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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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die große Idee der Menschheit lebendig die Seele durchglüht. Der Christ, wel¬
cher Geschichte schreibt, hat eine solche Idee, aber sie ist nicht plastisch darstellbar,
denn sie verleugnet die Wirklichkeit grade in ihren classischen Erscheinungen, und
weist auf ein Jenseits, dessen Wesen die Geschichtlosigkeit ist. Der Philosoph da¬
gegen sucht den Geist in der Wirklichkeit, und er allein kann ihn dichterisch uach-
schaffen.

Der Diplomat kann die Philosophie nur als Dilettant betreiben. Er nimmt
sie vielleicht auf, als einen neuen geistreichen Zug, aber er gibt sich ihr nicht hin.
Der Diplomat steht großen Ereignissen zu nahe und zu fern; zu nahe, denn er
sieht alles Einzelne, ohne einen Ueberblick über das Ganze gewinnen zu können,
und ist äußerlich betheiligt; zu fern, denn das Gefühl, das zu großen Thaten
treibt, ist ihm nur objectiv. Was würde das für eine Geschichte der französischen
Revolution geben, die von einem Gesandtschafts-Attache geschrieben wäre!

Ranke ist Dilettant in der Philosophie, Dilettant in der Politik, Dilettant
in der Religion. Man mißverstehe mich nicht; ich finde unter den deutschen Hi¬
storikern Keinen, der an positiver Kenntniß in diesen Gebieten, oder auch an fei¬
nem Gefühl für das Edlere derselben, an Empfänglichkeit ihm überlegen oder anch
nur ihm zu vergleichen wäre. Ich erinnere nur darau, mit welcher Tiefe der Ent¬
wickelungsgang Luthers von ihm verfolgt ist. Aber die reine Empfänglichkeit ist
grade das Charakteristische des Dilettantismus. Ranke ist des Zorns, des Hasses
nicht fähig, aber auch uicht der Begeisterung, weil er keinen Glauben hat. Er
muß selbst die Ehrfurcht vor einem großen Charakter erst dnrch Reflexion sich an¬
eignen. Das Wohlwollen des gebildete,: Diplomaten ist Toleranz; er ist unpar¬
teiisch, nicht weil er über, sondern außer den Parteien steht.

Diese Eigenschaften befähigen auf der einen Seite den Historiker, ein wohl¬
gefälliges, abgerundetes Bild zu geben, in welchem jede Figur lebendig und mit
Anstand hervortritt, in welchem die Gruppen schicklich und geschmackvoll vertheilt
werden. Er wird wahr sein können und gerecht im Einzelnen; sehen wir nun,
wie die höhere Wahrheit, die Nemesis der Geschichte, auf diese Weise sich behaup¬
ten kann.

Die "Fürsten und Völker" zerfallen in zwei Abschnitte; der erste behandelt
das Staatsleben von Südeuropa im Allgemeinen, der zweite das Papstthum. In
dem ersten sind es namentlich zwei Gegenstände, die das Interesse in Anspruch
nehmen: der Hof Philipps II. und die Machtentwickeluug des osmanischen Reichs.
Hier ist Ranke ganz in seiner Sphäre. Der furchtbare Despotismus des spani¬
schen Königs wird ohne tragischen Pathos vollkommen anschaulich vorgestellt, man
führt uns in die geheimsten Räder dieses halb phantastischen, halb schrecklichen
Triebwerks, und wiewohl wir ebenso die Ohnmacht als die Abscheulichkeit des
ganzen Systems begreifen, so gewinnen wir doch ein menschliches Juteresse für
Philipp, ja zum Theil für seine Helfershelfer. Ranke gebraucht nie ein kleinliches


die große Idee der Menschheit lebendig die Seele durchglüht. Der Christ, wel¬
cher Geschichte schreibt, hat eine solche Idee, aber sie ist nicht plastisch darstellbar,
denn sie verleugnet die Wirklichkeit grade in ihren classischen Erscheinungen, und
weist auf ein Jenseits, dessen Wesen die Geschichtlosigkeit ist. Der Philosoph da¬
gegen sucht den Geist in der Wirklichkeit, und er allein kann ihn dichterisch uach-
schaffen.

Der Diplomat kann die Philosophie nur als Dilettant betreiben. Er nimmt
sie vielleicht auf, als einen neuen geistreichen Zug, aber er gibt sich ihr nicht hin.
Der Diplomat steht großen Ereignissen zu nahe und zu fern; zu nahe, denn er
sieht alles Einzelne, ohne einen Ueberblick über das Ganze gewinnen zu können,
und ist äußerlich betheiligt; zu fern, denn das Gefühl, das zu großen Thaten
treibt, ist ihm nur objectiv. Was würde das für eine Geschichte der französischen
Revolution geben, die von einem Gesandtschafts-Attache geschrieben wäre!

Ranke ist Dilettant in der Philosophie, Dilettant in der Politik, Dilettant
in der Religion. Man mißverstehe mich nicht; ich finde unter den deutschen Hi¬
storikern Keinen, der an positiver Kenntniß in diesen Gebieten, oder auch an fei¬
nem Gefühl für das Edlere derselben, an Empfänglichkeit ihm überlegen oder anch
nur ihm zu vergleichen wäre. Ich erinnere nur darau, mit welcher Tiefe der Ent¬
wickelungsgang Luthers von ihm verfolgt ist. Aber die reine Empfänglichkeit ist
grade das Charakteristische des Dilettantismus. Ranke ist des Zorns, des Hasses
nicht fähig, aber auch uicht der Begeisterung, weil er keinen Glauben hat. Er
muß selbst die Ehrfurcht vor einem großen Charakter erst dnrch Reflexion sich an¬
eignen. Das Wohlwollen des gebildete,: Diplomaten ist Toleranz; er ist unpar¬
teiisch, nicht weil er über, sondern außer den Parteien steht.

Diese Eigenschaften befähigen auf der einen Seite den Historiker, ein wohl¬
gefälliges, abgerundetes Bild zu geben, in welchem jede Figur lebendig und mit
Anstand hervortritt, in welchem die Gruppen schicklich und geschmackvoll vertheilt
werden. Er wird wahr sein können und gerecht im Einzelnen; sehen wir nun,
wie die höhere Wahrheit, die Nemesis der Geschichte, auf diese Weise sich behaup¬
ten kann.

Die „Fürsten und Völker" zerfallen in zwei Abschnitte; der erste behandelt
das Staatsleben von Südeuropa im Allgemeinen, der zweite das Papstthum. In
dem ersten sind es namentlich zwei Gegenstände, die das Interesse in Anspruch
nehmen: der Hof Philipps II. und die Machtentwickeluug des osmanischen Reichs.
Hier ist Ranke ganz in seiner Sphäre. Der furchtbare Despotismus des spani¬
schen Königs wird ohne tragischen Pathos vollkommen anschaulich vorgestellt, man
führt uns in die geheimsten Räder dieses halb phantastischen, halb schrecklichen
Triebwerks, und wiewohl wir ebenso die Ohnmacht als die Abscheulichkeit des
ganzen Systems begreifen, so gewinnen wir doch ein menschliches Juteresse für
Philipp, ja zum Theil für seine Helfershelfer. Ranke gebraucht nie ein kleinliches


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[0414] die große Idee der Menschheit lebendig die Seele durchglüht. Der Christ, wel¬ cher Geschichte schreibt, hat eine solche Idee, aber sie ist nicht plastisch darstellbar, denn sie verleugnet die Wirklichkeit grade in ihren classischen Erscheinungen, und weist auf ein Jenseits, dessen Wesen die Geschichtlosigkeit ist. Der Philosoph da¬ gegen sucht den Geist in der Wirklichkeit, und er allein kann ihn dichterisch uach- schaffen. Der Diplomat kann die Philosophie nur als Dilettant betreiben. Er nimmt sie vielleicht auf, als einen neuen geistreichen Zug, aber er gibt sich ihr nicht hin. Der Diplomat steht großen Ereignissen zu nahe und zu fern; zu nahe, denn er sieht alles Einzelne, ohne einen Ueberblick über das Ganze gewinnen zu können, und ist äußerlich betheiligt; zu fern, denn das Gefühl, das zu großen Thaten treibt, ist ihm nur objectiv. Was würde das für eine Geschichte der französischen Revolution geben, die von einem Gesandtschafts-Attache geschrieben wäre! Ranke ist Dilettant in der Philosophie, Dilettant in der Politik, Dilettant in der Religion. Man mißverstehe mich nicht; ich finde unter den deutschen Hi¬ storikern Keinen, der an positiver Kenntniß in diesen Gebieten, oder auch an fei¬ nem Gefühl für das Edlere derselben, an Empfänglichkeit ihm überlegen oder anch nur ihm zu vergleichen wäre. Ich erinnere nur darau, mit welcher Tiefe der Ent¬ wickelungsgang Luthers von ihm verfolgt ist. Aber die reine Empfänglichkeit ist grade das Charakteristische des Dilettantismus. Ranke ist des Zorns, des Hasses nicht fähig, aber auch uicht der Begeisterung, weil er keinen Glauben hat. Er muß selbst die Ehrfurcht vor einem großen Charakter erst dnrch Reflexion sich an¬ eignen. Das Wohlwollen des gebildete,: Diplomaten ist Toleranz; er ist unpar¬ teiisch, nicht weil er über, sondern außer den Parteien steht. Diese Eigenschaften befähigen auf der einen Seite den Historiker, ein wohl¬ gefälliges, abgerundetes Bild zu geben, in welchem jede Figur lebendig und mit Anstand hervortritt, in welchem die Gruppen schicklich und geschmackvoll vertheilt werden. Er wird wahr sein können und gerecht im Einzelnen; sehen wir nun, wie die höhere Wahrheit, die Nemesis der Geschichte, auf diese Weise sich behaup¬ ten kann. Die „Fürsten und Völker" zerfallen in zwei Abschnitte; der erste behandelt das Staatsleben von Südeuropa im Allgemeinen, der zweite das Papstthum. In dem ersten sind es namentlich zwei Gegenstände, die das Interesse in Anspruch nehmen: der Hof Philipps II. und die Machtentwickeluug des osmanischen Reichs. Hier ist Ranke ganz in seiner Sphäre. Der furchtbare Despotismus des spani¬ schen Königs wird ohne tragischen Pathos vollkommen anschaulich vorgestellt, man führt uns in die geheimsten Räder dieses halb phantastischen, halb schrecklichen Triebwerks, und wiewohl wir ebenso die Ohnmacht als die Abscheulichkeit des ganzen Systems begreifen, so gewinnen wir doch ein menschliches Juteresse für Philipp, ja zum Theil für seine Helfershelfer. Ranke gebraucht nie ein kleinliches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/414>, abgerufen am 01.09.2024.