldenmuth erhoben, der den Palermos
und Berlins um das Zehnfache überragt. Männer, Weiber und Kinder fechten
wie antike Heroen und stürmen die stadtbeherrschende Citadelle, die aus dreißig
Feuerschlünden Tod speit. Tyroler Scharfschützen nisten wie Raubvögel auf den hun-
dert Thürmchen und Giebeln des Mailänder Doms und decimiren das halb wehr¬
lose Volk mit ihren gefeiten Kugeln, -- aber die Kinder der Freiheit erobern ihren
schönen, so blutig entweihten Tempel und die Gemsenjäger wünschen sich in ihre hei¬
mischen Berge zurück. Nach fünftägigen Kampfe wirft das Volk den Landsknechten
seine zerbrochenen Waffen in's Gesicht und jagt sie, wie die Furien den Missethäter
jagen, bis unter die Mauern von Verona... doch halt, eine neue Post sagt,
Radetzky sei, gräßlich triumphirend, in Mailand wieder eingezogen, habe zwei
Straßen dem Erdboden gleich gemacht, die gnadeflehende Bevölkerung den plün¬
dernden Kroaten preisgegeben und um 12 Millionen gebrandschatzt, kurz, Radetzky
hat ein hohenstaufensches Strafgericht gehalten. Pfui der Schande! In Wien
jubiliren und illuminiren sie über den Sturz Metternich's und in Mailand lassen
sie metternichisch wirthschaften. Pfui über euch in Wien, die ihr dazu schweiget
und, gestern kaum der Sklaverei entgangen, heute schon eure frühern Leidensge¬
fährten in die Sklaverei niedertreten wollt. Ob ihr nun siegt oder erliegt, ihr
habt keinen Gewinn davon, denn Italien wird dennoch frei und ihr habt nur
neue Schmach auf den deutschen Namen gewälzt. Wir konnten dort als Freunde
scheiden, und wir scheiden als Besiegte. Die letzte Erinnerung, welche die deut¬
sche Herrschaft in Mailand zurückläßt, ist ein Blutbad....


Grenzboten. II. lui". 1
Die Oesterreicher in Italien.



Bei diesem unheimlich frühen Sommerwetter im Natur - und Völkerleben fühlt
man sich gestimmt, die unwahrscheinlichsten Botschaften für die glaubwürdigsten
zu halten, aber die Berichte aus Mailand und Venedig klingen zu märchenhaft
und widersprechend, um nicht ein banges Mißtrauen einzuflößen. Der Löwe von
San Marco ist erwacht, Trieft und Dalmatien denken nur auf ihre Vertheidigung.
Ist es möglich?! Gleichzeitig aber hören wir, die Lagunenstadt habe ihre von
den Todten herauf beschworeue Republik wieder unter den väterlichen „Schutz"
Oesterreichs gestellt!! — Und die Mailänder, vor Kurzem noch als feige Bandi¬
ten verschwärzt, haben sich mit einem Heldenmuth erhoben, der den Palermos
und Berlins um das Zehnfache überragt. Männer, Weiber und Kinder fechten
wie antike Heroen und stürmen die stadtbeherrschende Citadelle, die aus dreißig
Feuerschlünden Tod speit. Tyroler Scharfschützen nisten wie Raubvögel auf den hun-
dert Thürmchen und Giebeln des Mailänder Doms und decimiren das halb wehr¬
lose Volk mit ihren gefeiten Kugeln, — aber die Kinder der Freiheit erobern ihren
schönen, so blutig entweihten Tempel und die Gemsenjäger wünschen sich in ihre hei¬
mischen Berge zurück. Nach fünftägigen Kampfe wirft das Volk den Landsknechten
seine zerbrochenen Waffen in's Gesicht und jagt sie, wie die Furien den Missethäter
jagen, bis unter die Mauern von Verona... doch halt, eine neue Post sagt,
Radetzky sei, gräßlich triumphirend, in Mailand wieder eingezogen, habe zwei
Straßen dem Erdboden gleich gemacht, die gnadeflehende Bevölkerung den plün¬
dernden Kroaten preisgegeben und um 12 Millionen gebrandschatzt, kurz, Radetzky
hat ein hohenstaufensches Strafgericht gehalten. Pfui der Schande! In Wien
jubiliren und illuminiren sie über den Sturz Metternich's und in Mailand lassen
sie metternichisch wirthschaften. Pfui über euch in Wien, die ihr dazu schweiget
und, gestern kaum der Sklaverei entgangen, heute schon eure frühern Leidensge¬
fährten in die Sklaverei niedertreten wollt. Ob ihr nun siegt oder erliegt, ihr
habt keinen Gewinn davon, denn Italien wird dennoch frei und ihr habt nur
neue Schmach auf den deutschen Namen gewälzt. Wir konnten dort als Freunde
scheiden, und wir scheiden als Besiegte. Die letzte Erinnerung, welche die deut¬
sche Herrschaft in Mailand zurückläßt, ist ein Blutbad....


Grenzboten. II. lui«. 1
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[0011] Die Oesterreicher in Italien. Bei diesem unheimlich frühen Sommerwetter im Natur - und Völkerleben fühlt man sich gestimmt, die unwahrscheinlichsten Botschaften für die glaubwürdigsten zu halten, aber die Berichte aus Mailand und Venedig klingen zu märchenhaft und widersprechend, um nicht ein banges Mißtrauen einzuflößen. Der Löwe von San Marco ist erwacht, Trieft und Dalmatien denken nur auf ihre Vertheidigung. Ist es möglich?! Gleichzeitig aber hören wir, die Lagunenstadt habe ihre von den Todten herauf beschworeue Republik wieder unter den väterlichen „Schutz" Oesterreichs gestellt!! — Und die Mailänder, vor Kurzem noch als feige Bandi¬ ten verschwärzt, haben sich mit einem Heldenmuth erhoben, der den Palermos und Berlins um das Zehnfache überragt. Männer, Weiber und Kinder fechten wie antike Heroen und stürmen die stadtbeherrschende Citadelle, die aus dreißig Feuerschlünden Tod speit. Tyroler Scharfschützen nisten wie Raubvögel auf den hun- dert Thürmchen und Giebeln des Mailänder Doms und decimiren das halb wehr¬ lose Volk mit ihren gefeiten Kugeln, — aber die Kinder der Freiheit erobern ihren schönen, so blutig entweihten Tempel und die Gemsenjäger wünschen sich in ihre hei¬ mischen Berge zurück. Nach fünftägigen Kampfe wirft das Volk den Landsknechten seine zerbrochenen Waffen in's Gesicht und jagt sie, wie die Furien den Missethäter jagen, bis unter die Mauern von Verona... doch halt, eine neue Post sagt, Radetzky sei, gräßlich triumphirend, in Mailand wieder eingezogen, habe zwei Straßen dem Erdboden gleich gemacht, die gnadeflehende Bevölkerung den plün¬ dernden Kroaten preisgegeben und um 12 Millionen gebrandschatzt, kurz, Radetzky hat ein hohenstaufensches Strafgericht gehalten. Pfui der Schande! In Wien jubiliren und illuminiren sie über den Sturz Metternich's und in Mailand lassen sie metternichisch wirthschaften. Pfui über euch in Wien, die ihr dazu schweiget und, gestern kaum der Sklaverei entgangen, heute schon eure frühern Leidensge¬ fährten in die Sklaverei niedertreten wollt. Ob ihr nun siegt oder erliegt, ihr habt keinen Gewinn davon, denn Italien wird dennoch frei und ihr habt nur neue Schmach auf den deutschen Namen gewälzt. Wir konnten dort als Freunde scheiden, und wir scheiden als Besiegte. Die letzte Erinnerung, welche die deut¬ sche Herrschaft in Mailand zurückläßt, ist ein Blutbad.... Grenzboten. II. lui«. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/11>, abgerufen am 26.06.2024.