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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Hier finden wir nun schon im Aeußerlichen einen wesentlichen Unterschied
zwischen Ranke und den übrigen kritischen Historikern, der aber bei näherer Be¬
trachtung aushört, ein blos äußerlicher zu sein. Andere Kritiker, wie Niebuhr,
O. Müller, geben uus ihre Forschungen, ihre Kritik selbst als das objective Kunst-
werk der Geschichte. Ranke trennt die Kritik von der Darstellung; er gibt zuerst
die objective Darstellung des Thatsächlichen, nach seinem Sinn gruppirt, und dann
stellt er in einem besondern Anhang das Verhältniß seiner Geschichte zu den Quellen
dar, oder eigentlich, er macht diese Kritik der Quellen wieder zu einem eigenen,
in sich abgeschlossenen Kunstwerk.

In jener Geschichte, die vornämlich den Zug Karl's VIII. nach Italien be¬
handelt, kaun man sagen, daß der Historiker seines Stoffes uoch nicht Meister
geworden ist. Zum Theil ist daran der Gegenstand Schuld; er läßt sich zu kei¬
nem abgerundeten Gemälde verbinden, denn sein ganzes Interesse liegt in den
Verwickelungen der italienischen Politik jener Zeit, in denen man vergebens sucht
sich zu orientiren, wenn man durch einen plötzlichen Sprung hineingeschleudert
wird. Wir fühlen wohl, daß es eine kundige Hand ist, die uns leitet, aber es
wird uns doch nicht wohl in diesen verworrenen Geschichten; wir sehen das Ein¬
zelne deutlich genug, aber was das Ganze soll, davon haben wir keinen Begriff.
Es kommt hinzu, daß Ranke hier uoch mit der Sprache zu kämpfen hat; er will
durchaus objectiv darstellen, und bekämpft daher entschieden jede Neigung, von
der eignen Stimmung, den eignen Ansichten etwas hinzuzuthun; eben diese Aengst-
lichkeit aber bringt eine, wenn auch negative, doch überall merkliche Reflexion auf
sich selbst hervor, und die Redeweise hat etwas Gezwungenes, Unbehagliches.
Es verdient die höchste Anerkennung, daß Ranke sich der oratorischen Zierrathen,
wie sie seit Schiller in unserer Geschichtschreibung eingerissen waren, gänzlich ent¬
schlage; aber in dieser Flucht vor allem äußern Schmuck liegt auch eine gewisse
Coquetterie, und der junge Schriftsteller hat noch nicht so viel Gewalt über sich
selbst, diese gehörig zu verschleiern, oder sie wenigsteus nur mit der liebenswür¬
digen Grazie eines schönen Mädchens im Negligv hervorblicken zu lassen.

Viel wohlthätiger ist der Eindruck, den jene Kritik der Geschichtschreiber aus
uns macht. Das Verfahren ist höchst einfach; Ranke greift eine beliebige Be¬
gebenheit heraus, die der Eine von ihnen erzählt, zeigt aus der Art und Weise,
wie er sie darstellt, im Vergleich mit den andern Chronisten, in Beziehung auf seine
Politische oder sonstige Stellung, was für Absichten, was für Ideen ihn könnten
geleitet haben, prüft die Ursprünglichkeit seiner Erfahrungen, die Genauigkeit sei¬
ner Quellenbenutzuug; unterscheidet sorgfältig was Wahrheit, was Parteifarbe
ist -- beides kann der Historiker benutzen -- und in Kurzem haben wir ein leben¬
diges, anschauliches GesammtbilV von dem Schriftsteller, von dem wir doch nur
einzelne Proben gesehen haben. Dies Verfahren ist genau eben so in der Kritik


Hier finden wir nun schon im Aeußerlichen einen wesentlichen Unterschied
zwischen Ranke und den übrigen kritischen Historikern, der aber bei näherer Be¬
trachtung aushört, ein blos äußerlicher zu sein. Andere Kritiker, wie Niebuhr,
O. Müller, geben uus ihre Forschungen, ihre Kritik selbst als das objective Kunst-
werk der Geschichte. Ranke trennt die Kritik von der Darstellung; er gibt zuerst
die objective Darstellung des Thatsächlichen, nach seinem Sinn gruppirt, und dann
stellt er in einem besondern Anhang das Verhältniß seiner Geschichte zu den Quellen
dar, oder eigentlich, er macht diese Kritik der Quellen wieder zu einem eigenen,
in sich abgeschlossenen Kunstwerk.

In jener Geschichte, die vornämlich den Zug Karl's VIII. nach Italien be¬
handelt, kaun man sagen, daß der Historiker seines Stoffes uoch nicht Meister
geworden ist. Zum Theil ist daran der Gegenstand Schuld; er läßt sich zu kei¬
nem abgerundeten Gemälde verbinden, denn sein ganzes Interesse liegt in den
Verwickelungen der italienischen Politik jener Zeit, in denen man vergebens sucht
sich zu orientiren, wenn man durch einen plötzlichen Sprung hineingeschleudert
wird. Wir fühlen wohl, daß es eine kundige Hand ist, die uns leitet, aber es
wird uns doch nicht wohl in diesen verworrenen Geschichten; wir sehen das Ein¬
zelne deutlich genug, aber was das Ganze soll, davon haben wir keinen Begriff.
Es kommt hinzu, daß Ranke hier uoch mit der Sprache zu kämpfen hat; er will
durchaus objectiv darstellen, und bekämpft daher entschieden jede Neigung, von
der eignen Stimmung, den eignen Ansichten etwas hinzuzuthun; eben diese Aengst-
lichkeit aber bringt eine, wenn auch negative, doch überall merkliche Reflexion auf
sich selbst hervor, und die Redeweise hat etwas Gezwungenes, Unbehagliches.
Es verdient die höchste Anerkennung, daß Ranke sich der oratorischen Zierrathen,
wie sie seit Schiller in unserer Geschichtschreibung eingerissen waren, gänzlich ent¬
schlage; aber in dieser Flucht vor allem äußern Schmuck liegt auch eine gewisse
Coquetterie, und der junge Schriftsteller hat noch nicht so viel Gewalt über sich
selbst, diese gehörig zu verschleiern, oder sie wenigsteus nur mit der liebenswür¬
digen Grazie eines schönen Mädchens im Negligv hervorblicken zu lassen.

Viel wohlthätiger ist der Eindruck, den jene Kritik der Geschichtschreiber aus
uns macht. Das Verfahren ist höchst einfach; Ranke greift eine beliebige Be¬
gebenheit heraus, die der Eine von ihnen erzählt, zeigt aus der Art und Weise,
wie er sie darstellt, im Vergleich mit den andern Chronisten, in Beziehung auf seine
Politische oder sonstige Stellung, was für Absichten, was für Ideen ihn könnten
geleitet haben, prüft die Ursprünglichkeit seiner Erfahrungen, die Genauigkeit sei¬
ner Quellenbenutzuug; unterscheidet sorgfältig was Wahrheit, was Parteifarbe
ist — beides kann der Historiker benutzen — und in Kurzem haben wir ein leben¬
diges, anschauliches GesammtbilV von dem Schriftsteller, von dem wir doch nur
einzelne Proben gesehen haben. Dies Verfahren ist genau eben so in der Kritik


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[0411] Hier finden wir nun schon im Aeußerlichen einen wesentlichen Unterschied zwischen Ranke und den übrigen kritischen Historikern, der aber bei näherer Be¬ trachtung aushört, ein blos äußerlicher zu sein. Andere Kritiker, wie Niebuhr, O. Müller, geben uus ihre Forschungen, ihre Kritik selbst als das objective Kunst- werk der Geschichte. Ranke trennt die Kritik von der Darstellung; er gibt zuerst die objective Darstellung des Thatsächlichen, nach seinem Sinn gruppirt, und dann stellt er in einem besondern Anhang das Verhältniß seiner Geschichte zu den Quellen dar, oder eigentlich, er macht diese Kritik der Quellen wieder zu einem eigenen, in sich abgeschlossenen Kunstwerk. In jener Geschichte, die vornämlich den Zug Karl's VIII. nach Italien be¬ handelt, kaun man sagen, daß der Historiker seines Stoffes uoch nicht Meister geworden ist. Zum Theil ist daran der Gegenstand Schuld; er läßt sich zu kei¬ nem abgerundeten Gemälde verbinden, denn sein ganzes Interesse liegt in den Verwickelungen der italienischen Politik jener Zeit, in denen man vergebens sucht sich zu orientiren, wenn man durch einen plötzlichen Sprung hineingeschleudert wird. Wir fühlen wohl, daß es eine kundige Hand ist, die uns leitet, aber es wird uns doch nicht wohl in diesen verworrenen Geschichten; wir sehen das Ein¬ zelne deutlich genug, aber was das Ganze soll, davon haben wir keinen Begriff. Es kommt hinzu, daß Ranke hier uoch mit der Sprache zu kämpfen hat; er will durchaus objectiv darstellen, und bekämpft daher entschieden jede Neigung, von der eignen Stimmung, den eignen Ansichten etwas hinzuzuthun; eben diese Aengst- lichkeit aber bringt eine, wenn auch negative, doch überall merkliche Reflexion auf sich selbst hervor, und die Redeweise hat etwas Gezwungenes, Unbehagliches. Es verdient die höchste Anerkennung, daß Ranke sich der oratorischen Zierrathen, wie sie seit Schiller in unserer Geschichtschreibung eingerissen waren, gänzlich ent¬ schlage; aber in dieser Flucht vor allem äußern Schmuck liegt auch eine gewisse Coquetterie, und der junge Schriftsteller hat noch nicht so viel Gewalt über sich selbst, diese gehörig zu verschleiern, oder sie wenigsteus nur mit der liebenswür¬ digen Grazie eines schönen Mädchens im Negligv hervorblicken zu lassen. Viel wohlthätiger ist der Eindruck, den jene Kritik der Geschichtschreiber aus uns macht. Das Verfahren ist höchst einfach; Ranke greift eine beliebige Be¬ gebenheit heraus, die der Eine von ihnen erzählt, zeigt aus der Art und Weise, wie er sie darstellt, im Vergleich mit den andern Chronisten, in Beziehung auf seine Politische oder sonstige Stellung, was für Absichten, was für Ideen ihn könnten geleitet haben, prüft die Ursprünglichkeit seiner Erfahrungen, die Genauigkeit sei¬ ner Quellenbenutzuug; unterscheidet sorgfältig was Wahrheit, was Parteifarbe ist — beides kann der Historiker benutzen — und in Kurzem haben wir ein leben¬ diges, anschauliches GesammtbilV von dem Schriftsteller, von dem wir doch nur einzelne Proben gesehen haben. Dies Verfahren ist genau eben so in der Kritik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/411>, abgerufen am 01.09.2024.