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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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k. k. Stallungen, einem großen festen Gebäude, ihre Mörserbatterien aufgeführt
hatten.

Bei dieser Gelegenheit sei noch erwähnt, daß die alten Festungswerke der
Hauptstadt, die jetzt nur noch als Spaziergänge dienen, abermals eine ihrer
merkwürdigsten Raritäten einbüßen, indem der letzte Kavalier in der Nähe des
Stubcnthores jetzt abgetragen wird. Kavaliers heißen bekanntlich in der Befestigungs-
kunst erhöhte Mauern mit Platfvrmen, welche die vorder" Werke bestreichen und
beherrschen, und deren zählte das alte Wien mehrere, die aber alle im Laufe der
Zeit verschwanden, und nun liegt auch der letzte Kavalier in Schutt und Trüm¬
mer. Derselbe ist kurz nach der ersten türkischen Belagerung im Jahre .1546
erbaut worden.

Gleichzeitig mit der Demolirung dieses Festnngsstückcs wird in der Nähe
davon an der Erbauung eines neuen Wallthores gearbeitet, denn hier, wo sich
das bisherige Hauptzvllamt befindet, war wegen der Znfahrt schwerer, hochge-
thürmter Frachtwagen, die überall mit einem Wallgürtel umgebene, innere Stadt
ganz offen gewesen. Da nun jedoch die neue Zvllhalle am Glacis nächst dem
Hafen des Neustädtercanäls fertig wird, so fällt diese Rücksicht hinweg und es
treten hinfort alle jene Erwägungen militärischer und politischer Natur, die eine
Schließung der Stadt verlangen, in ihr Recht. Schon lange hat die Militärbe¬
hörde auf den Mißstand hingewiesen, daß bei einem Aufstand in den Vorstädten die
Stadt an der angedeuteten Stelle ganz offen und jedem Anprall von Volkshaufen
blosgestellt sei, und die düstern Zeiten des verflossenen Winters haben diesem Beden¬
ken einen solchen Nachdruck verliehen, daß alsogleich an's Werk geschritten wurde
und die innere Stadt, in der der Reichthum Wiens aufgehäuft ist und die folglich
am Meisten zur Plünderung reizen würde, in Zukunft ringsum mit Wall und
Thoren geschlossen sein wird.

Anastasius Grün, der von seiner Besitzung am Hardt auf der Eisenbahn
Hieher reiste, um seinen unglücklichen Freund Lenau zu besuchen, wäre bald ein
Unglück zugestoßen. In der Nähe des Dorfes Kricglach in Steiermark hat¬
ten sich von dem nach Graz gehenden Lastenzuge durch einen heftigen Windstoß
zwei Waggons abgelöst, die sodann bei dem starken Gefäll der Bahn ihrem ei¬
genen Gewichte folgend abwärts ans den Schienen fortliefen. Der Wagenzug,
mit dem Graf Auersperg reiste, mußte jeden Augenblick in entgegengesetzter Rich¬
tung dahcrbrausen und ein furchtbarer Zusammenstoß wäre fast unausbleiblich ge¬
wesen, hätte nicht ein Bahnwächter die Geistesgegenwart gehabt, ans die rollen¬
den Waggons zu springen und tüchtig zu bremsen. Als der Neisetrain an¬
langte und die wackere That bemerkte, sprang der Graf schnell von seinem Sitz
und veranstaltete mit der Reisemütze in der Hand schnell in allen Waggons eine
Collecte für den muthigen Mann, dem die Reisegesellschaft ihre gesunden Glieder
dankte ^ " .




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur- I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

k. k. Stallungen, einem großen festen Gebäude, ihre Mörserbatterien aufgeführt
hatten.

Bei dieser Gelegenheit sei noch erwähnt, daß die alten Festungswerke der
Hauptstadt, die jetzt nur noch als Spaziergänge dienen, abermals eine ihrer
merkwürdigsten Raritäten einbüßen, indem der letzte Kavalier in der Nähe des
Stubcnthores jetzt abgetragen wird. Kavaliers heißen bekanntlich in der Befestigungs-
kunst erhöhte Mauern mit Platfvrmen, welche die vorder» Werke bestreichen und
beherrschen, und deren zählte das alte Wien mehrere, die aber alle im Laufe der
Zeit verschwanden, und nun liegt auch der letzte Kavalier in Schutt und Trüm¬
mer. Derselbe ist kurz nach der ersten türkischen Belagerung im Jahre .1546
erbaut worden.

Gleichzeitig mit der Demolirung dieses Festnngsstückcs wird in der Nähe
davon an der Erbauung eines neuen Wallthores gearbeitet, denn hier, wo sich
das bisherige Hauptzvllamt befindet, war wegen der Znfahrt schwerer, hochge-
thürmter Frachtwagen, die überall mit einem Wallgürtel umgebene, innere Stadt
ganz offen gewesen. Da nun jedoch die neue Zvllhalle am Glacis nächst dem
Hafen des Neustädtercanäls fertig wird, so fällt diese Rücksicht hinweg und es
treten hinfort alle jene Erwägungen militärischer und politischer Natur, die eine
Schließung der Stadt verlangen, in ihr Recht. Schon lange hat die Militärbe¬
hörde auf den Mißstand hingewiesen, daß bei einem Aufstand in den Vorstädten die
Stadt an der angedeuteten Stelle ganz offen und jedem Anprall von Volkshaufen
blosgestellt sei, und die düstern Zeiten des verflossenen Winters haben diesem Beden¬
ken einen solchen Nachdruck verliehen, daß alsogleich an's Werk geschritten wurde
und die innere Stadt, in der der Reichthum Wiens aufgehäuft ist und die folglich
am Meisten zur Plünderung reizen würde, in Zukunft ringsum mit Wall und
Thoren geschlossen sein wird.

Anastasius Grün, der von seiner Besitzung am Hardt auf der Eisenbahn
Hieher reiste, um seinen unglücklichen Freund Lenau zu besuchen, wäre bald ein
Unglück zugestoßen. In der Nähe des Dorfes Kricglach in Steiermark hat¬
ten sich von dem nach Graz gehenden Lastenzuge durch einen heftigen Windstoß
zwei Waggons abgelöst, die sodann bei dem starken Gefäll der Bahn ihrem ei¬
genen Gewichte folgend abwärts ans den Schienen fortliefen. Der Wagenzug,
mit dem Graf Auersperg reiste, mußte jeden Augenblick in entgegengesetzter Rich¬
tung dahcrbrausen und ein furchtbarer Zusammenstoß wäre fast unausbleiblich ge¬
wesen, hätte nicht ein Bahnwächter die Geistesgegenwart gehabt, ans die rollen¬
den Waggons zu springen und tüchtig zu bremsen. Als der Neisetrain an¬
langte und die wackere That bemerkte, sprang der Graf schnell von seinem Sitz
und veranstaltete mit der Reisemütze in der Hand schnell in allen Waggons eine
Collecte für den muthigen Mann, dem die Reisegesellschaft ihre gesunden Glieder
dankte ^ « .




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur- I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0094] k. k. Stallungen, einem großen festen Gebäude, ihre Mörserbatterien aufgeführt hatten. Bei dieser Gelegenheit sei noch erwähnt, daß die alten Festungswerke der Hauptstadt, die jetzt nur noch als Spaziergänge dienen, abermals eine ihrer merkwürdigsten Raritäten einbüßen, indem der letzte Kavalier in der Nähe des Stubcnthores jetzt abgetragen wird. Kavaliers heißen bekanntlich in der Befestigungs- kunst erhöhte Mauern mit Platfvrmen, welche die vorder» Werke bestreichen und beherrschen, und deren zählte das alte Wien mehrere, die aber alle im Laufe der Zeit verschwanden, und nun liegt auch der letzte Kavalier in Schutt und Trüm¬ mer. Derselbe ist kurz nach der ersten türkischen Belagerung im Jahre .1546 erbaut worden. Gleichzeitig mit der Demolirung dieses Festnngsstückcs wird in der Nähe davon an der Erbauung eines neuen Wallthores gearbeitet, denn hier, wo sich das bisherige Hauptzvllamt befindet, war wegen der Znfahrt schwerer, hochge- thürmter Frachtwagen, die überall mit einem Wallgürtel umgebene, innere Stadt ganz offen gewesen. Da nun jedoch die neue Zvllhalle am Glacis nächst dem Hafen des Neustädtercanäls fertig wird, so fällt diese Rücksicht hinweg und es treten hinfort alle jene Erwägungen militärischer und politischer Natur, die eine Schließung der Stadt verlangen, in ihr Recht. Schon lange hat die Militärbe¬ hörde auf den Mißstand hingewiesen, daß bei einem Aufstand in den Vorstädten die Stadt an der angedeuteten Stelle ganz offen und jedem Anprall von Volkshaufen blosgestellt sei, und die düstern Zeiten des verflossenen Winters haben diesem Beden¬ ken einen solchen Nachdruck verliehen, daß alsogleich an's Werk geschritten wurde und die innere Stadt, in der der Reichthum Wiens aufgehäuft ist und die folglich am Meisten zur Plünderung reizen würde, in Zukunft ringsum mit Wall und Thoren geschlossen sein wird. Anastasius Grün, der von seiner Besitzung am Hardt auf der Eisenbahn Hieher reiste, um seinen unglücklichen Freund Lenau zu besuchen, wäre bald ein Unglück zugestoßen. In der Nähe des Dorfes Kricglach in Steiermark hat¬ ten sich von dem nach Graz gehenden Lastenzuge durch einen heftigen Windstoß zwei Waggons abgelöst, die sodann bei dem starken Gefäll der Bahn ihrem ei¬ genen Gewichte folgend abwärts ans den Schienen fortliefen. Der Wagenzug, mit dem Graf Auersperg reiste, mußte jeden Augenblick in entgegengesetzter Rich¬ tung dahcrbrausen und ein furchtbarer Zusammenstoß wäre fast unausbleiblich ge¬ wesen, hätte nicht ein Bahnwächter die Geistesgegenwart gehabt, ans die rollen¬ den Waggons zu springen und tüchtig zu bremsen. Als der Neisetrain an¬ langte und die wackere That bemerkte, sprang der Graf schnell von seinem Sitz und veranstaltete mit der Reisemütze in der Hand schnell in allen Waggons eine Collecte für den muthigen Mann, dem die Reisegesellschaft ihre gesunden Glieder dankte ^ « . Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur- I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/94>, abgerufen am 28.07.2024.