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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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und spotteten des Glaubens, der die Masse noch immer beherrschte. Denn das
Christenthum war darum noch nicht untergegangen, weil die Kirche selbst sich
seiner entschlagen hatte; es hatte sich in deu Herzen des Volks festgewurzelt. Es
kam nur darauf an, daß vernehmlich ausgesprochen wurde, was es fühlte, und
der Bruch des Geistes trat auch objectiv in's Leben ein. In einer an sich ge¬
sunden, aber durch die VerlMuisse zur Schwermuth und zur Sclbstpeimgung
gestimmten Seele trat dieser Geist an's Licht: Luther wurde durch die biblische
Wahrheit, die wie eine Inspiration sein Herz erleuchtete, daß die Versöhnung
des sündigen Menschen mit Gott nicht durch objective Werke, Leiden, Opfer
erkauft, sondern innerlich, im Glauben, in der Gesinnung vermittelt werden müsse,
Schritt für Schritt, ohne eignes Bewußtsein, in die Reihe der kühnen Lehren
und Thaten getrieben, welche die vollständige Umgestaltung der Kirche nach sich
ziehen mußte". Umstände, die zum großen Theil politischer Natur waren, ließen
es nicht dazu kommen, daß diese Reform im Großen und Ganzen vor sich ging.
Es kam -- zwar später als man gewöhnlich annimmt -- zu einer Kirchen¬
trennung.

Aber die Partei der alten Kirche blieb nicht unberührt von dem neuen Geist.
Wir unterscheiden zwei Richtungen, in denen auch auf dem Boden des Katholi¬
cismus die Wiedergeburt des Geistes sich geltend machte.

Die eine war dem Protestantismus analog; sie stimmte in den wesentlichsten
Glaubenssätzen mit ihm überein, und hing um zu fest an der Idee der allgemei¬
nen, objectiven Kirche -- im Gegensatz zu der unsichtbaren der Reformation --
als daß sie zu einem eigentlichen Zertrümmern der alten Herrlichkeit ihre Hand
hätte bieten mögen. Diese Partei, die anfangs unter der höchsten italienischen
Geistlichkeit ihre würdigsten Vertreter hatte, und die in spätern Zeiten wieder in
Michael Bajns, den Jansenisten und ähnlichen Erscheinungen wider die Verwelt-
lichung der Kirche sich richtete >-- war eben deshalb in sich selbst unsicher und
zweifelhaft und mußte deshalb untergehen.

Die zweite Richtung war eben so entschieden gegen die Verweltlichung der
Kirche, aber ihre Reformpläne gingen von den alten Ideen Gregor's VII. ans;
sie beschwor den Geist des mittelalterlichen, phantastischen Christenthums aus den
Gräbern der Vorzeit von Neuem hervor, sie führte mit äußerster Strenge die
Gebote der Abstraction zunächst in das geistliche, dann wenigstens als Forderung
auch in das weltliche Leben wieder ein. Mit Pius I V. kam diese Partei auf den
Päpstlichen Thron, in dem Orden der Jesuiten fand sie ein wirksames und gro߬
artiges Organ, zunächst der eigenen Kräfte mächtig zu werden, dann das Ver¬
lorene wieder zu erobern; im Tridcntiner Concil fixirte sie ihr Glaubenssystem
und prägte es der Kirche auf.

Mit bewundernswürdiger Anschaulichkeit ist diese Wiedergeburt des Geistes,
nicht etwa in einer phantastischen Dialectik abstracter Formeln, sondern in dem


und spotteten des Glaubens, der die Masse noch immer beherrschte. Denn das
Christenthum war darum noch nicht untergegangen, weil die Kirche selbst sich
seiner entschlagen hatte; es hatte sich in deu Herzen des Volks festgewurzelt. Es
kam nur darauf an, daß vernehmlich ausgesprochen wurde, was es fühlte, und
der Bruch des Geistes trat auch objectiv in's Leben ein. In einer an sich ge¬
sunden, aber durch die VerlMuisse zur Schwermuth und zur Sclbstpeimgung
gestimmten Seele trat dieser Geist an's Licht: Luther wurde durch die biblische
Wahrheit, die wie eine Inspiration sein Herz erleuchtete, daß die Versöhnung
des sündigen Menschen mit Gott nicht durch objective Werke, Leiden, Opfer
erkauft, sondern innerlich, im Glauben, in der Gesinnung vermittelt werden müsse,
Schritt für Schritt, ohne eignes Bewußtsein, in die Reihe der kühnen Lehren
und Thaten getrieben, welche die vollständige Umgestaltung der Kirche nach sich
ziehen mußte». Umstände, die zum großen Theil politischer Natur waren, ließen
es nicht dazu kommen, daß diese Reform im Großen und Ganzen vor sich ging.
Es kam — zwar später als man gewöhnlich annimmt — zu einer Kirchen¬
trennung.

Aber die Partei der alten Kirche blieb nicht unberührt von dem neuen Geist.
Wir unterscheiden zwei Richtungen, in denen auch auf dem Boden des Katholi¬
cismus die Wiedergeburt des Geistes sich geltend machte.

Die eine war dem Protestantismus analog; sie stimmte in den wesentlichsten
Glaubenssätzen mit ihm überein, und hing um zu fest an der Idee der allgemei¬
nen, objectiven Kirche — im Gegensatz zu der unsichtbaren der Reformation —
als daß sie zu einem eigentlichen Zertrümmern der alten Herrlichkeit ihre Hand
hätte bieten mögen. Diese Partei, die anfangs unter der höchsten italienischen
Geistlichkeit ihre würdigsten Vertreter hatte, und die in spätern Zeiten wieder in
Michael Bajns, den Jansenisten und ähnlichen Erscheinungen wider die Verwelt-
lichung der Kirche sich richtete >— war eben deshalb in sich selbst unsicher und
zweifelhaft und mußte deshalb untergehen.

Die zweite Richtung war eben so entschieden gegen die Verweltlichung der
Kirche, aber ihre Reformpläne gingen von den alten Ideen Gregor's VII. ans;
sie beschwor den Geist des mittelalterlichen, phantastischen Christenthums aus den
Gräbern der Vorzeit von Neuem hervor, sie führte mit äußerster Strenge die
Gebote der Abstraction zunächst in das geistliche, dann wenigstens als Forderung
auch in das weltliche Leben wieder ein. Mit Pius I V. kam diese Partei auf den
Päpstlichen Thron, in dem Orden der Jesuiten fand sie ein wirksames und gro߬
artiges Organ, zunächst der eigenen Kräfte mächtig zu werden, dann das Ver¬
lorene wieder zu erobern; im Tridcntiner Concil fixirte sie ihr Glaubenssystem
und prägte es der Kirche auf.

Mit bewundernswürdiger Anschaulichkeit ist diese Wiedergeburt des Geistes,
nicht etwa in einer phantastischen Dialectik abstracter Formeln, sondern in dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/449>, abgerufen am 28.07.2024.