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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Die russische" Ostseeprovinzen.
i.

Die Zeichen der Zeit sind vorhanden: Deutschland sucht sich in sich zu be--
festigen und abzurunden.

Die religiösen Zerwürfnisse, der Ruf nach Verfassung, die Literatur, die sich
aus sublimer Vornehmheit auf den Boden der Wirklichkeit begibt und Stoffe be¬
rührt, welche dem Herzen des Volkes nahe liegen, die hundert Fragen, welche
Volksfreunde zu Gunsten gedrückter Landsleute beantworten, die Rechte der Ge¬
meinden, welche zur Sprache kommen, die Predigt, die ohne vorgeschriebenen Text
fertig wird -- Alles dieses und vieles andere gibt ein Zeugniß von innerer Ener¬
gie, welche aus Nahrungen nach organischer Einheit strebt.

Allerdings, wir haben eine Einheit, jeder Minister und Präsident kann uns
darüber Auskunft ertheilen. Aber sie zeigt sich nur auf der Oberfläche, nach oben
hin. Die Napoleon'sche Garde war auch eine Einheit und was für eine! aber sie
Zerschlug an dem Stnrmbocke, welchen jugendlicher Drang gegen die "granitne
Mauer" trieb. Auch kennen wir die wohlgegliederten Stämme, die sich aus dem
Treibhause der Bureaukratie entfalten und prahlend ihre Blätter zum Giebel hin¬
auslassen, aber diese spielen doch etwas stark in Pergamentblässe hinüber und
rollen sich statt jener von frischer Begeisterung geformten Kräuselungen zu Papier-
papillotten zusammen, die man, um Locken zu lügen, an geschorne Zweige hängt.

Das hat die Nation schon lange gesehen und ist es über und über satt.
Man will endlich selbstständige Garten- und Feldcultur, Freiheit, Oeffentlichkeit,
Sonnenlicht, Production aus der Tiefe.

Etwaige Bewegungen da unter sind weiter nichts als naturgemäße Bestre¬
bungen, die Kerne aus den Früchten der Höhe an die Erde zu bringen, damit
f^e, von jedem einzelnen gepflanzt und gepflegt, sich zu neuen Bäumen entfalten,
unter deren Wipfeln als einem von der Nation selbstcultivirten Schnjzdache die
Nation selber steht und gesichert ist.

Denn nicht allein was von Oben kommt ist gut. Nur zu sehr wurde das
Jenseits auf Kosten des Diesseits mit wohlfeilen Worten und Vertröstungen an¬
gebaut. Deutschland war den Deutschen gewissermaßen abhanden gekommen, jetzt


Grcnzl.""e". Ils. I"i7. ß5
Die russische« Ostseeprovinzen.
i.

Die Zeichen der Zeit sind vorhanden: Deutschland sucht sich in sich zu be--
festigen und abzurunden.

Die religiösen Zerwürfnisse, der Ruf nach Verfassung, die Literatur, die sich
aus sublimer Vornehmheit auf den Boden der Wirklichkeit begibt und Stoffe be¬
rührt, welche dem Herzen des Volkes nahe liegen, die hundert Fragen, welche
Volksfreunde zu Gunsten gedrückter Landsleute beantworten, die Rechte der Ge¬
meinden, welche zur Sprache kommen, die Predigt, die ohne vorgeschriebenen Text
fertig wird — Alles dieses und vieles andere gibt ein Zeugniß von innerer Ener¬
gie, welche aus Nahrungen nach organischer Einheit strebt.

Allerdings, wir haben eine Einheit, jeder Minister und Präsident kann uns
darüber Auskunft ertheilen. Aber sie zeigt sich nur auf der Oberfläche, nach oben
hin. Die Napoleon'sche Garde war auch eine Einheit und was für eine! aber sie
Zerschlug an dem Stnrmbocke, welchen jugendlicher Drang gegen die „granitne
Mauer" trieb. Auch kennen wir die wohlgegliederten Stämme, die sich aus dem
Treibhause der Bureaukratie entfalten und prahlend ihre Blätter zum Giebel hin¬
auslassen, aber diese spielen doch etwas stark in Pergamentblässe hinüber und
rollen sich statt jener von frischer Begeisterung geformten Kräuselungen zu Papier-
papillotten zusammen, die man, um Locken zu lügen, an geschorne Zweige hängt.

Das hat die Nation schon lange gesehen und ist es über und über satt.
Man will endlich selbstständige Garten- und Feldcultur, Freiheit, Oeffentlichkeit,
Sonnenlicht, Production aus der Tiefe.

Etwaige Bewegungen da unter sind weiter nichts als naturgemäße Bestre¬
bungen, die Kerne aus den Früchten der Höhe an die Erde zu bringen, damit
f^e, von jedem einzelnen gepflanzt und gepflegt, sich zu neuen Bäumen entfalten,
unter deren Wipfeln als einem von der Nation selbstcultivirten Schnjzdache die
Nation selber steht und gesichert ist.

Denn nicht allein was von Oben kommt ist gut. Nur zu sehr wurde das
Jenseits auf Kosten des Diesseits mit wohlfeilen Worten und Vertröstungen an¬
gebaut. Deutschland war den Deutschen gewissermaßen abhanden gekommen, jetzt


Grcnzl.»«e». Ils. I«i7. ß5
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[0495] Die russische« Ostseeprovinzen. i. Die Zeichen der Zeit sind vorhanden: Deutschland sucht sich in sich zu be-- festigen und abzurunden. Die religiösen Zerwürfnisse, der Ruf nach Verfassung, die Literatur, die sich aus sublimer Vornehmheit auf den Boden der Wirklichkeit begibt und Stoffe be¬ rührt, welche dem Herzen des Volkes nahe liegen, die hundert Fragen, welche Volksfreunde zu Gunsten gedrückter Landsleute beantworten, die Rechte der Ge¬ meinden, welche zur Sprache kommen, die Predigt, die ohne vorgeschriebenen Text fertig wird — Alles dieses und vieles andere gibt ein Zeugniß von innerer Ener¬ gie, welche aus Nahrungen nach organischer Einheit strebt. Allerdings, wir haben eine Einheit, jeder Minister und Präsident kann uns darüber Auskunft ertheilen. Aber sie zeigt sich nur auf der Oberfläche, nach oben hin. Die Napoleon'sche Garde war auch eine Einheit und was für eine! aber sie Zerschlug an dem Stnrmbocke, welchen jugendlicher Drang gegen die „granitne Mauer" trieb. Auch kennen wir die wohlgegliederten Stämme, die sich aus dem Treibhause der Bureaukratie entfalten und prahlend ihre Blätter zum Giebel hin¬ auslassen, aber diese spielen doch etwas stark in Pergamentblässe hinüber und rollen sich statt jener von frischer Begeisterung geformten Kräuselungen zu Papier- papillotten zusammen, die man, um Locken zu lügen, an geschorne Zweige hängt. Das hat die Nation schon lange gesehen und ist es über und über satt. Man will endlich selbstständige Garten- und Feldcultur, Freiheit, Oeffentlichkeit, Sonnenlicht, Production aus der Tiefe. Etwaige Bewegungen da unter sind weiter nichts als naturgemäße Bestre¬ bungen, die Kerne aus den Früchten der Höhe an die Erde zu bringen, damit f^e, von jedem einzelnen gepflanzt und gepflegt, sich zu neuen Bäumen entfalten, unter deren Wipfeln als einem von der Nation selbstcultivirten Schnjzdache die Nation selber steht und gesichert ist. Denn nicht allein was von Oben kommt ist gut. Nur zu sehr wurde das Jenseits auf Kosten des Diesseits mit wohlfeilen Worten und Vertröstungen an¬ gebaut. Deutschland war den Deutschen gewissermaßen abhanden gekommen, jetzt Grcnzl.»«e». Ils. I«i7. ß5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/495>, abgerufen am 27.07.2024.