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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Juden. Die letzteren haben mit großem Interesse den Vorgängen in der
preußischen Kammer zugesehen. Ware dort die Religion nicht als Norm
für die Fähigkeit eines Deputaten angenommen, so hätte dies doch einen
mittelbaren Einfluß ans ihre Verhältnisse üben können. Hier ist es nnr noch
die Formel des Eides an der sie labvriren. I^par ed" l-tilli vt n (^In'l-
"den"! -- Wer ihnen diese wenigen Worte aus dem Gesetzbuchs streichen
wollte, dem würden wahrlich eines Crösus Schätze als Loos fallen. -- Sie
hofften einige zeitlang, daß dieser kleine Stein des Anstoßes, sobald die
Liberalen den Sieg davon trügen, keiner mehr sein würde; es stellten sich
baten einige als Wahlcandidaten. Sobald sie aber näher nachforschten und
gewahrten, daß die Zeit noch nicht reif für sie sei, auf eine solche Vergün-
stigung zu hoffen, haben sie sich zurückgezogen. -- Bei den Engländern das
Vorurtheil gegen die Juden aus dem Wege zu räumen, ist eine schwere
Sache, die noch viel Zeit fordern wird. Wie mit ihren übrigen vorgefaßten
Meinungen, so sind sie anch in diesem Punkte von einer wundervollen Be¬
harrlichkeit. Und leider steht die Klasse derselben noch auf sehr niederer
Stufe, als Klasse. -- In allen Straßen Londons hört man vom Morgen
bis zur Nacht: ,,^lui,I>, clotli!" und ein schmutziger Jsraelit mit einem
großen Sacke geht längs den Häusern hin und wartet, daß man ihm alte
Lumpen verkaufe. In Kt. vile" -- dem berüchtigten Stadttheile Londons --
lebt eine ganze Colonie derselben, und in der I^"vo<lor-.4in."alö, einer Gal¬
lerte mit Läden, sind nnr kleine Leute dieser Kaste zu finden. Dafür aber
leuchten im schönen Gegensatz die Familien der Montefiore, Goldsmith und --
Rothschild, möchte man denken. Doch zeichnen die letztern sich nur durch
Reichthum aus und nicht durch jene höhern Eigenschaften, mit denen Nadel
dieselben beschreiben wollte, wenn sie sie "Jos ^"ik <le ^i'vclvnc le Lr-all"
nannte. Wenn Disraeli in seinem "Tancred" das Muster eines Israeliten
aufstellt in dem Charakter seines "Sidonia," so konnte er nur Sir Jsaak
Goldsmith damit meinen, in dem sich alle jene Eigenschaften vereinigt fin¬
den, die den Menschen als Menschen zieren und veredeln. Daß seine rei¬
chen, schönen Töchter sich nicht taufen lassen wollen, um der Ehre zu ge-
nießen, mit ihrem Golde die Schulden eines ruinirten Lords zu bezahlen,
ist freilich ein Fehler, doch ist es ein solcher, der sich entschuldigen läßt.

Unter den Wahlcaudidaten der Liberalen ist auch Sir Lytton Bulwer
auf die Bühne getreten, und das für den nicht unbedeutenden Platz Lin¬
coln. Dieser bei uns so hoch gefeierte Literat hat das Unglück in seinem
Natcrlande der unpopulärste Maun zu sein, und es läßt sich daher kaum er¬
warten, daß seine Bemühungen, dem Staate zu dienen, mit Erfolg gekrönt


Juden. Die letzteren haben mit großem Interesse den Vorgängen in der
preußischen Kammer zugesehen. Ware dort die Religion nicht als Norm
für die Fähigkeit eines Deputaten angenommen, so hätte dies doch einen
mittelbaren Einfluß ans ihre Verhältnisse üben können. Hier ist es nnr noch
die Formel des Eides an der sie labvriren. I^par ed« l-tilli vt n (^In'l-
«den»! — Wer ihnen diese wenigen Worte aus dem Gesetzbuchs streichen
wollte, dem würden wahrlich eines Crösus Schätze als Loos fallen. — Sie
hofften einige zeitlang, daß dieser kleine Stein des Anstoßes, sobald die
Liberalen den Sieg davon trügen, keiner mehr sein würde; es stellten sich
baten einige als Wahlcandidaten. Sobald sie aber näher nachforschten und
gewahrten, daß die Zeit noch nicht reif für sie sei, auf eine solche Vergün-
stigung zu hoffen, haben sie sich zurückgezogen. — Bei den Engländern das
Vorurtheil gegen die Juden aus dem Wege zu räumen, ist eine schwere
Sache, die noch viel Zeit fordern wird. Wie mit ihren übrigen vorgefaßten
Meinungen, so sind sie anch in diesem Punkte von einer wundervollen Be¬
harrlichkeit. Und leider steht die Klasse derselben noch auf sehr niederer
Stufe, als Klasse. — In allen Straßen Londons hört man vom Morgen
bis zur Nacht: ,,^lui,I>, clotli!" und ein schmutziger Jsraelit mit einem
großen Sacke geht längs den Häusern hin und wartet, daß man ihm alte
Lumpen verkaufe. In Kt. vile« — dem berüchtigten Stadttheile Londons —
lebt eine ganze Colonie derselben, und in der I^»vo<lor-.4in.»alö, einer Gal¬
lerte mit Läden, sind nnr kleine Leute dieser Kaste zu finden. Dafür aber
leuchten im schönen Gegensatz die Familien der Montefiore, Goldsmith und —
Rothschild, möchte man denken. Doch zeichnen die letztern sich nur durch
Reichthum aus und nicht durch jene höhern Eigenschaften, mit denen Nadel
dieselben beschreiben wollte, wenn sie sie „Jos ^»ik <le ^i'vclvnc le Lr-all"
nannte. Wenn Disraeli in seinem „Tancred" das Muster eines Israeliten
aufstellt in dem Charakter seines „Sidonia," so konnte er nur Sir Jsaak
Goldsmith damit meinen, in dem sich alle jene Eigenschaften vereinigt fin¬
den, die den Menschen als Menschen zieren und veredeln. Daß seine rei¬
chen, schönen Töchter sich nicht taufen lassen wollen, um der Ehre zu ge-
nießen, mit ihrem Golde die Schulden eines ruinirten Lords zu bezahlen,
ist freilich ein Fehler, doch ist es ein solcher, der sich entschuldigen läßt.

Unter den Wahlcaudidaten der Liberalen ist auch Sir Lytton Bulwer
auf die Bühne getreten, und das für den nicht unbedeutenden Platz Lin¬
coln. Dieser bei uns so hoch gefeierte Literat hat das Unglück in seinem
Natcrlande der unpopulärste Maun zu sein, und es läßt sich daher kaum er¬
warten, daß seine Bemühungen, dem Staate zu dienen, mit Erfolg gekrönt


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[0008] Juden. Die letzteren haben mit großem Interesse den Vorgängen in der preußischen Kammer zugesehen. Ware dort die Religion nicht als Norm für die Fähigkeit eines Deputaten angenommen, so hätte dies doch einen mittelbaren Einfluß ans ihre Verhältnisse üben können. Hier ist es nnr noch die Formel des Eides an der sie labvriren. I^par ed« l-tilli vt n (^In'l- «den»! — Wer ihnen diese wenigen Worte aus dem Gesetzbuchs streichen wollte, dem würden wahrlich eines Crösus Schätze als Loos fallen. — Sie hofften einige zeitlang, daß dieser kleine Stein des Anstoßes, sobald die Liberalen den Sieg davon trügen, keiner mehr sein würde; es stellten sich baten einige als Wahlcandidaten. Sobald sie aber näher nachforschten und gewahrten, daß die Zeit noch nicht reif für sie sei, auf eine solche Vergün- stigung zu hoffen, haben sie sich zurückgezogen. — Bei den Engländern das Vorurtheil gegen die Juden aus dem Wege zu räumen, ist eine schwere Sache, die noch viel Zeit fordern wird. Wie mit ihren übrigen vorgefaßten Meinungen, so sind sie anch in diesem Punkte von einer wundervollen Be¬ harrlichkeit. Und leider steht die Klasse derselben noch auf sehr niederer Stufe, als Klasse. — In allen Straßen Londons hört man vom Morgen bis zur Nacht: ,,^lui,I>, clotli!" und ein schmutziger Jsraelit mit einem großen Sacke geht längs den Häusern hin und wartet, daß man ihm alte Lumpen verkaufe. In Kt. vile« — dem berüchtigten Stadttheile Londons — lebt eine ganze Colonie derselben, und in der I^»vo<lor-.4in.»alö, einer Gal¬ lerte mit Läden, sind nnr kleine Leute dieser Kaste zu finden. Dafür aber leuchten im schönen Gegensatz die Familien der Montefiore, Goldsmith und — Rothschild, möchte man denken. Doch zeichnen die letztern sich nur durch Reichthum aus und nicht durch jene höhern Eigenschaften, mit denen Nadel dieselben beschreiben wollte, wenn sie sie „Jos ^»ik <le ^i'vclvnc le Lr-all" nannte. Wenn Disraeli in seinem „Tancred" das Muster eines Israeliten aufstellt in dem Charakter seines „Sidonia," so konnte er nur Sir Jsaak Goldsmith damit meinen, in dem sich alle jene Eigenschaften vereinigt fin¬ den, die den Menschen als Menschen zieren und veredeln. Daß seine rei¬ chen, schönen Töchter sich nicht taufen lassen wollen, um der Ehre zu ge- nießen, mit ihrem Golde die Schulden eines ruinirten Lords zu bezahlen, ist freilich ein Fehler, doch ist es ein solcher, der sich entschuldigen läßt. Unter den Wahlcaudidaten der Liberalen ist auch Sir Lytton Bulwer auf die Bühne getreten, und das für den nicht unbedeutenden Platz Lin¬ coln. Dieser bei uns so hoch gefeierte Literat hat das Unglück in seinem Natcrlande der unpopulärste Maun zu sein, und es läßt sich daher kaum er¬ warten, daß seine Bemühungen, dem Staate zu dienen, mit Erfolg gekrönt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/8>, abgerufen am 27.07.2024.