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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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geschrieben sind, begleitet. Und zwar geht es stets ans einem Gebiet der
Geschichte mit den seltsamsten Sprüngen in das andere, aus dem frühesten
Mittelalter zu Napoleon, von da zu Friedrich II,, dann zu Barbarossa n. s. w.
Von einem dialectischer Faden, oder auch nur vou einem chronologischen
Zusammenhang, ist nicht die Rede. Wenn der Geschichtsforscher einerseits
Urkunden, zum Theil auch Forschungen findet, die ihm wichtige Aufschlüsse
geben, so wird er uicht wenig überrascht, gleich daneben eine weitläufige
Auseinandersetzung von Dingen zu finden, die jeder Tertianer weiß. Die
kühnsten Paradoxen werden apodictisch behauptet, ohne daß der Verfasser es
nöthig fände, Belege anzuführen, und das Trivialste, Bekannteste in einem
Wust überflüssiger Beweise erstickt. Während das Ganze eigentlich nur ht-
storisches Raisonnement ist, kommt dann wieder eine ausführliche Geschichte
z. B. des siebenjährigen Krieges dazwischen, die einen halben Band füllt,
ohne daß man recht absieht, wozu. Es ist höchst schwierig, in diesem Chaos
zusammenhangloser Notizen sich auch nur einigermaßen zu orientiren.

Wir wollen, wenigstens übersichtlich, dem Lauf seiner historischen Abhand¬
lungen folgen. Nro. 1 scheint einen Nachweis geben zu wollen, daß der
ganze Begriff der Legitimität eine Chimäre ist, daß alle Fürstenhäuser aus
Bastarde u. s. w. sich gründen; scheint, sage ich, denn es ist darin aller¬
dings noch vieles andere enthalten, z. B. wird die Sitte des Hundetragens
und dergleichen ausführlich besprochen. Mit seinen Beweisen geht der Ver¬
fasser ziemlich willkürlich um: z. B., p. 27: "Heinrich's VlI. ganze Lar"
casterschaft bestand darin, daß die französische Catharine, Heinrich's V. Ge¬
mahlin, in der Langenweile ihres Wittwenstandes, sich vou Richmond's Gro߬
vater, dem obscurer Owen Tndor hatte schwängern lassen," ist unrichtig;
eine solche Verwandschaft wäre keine; aber Heinrich stammte in directer
(weiblicher) Linie von dem Lancasterischen Hause Somerset; -- ferner soll
nachgewiesen werden, daß das salische Gesetz in Frankreich eigentlich ungül¬
tig war; aber den Hauptbeweis bilden die bekannten Verse aus Shakespeare's
Heinrich V. --

Viel schwieriger ist der Inhalt vou II. und III. anzugeben; es beginnt
mit dem Tode Franz l., geht dann wieder in das Mittelalter, untersucht die
Frage, ob ein blinder Fürst regieren könne, spricht über die österreichische
Verfassungsfrage ("Ungarn, Polen, Böhmen, Lombarden, Deutsche, alle über


Raubgesindel vogelfrei und den gesetzlichen Strafen der Reichsacht und Oberacht an¬
heimgefallen ausrief. Hatten doch ein Paar Jahre früher auch Genua's Doge und
Senatoren die solideste Aussicht auf ungarische Stockprügel."

geschrieben sind, begleitet. Und zwar geht es stets ans einem Gebiet der
Geschichte mit den seltsamsten Sprüngen in das andere, aus dem frühesten
Mittelalter zu Napoleon, von da zu Friedrich II,, dann zu Barbarossa n. s. w.
Von einem dialectischer Faden, oder auch nur vou einem chronologischen
Zusammenhang, ist nicht die Rede. Wenn der Geschichtsforscher einerseits
Urkunden, zum Theil auch Forschungen findet, die ihm wichtige Aufschlüsse
geben, so wird er uicht wenig überrascht, gleich daneben eine weitläufige
Auseinandersetzung von Dingen zu finden, die jeder Tertianer weiß. Die
kühnsten Paradoxen werden apodictisch behauptet, ohne daß der Verfasser es
nöthig fände, Belege anzuführen, und das Trivialste, Bekannteste in einem
Wust überflüssiger Beweise erstickt. Während das Ganze eigentlich nur ht-
storisches Raisonnement ist, kommt dann wieder eine ausführliche Geschichte
z. B. des siebenjährigen Krieges dazwischen, die einen halben Band füllt,
ohne daß man recht absieht, wozu. Es ist höchst schwierig, in diesem Chaos
zusammenhangloser Notizen sich auch nur einigermaßen zu orientiren.

Wir wollen, wenigstens übersichtlich, dem Lauf seiner historischen Abhand¬
lungen folgen. Nro. 1 scheint einen Nachweis geben zu wollen, daß der
ganze Begriff der Legitimität eine Chimäre ist, daß alle Fürstenhäuser aus
Bastarde u. s. w. sich gründen; scheint, sage ich, denn es ist darin aller¬
dings noch vieles andere enthalten, z. B. wird die Sitte des Hundetragens
und dergleichen ausführlich besprochen. Mit seinen Beweisen geht der Ver¬
fasser ziemlich willkürlich um: z. B., p. 27: „Heinrich's VlI. ganze Lar«
casterschaft bestand darin, daß die französische Catharine, Heinrich's V. Ge¬
mahlin, in der Langenweile ihres Wittwenstandes, sich vou Richmond's Gro߬
vater, dem obscurer Owen Tndor hatte schwängern lassen," ist unrichtig;
eine solche Verwandschaft wäre keine; aber Heinrich stammte in directer
(weiblicher) Linie von dem Lancasterischen Hause Somerset; — ferner soll
nachgewiesen werden, daß das salische Gesetz in Frankreich eigentlich ungül¬
tig war; aber den Hauptbeweis bilden die bekannten Verse aus Shakespeare's
Heinrich V. —

Viel schwieriger ist der Inhalt vou II. und III. anzugeben; es beginnt
mit dem Tode Franz l., geht dann wieder in das Mittelalter, untersucht die
Frage, ob ein blinder Fürst regieren könne, spricht über die österreichische
Verfassungsfrage („Ungarn, Polen, Böhmen, Lombarden, Deutsche, alle über


Raubgesindel vogelfrei und den gesetzlichen Strafen der Reichsacht und Oberacht an¬
heimgefallen ausrief. Hatten doch ein Paar Jahre früher auch Genua's Doge und
Senatoren die solideste Aussicht auf ungarische Stockprügel."
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[0078] geschrieben sind, begleitet. Und zwar geht es stets ans einem Gebiet der Geschichte mit den seltsamsten Sprüngen in das andere, aus dem frühesten Mittelalter zu Napoleon, von da zu Friedrich II,, dann zu Barbarossa n. s. w. Von einem dialectischer Faden, oder auch nur vou einem chronologischen Zusammenhang, ist nicht die Rede. Wenn der Geschichtsforscher einerseits Urkunden, zum Theil auch Forschungen findet, die ihm wichtige Aufschlüsse geben, so wird er uicht wenig überrascht, gleich daneben eine weitläufige Auseinandersetzung von Dingen zu finden, die jeder Tertianer weiß. Die kühnsten Paradoxen werden apodictisch behauptet, ohne daß der Verfasser es nöthig fände, Belege anzuführen, und das Trivialste, Bekannteste in einem Wust überflüssiger Beweise erstickt. Während das Ganze eigentlich nur ht- storisches Raisonnement ist, kommt dann wieder eine ausführliche Geschichte z. B. des siebenjährigen Krieges dazwischen, die einen halben Band füllt, ohne daß man recht absieht, wozu. Es ist höchst schwierig, in diesem Chaos zusammenhangloser Notizen sich auch nur einigermaßen zu orientiren. Wir wollen, wenigstens übersichtlich, dem Lauf seiner historischen Abhand¬ lungen folgen. Nro. 1 scheint einen Nachweis geben zu wollen, daß der ganze Begriff der Legitimität eine Chimäre ist, daß alle Fürstenhäuser aus Bastarde u. s. w. sich gründen; scheint, sage ich, denn es ist darin aller¬ dings noch vieles andere enthalten, z. B. wird die Sitte des Hundetragens und dergleichen ausführlich besprochen. Mit seinen Beweisen geht der Ver¬ fasser ziemlich willkürlich um: z. B., p. 27: „Heinrich's VlI. ganze Lar« casterschaft bestand darin, daß die französische Catharine, Heinrich's V. Ge¬ mahlin, in der Langenweile ihres Wittwenstandes, sich vou Richmond's Gro߬ vater, dem obscurer Owen Tndor hatte schwängern lassen," ist unrichtig; eine solche Verwandschaft wäre keine; aber Heinrich stammte in directer (weiblicher) Linie von dem Lancasterischen Hause Somerset; — ferner soll nachgewiesen werden, daß das salische Gesetz in Frankreich eigentlich ungül¬ tig war; aber den Hauptbeweis bilden die bekannten Verse aus Shakespeare's Heinrich V. — Viel schwieriger ist der Inhalt vou II. und III. anzugeben; es beginnt mit dem Tode Franz l., geht dann wieder in das Mittelalter, untersucht die Frage, ob ein blinder Fürst regieren könne, spricht über die österreichische Verfassungsfrage („Ungarn, Polen, Böhmen, Lombarden, Deutsche, alle über Raubgesindel vogelfrei und den gesetzlichen Strafen der Reichsacht und Oberacht an¬ heimgefallen ausrief. Hatten doch ein Paar Jahre früher auch Genua's Doge und Senatoren die solideste Aussicht auf ungarische Stockprügel."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/78>, abgerufen am 28.07.2024.