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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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vornherein das Glück, den Punkt zu treffen, woraus es ankommt; die Transcen-
denz deö heiligen Zweckes wird sogleich durch die energische Vermittelung im Einzelnen
aufgehoben. Der Orden ist ausschließlich Thätigkeit für die gute Sache; mit dem
Denken, mit den Details des Glaubens, mit dem kleinen Dienst macht er sich
nicht zu schaffen; was er für die Kirche im Großen und Ganzen thut, überhebt
ihn der einzelnen Aufopferungen. Er wird also durch den Geist der Kirche, durch
die Macht der Umstände gebildet und modifizirt, wie er selbst bildend auf sie ein¬
wirkt. Sobald er erst festen Fuß gefaßt hat, -- im Anfang muß er sich deu Bo¬
den durch Unterwühlen des Bestehenden gewinnen; daher seine Lehren vom Recht
des Königsmords, von der Volkssouveränität -- muß er darauf deuten, diese Macht
zu erhalten. Er herrscht an den Höfen, in den Schulen; anfangs wohl angesehn,
eben wegen seiner Strenge und Konsequenz. Aber die Personenwechseln, nun den
Einfluß eiuer Gesellschaft, die factisch besteht, wie es sich auch im Lauf der Zeit
mit ihrem idealen Zweck verhalten möge -- dauernd zu befestigen, muß sie sich
in die bestimmten Interessen vertiefen, sie muß sich in gewissen accommodiren. Die
Mittel weiß man genau, man wird in jedem Augenblick daran erinnert, denn man
ist unausgesetzt thätig, der Zweck ist in guten Händen, man begnügt sich damit,
ihn zu haben, weiter kümmert man sich uicht darum. Diese Praxis muß sich bei
der großen Einheit und Konsequenz des Ordens zur Theorie gestalten; die Jesui¬
ten beben vor keiner Consequenz zurück, das wunderbare System der Casuistik, das
allem Christenthum Hohn spricht, wird erfunden, und die Jesuiten geb?u sich zu
Anwälten der Großen, des weltlichen Wesens gegen die Anforderungen der Kirche
her. Das Institut, welches die Vergeistigung der gauzeu Welt zu seinem Zwecke
gesetzt hatte, verwelkliche in sich selbst -- wie die Kirche, der es dient.

Denn jene Reaction des religiösen Bewußtseins war eine gewaltsame; sie
konnte darum auf die Dauer uicht Stand halten. Mit dem Ende des 17. Jahr¬
hunderts ist die Kirche wieder verwelkliche, wie vor den Zeiten der Reformation.

Was später im Papstthum geschah, wird nur als Nachklang des Ganzen an¬
gedeutet; es ist kein wesentliches Moment der Geschichte mehr. Die phantastischen
Formeu des Katholicismus werdeu ein Luxusartikel gebildeter, aber blasirter Gei¬
ster. Die Episode der Königin Christine ist ein schönes, vollkommen entsprechendes
Vild vou dem, was die Kirche geworden war: romantische Reflexion.

Ich habe das auf meine Art skizzirt; Ranke macht jene Reflexionen nicht zum
Leitfaden seiner Schilderung, er deutet sie höchstens beiläufig an. Der Geschicht¬
schreiber wie der Dichter kaun in Fleisch und Blut darstellen, was der Kritiker
schematisiren muß.

Der Erfolg dieses Werks entsprach seinem Verdienst. Trotz der blendenden
Darstellung, durch welche die modernen Historiker Frankreichs uns anzureizen wis¬
sen, ist unter dem eigentlich gebildeten Publikum der civilisirten Nationen Ranke's
Geschichte der Päpste das populärste Werk.


Gmizhytm, III, I8i7. - 59

vornherein das Glück, den Punkt zu treffen, woraus es ankommt; die Transcen-
denz deö heiligen Zweckes wird sogleich durch die energische Vermittelung im Einzelnen
aufgehoben. Der Orden ist ausschließlich Thätigkeit für die gute Sache; mit dem
Denken, mit den Details des Glaubens, mit dem kleinen Dienst macht er sich
nicht zu schaffen; was er für die Kirche im Großen und Ganzen thut, überhebt
ihn der einzelnen Aufopferungen. Er wird also durch den Geist der Kirche, durch
die Macht der Umstände gebildet und modifizirt, wie er selbst bildend auf sie ein¬
wirkt. Sobald er erst festen Fuß gefaßt hat, — im Anfang muß er sich deu Bo¬
den durch Unterwühlen des Bestehenden gewinnen; daher seine Lehren vom Recht
des Königsmords, von der Volkssouveränität — muß er darauf deuten, diese Macht
zu erhalten. Er herrscht an den Höfen, in den Schulen; anfangs wohl angesehn,
eben wegen seiner Strenge und Konsequenz. Aber die Personenwechseln, nun den
Einfluß eiuer Gesellschaft, die factisch besteht, wie es sich auch im Lauf der Zeit
mit ihrem idealen Zweck verhalten möge — dauernd zu befestigen, muß sie sich
in die bestimmten Interessen vertiefen, sie muß sich in gewissen accommodiren. Die
Mittel weiß man genau, man wird in jedem Augenblick daran erinnert, denn man
ist unausgesetzt thätig, der Zweck ist in guten Händen, man begnügt sich damit,
ihn zu haben, weiter kümmert man sich uicht darum. Diese Praxis muß sich bei
der großen Einheit und Konsequenz des Ordens zur Theorie gestalten; die Jesui¬
ten beben vor keiner Consequenz zurück, das wunderbare System der Casuistik, das
allem Christenthum Hohn spricht, wird erfunden, und die Jesuiten geb?u sich zu
Anwälten der Großen, des weltlichen Wesens gegen die Anforderungen der Kirche
her. Das Institut, welches die Vergeistigung der gauzeu Welt zu seinem Zwecke
gesetzt hatte, verwelkliche in sich selbst — wie die Kirche, der es dient.

Denn jene Reaction des religiösen Bewußtseins war eine gewaltsame; sie
konnte darum auf die Dauer uicht Stand halten. Mit dem Ende des 17. Jahr¬
hunderts ist die Kirche wieder verwelkliche, wie vor den Zeiten der Reformation.

Was später im Papstthum geschah, wird nur als Nachklang des Ganzen an¬
gedeutet; es ist kein wesentliches Moment der Geschichte mehr. Die phantastischen
Formeu des Katholicismus werdeu ein Luxusartikel gebildeter, aber blasirter Gei¬
ster. Die Episode der Königin Christine ist ein schönes, vollkommen entsprechendes
Vild vou dem, was die Kirche geworden war: romantische Reflexion.

Ich habe das auf meine Art skizzirt; Ranke macht jene Reflexionen nicht zum
Leitfaden seiner Schilderung, er deutet sie höchstens beiläufig an. Der Geschicht¬
schreiber wie der Dichter kaun in Fleisch und Blut darstellen, was der Kritiker
schematisiren muß.

Der Erfolg dieses Werks entsprach seinem Verdienst. Trotz der blendenden
Darstellung, durch welche die modernen Historiker Frankreichs uns anzureizen wis¬
sen, ist unter dem eigentlich gebildeten Publikum der civilisirten Nationen Ranke's
Geschichte der Päpste das populärste Werk.


Gmizhytm, III, I8i7. - 59
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[0451] vornherein das Glück, den Punkt zu treffen, woraus es ankommt; die Transcen- denz deö heiligen Zweckes wird sogleich durch die energische Vermittelung im Einzelnen aufgehoben. Der Orden ist ausschließlich Thätigkeit für die gute Sache; mit dem Denken, mit den Details des Glaubens, mit dem kleinen Dienst macht er sich nicht zu schaffen; was er für die Kirche im Großen und Ganzen thut, überhebt ihn der einzelnen Aufopferungen. Er wird also durch den Geist der Kirche, durch die Macht der Umstände gebildet und modifizirt, wie er selbst bildend auf sie ein¬ wirkt. Sobald er erst festen Fuß gefaßt hat, — im Anfang muß er sich deu Bo¬ den durch Unterwühlen des Bestehenden gewinnen; daher seine Lehren vom Recht des Königsmords, von der Volkssouveränität — muß er darauf deuten, diese Macht zu erhalten. Er herrscht an den Höfen, in den Schulen; anfangs wohl angesehn, eben wegen seiner Strenge und Konsequenz. Aber die Personenwechseln, nun den Einfluß eiuer Gesellschaft, die factisch besteht, wie es sich auch im Lauf der Zeit mit ihrem idealen Zweck verhalten möge — dauernd zu befestigen, muß sie sich in die bestimmten Interessen vertiefen, sie muß sich in gewissen accommodiren. Die Mittel weiß man genau, man wird in jedem Augenblick daran erinnert, denn man ist unausgesetzt thätig, der Zweck ist in guten Händen, man begnügt sich damit, ihn zu haben, weiter kümmert man sich uicht darum. Diese Praxis muß sich bei der großen Einheit und Konsequenz des Ordens zur Theorie gestalten; die Jesui¬ ten beben vor keiner Consequenz zurück, das wunderbare System der Casuistik, das allem Christenthum Hohn spricht, wird erfunden, und die Jesuiten geb?u sich zu Anwälten der Großen, des weltlichen Wesens gegen die Anforderungen der Kirche her. Das Institut, welches die Vergeistigung der gauzeu Welt zu seinem Zwecke gesetzt hatte, verwelkliche in sich selbst — wie die Kirche, der es dient. Denn jene Reaction des religiösen Bewußtseins war eine gewaltsame; sie konnte darum auf die Dauer uicht Stand halten. Mit dem Ende des 17. Jahr¬ hunderts ist die Kirche wieder verwelkliche, wie vor den Zeiten der Reformation. Was später im Papstthum geschah, wird nur als Nachklang des Ganzen an¬ gedeutet; es ist kein wesentliches Moment der Geschichte mehr. Die phantastischen Formeu des Katholicismus werdeu ein Luxusartikel gebildeter, aber blasirter Gei¬ ster. Die Episode der Königin Christine ist ein schönes, vollkommen entsprechendes Vild vou dem, was die Kirche geworden war: romantische Reflexion. Ich habe das auf meine Art skizzirt; Ranke macht jene Reflexionen nicht zum Leitfaden seiner Schilderung, er deutet sie höchstens beiläufig an. Der Geschicht¬ schreiber wie der Dichter kaun in Fleisch und Blut darstellen, was der Kritiker schematisiren muß. Der Erfolg dieses Werks entsprach seinem Verdienst. Trotz der blendenden Darstellung, durch welche die modernen Historiker Frankreichs uns anzureizen wis¬ sen, ist unter dem eigentlich gebildeten Publikum der civilisirten Nationen Ranke's Geschichte der Päpste das populärste Werk. Gmizhytm, III, I8i7. - 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/451>, abgerufen am 28.07.2024.