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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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dieses Bandes die Geschichte Friedrich Wilhelm I. Wenn man bedenkt, daß auf
die folgenden Könige -- wie weit das Werk gehen soll ist nicht bestimmt ausge¬
sprochen -- nnr noch zwei Bände gerechnet sind, so scheint es etwas unverhält-
nißmäßig.

Es ist schwer, sich aus einem Theil eines größern Werks ein Urtheil über
das Ganze zu bilden. Nothwendig müssen wir es mit den vor nicht so langer
Zeit erschienenen Schriften vergleichen, welche denselben Gegenstand behandeln,
namentlich mit Starzel. Früher war es Sitte, daß in einem solchen Fall der
Verfasser sich selber über dieses Verhältniß aussprach, die Abweichung seines
Standpunktes angab, oder was sonst für ein Grund ihn bewogen habe, der
frühern Darstellung eine neue gegenüber zu stellen. Ranke ist zu vornehm dazu;
seine Schriften sollen sich dnrch ihr eigenes Dasein legitimiren.

Es fällt zunächst ans, daß die neue Schrift das Material weit mehr verar¬
beitet hat; die Darstellung ist eleganter, die Anordnung übersichtlicher und licht¬
voller. Aber abgesehen davon, daß eben darum viel schätzbarer Stoff, ans dem
wir uns selber ein Urtheil bilden konnten, über Bord geworfen ist, drängt sich
eine andere, sehr traurige Beobachtung auf; während nämlich Stenzel, dem doch
wahrhaftig Niemand Pietät für den Staat, dem er angehört, und für das er¬
lauchte Haus der Hohenzollern absprechen wird, aufrichtig und unpartheiisch die
Tugenden wie die Schattenseiten jenes für die Entwickelung Preußens so wichti¬
gen Regenten hervorhebt, bringt Ranke dadurch eine künstlerische Harmonie in
seine Darstellung, daß er die letztere vollständig ignorirt. Von dem schrecklichen
Militärdespotismus, von der Verachtung aller höhern sittlichen Ideen, von der
bodenlosen Willkür selbst in der Ausübung der Rechtspflege erfahre" wir kein
Wort. Das Ganze sieht wie eine Familiengemälde aus, in welchem das Gesinde
nnr im Hintergrund erscheinen darf. Und auch selbst hier ist alles Anstößige
übertnscht.

Das ist keine gute Art, die Geschichte zu schreiben. Ich bin überzeugt, daß
Ranke wissentlich keine Thatsache verfälscht haben wird, daß alles einzelne sich
wirklich so verhält, wie er es erzählt; aber eben, daß er nnr dieses erzählt, daß
er seinen Gesichtspunkt willkürlich von einer bestimmten Seite wählt, das ist seine
Unwahrheit. Ein Geschichtschreiber, der nicht den Muth hat, Alles was er weH
zu sagen, erfüllt seinen Beruf nicht.

Die schwierigeren Parthien der preußischen Geschichte sind noch in den folgenden
Zeiten; wir haben aber Grund zu vermuthen, daß da die Pietät gegen das Herr¬
scherhaus sich im Verhältniß der Quadrate der Annäherung vermehrt, wir immer
zarter, immer schonender, immer diplomatischer uus werden behandelt sehen, bis
zuletzt nur noch ein allgemeiner, ätherischer Duft uns mit der Nähe unsrer in's
Unsichtbare verflüchtigten Erdengötter durchschauert.

Diese Stellung zur preußischen Geschichte leitet uns nun am bequemsten aus


dieses Bandes die Geschichte Friedrich Wilhelm I. Wenn man bedenkt, daß auf
die folgenden Könige — wie weit das Werk gehen soll ist nicht bestimmt ausge¬
sprochen — nnr noch zwei Bände gerechnet sind, so scheint es etwas unverhält-
nißmäßig.

Es ist schwer, sich aus einem Theil eines größern Werks ein Urtheil über
das Ganze zu bilden. Nothwendig müssen wir es mit den vor nicht so langer
Zeit erschienenen Schriften vergleichen, welche denselben Gegenstand behandeln,
namentlich mit Starzel. Früher war es Sitte, daß in einem solchen Fall der
Verfasser sich selber über dieses Verhältniß aussprach, die Abweichung seines
Standpunktes angab, oder was sonst für ein Grund ihn bewogen habe, der
frühern Darstellung eine neue gegenüber zu stellen. Ranke ist zu vornehm dazu;
seine Schriften sollen sich dnrch ihr eigenes Dasein legitimiren.

Es fällt zunächst ans, daß die neue Schrift das Material weit mehr verar¬
beitet hat; die Darstellung ist eleganter, die Anordnung übersichtlicher und licht¬
voller. Aber abgesehen davon, daß eben darum viel schätzbarer Stoff, ans dem
wir uns selber ein Urtheil bilden konnten, über Bord geworfen ist, drängt sich
eine andere, sehr traurige Beobachtung auf; während nämlich Stenzel, dem doch
wahrhaftig Niemand Pietät für den Staat, dem er angehört, und für das er¬
lauchte Haus der Hohenzollern absprechen wird, aufrichtig und unpartheiisch die
Tugenden wie die Schattenseiten jenes für die Entwickelung Preußens so wichti¬
gen Regenten hervorhebt, bringt Ranke dadurch eine künstlerische Harmonie in
seine Darstellung, daß er die letztere vollständig ignorirt. Von dem schrecklichen
Militärdespotismus, von der Verachtung aller höhern sittlichen Ideen, von der
bodenlosen Willkür selbst in der Ausübung der Rechtspflege erfahre» wir kein
Wort. Das Ganze sieht wie eine Familiengemälde aus, in welchem das Gesinde
nnr im Hintergrund erscheinen darf. Und auch selbst hier ist alles Anstößige
übertnscht.

Das ist keine gute Art, die Geschichte zu schreiben. Ich bin überzeugt, daß
Ranke wissentlich keine Thatsache verfälscht haben wird, daß alles einzelne sich
wirklich so verhält, wie er es erzählt; aber eben, daß er nnr dieses erzählt, daß
er seinen Gesichtspunkt willkürlich von einer bestimmten Seite wählt, das ist seine
Unwahrheit. Ein Geschichtschreiber, der nicht den Muth hat, Alles was er weH
zu sagen, erfüllt seinen Beruf nicht.

Die schwierigeren Parthien der preußischen Geschichte sind noch in den folgenden
Zeiten; wir haben aber Grund zu vermuthen, daß da die Pietät gegen das Herr¬
scherhaus sich im Verhältniß der Quadrate der Annäherung vermehrt, wir immer
zarter, immer schonender, immer diplomatischer uus werden behandelt sehen, bis
zuletzt nur noch ein allgemeiner, ätherischer Duft uns mit der Nähe unsrer in's
Unsichtbare verflüchtigten Erdengötter durchschauert.

Diese Stellung zur preußischen Geschichte leitet uns nun am bequemsten aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/454>, abgerufen am 27.07.2024.