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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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um aus dem Asyl der Freiheit verbannt und seinem bösen Gewissen über¬
lassen. "Berührt ihn nicht, den Gott geschlagen," ertönt es aus tausend
Stimmen, "der Geist der Zeit hat sich an ihm gerächt, ihn in das wesen¬
lose Nichts gestürzt." Zum Schluß läßt der Herzog seinen Kanzler herbei¬
rufen, damit dieser dem Volk "in einer klaren und bündigen Rede" den gan¬
zen Plan des modernen freien Staates anschaulich mache. Der Redner löst
"mit Klarheit und Geschick" diese Ausgabe. So wird das Volk aufgeklärt,
über alle bürgerliche" und politischen Interessen werden die liberalsten An-
ordnungen getroffen, die tugendhaften und liberalen Paare miteinander in
einer Civilehe verbunden, und was der wichtigste Fortschritt ist, der Geist¬
liche hält bei der Trauung eine "möglichst kurze" Rede.

Herr, bewahre mich vor meinen Freunden! Die Feinde will ich
schon selbst abwehren. -- Es ist eine wunderliche Geschichte, wenn eine
Dame, die mit sich im Reinen ist, nicht nur den Staat -- denn das ist
ein Kinderspiel, -- sondern auch die Gesellschaft nach den Prinzipien der
Freiheit und Gleichheit aus dem Nichts auferbaut. Börne würde nicht be¬
sonders angenehm überrascht werden, wenn er noch die Opferflamme fühlen
könnte, die ihm hier von lieblichen Händen angezündet wird. Nicht alle Blu¬
men, die wild wachse", sind "wilde Rosen," und das überströmende Gefühl
wird darum nicht mehr berechtigt, wenn es sich über Phrasen des Liberalis¬
mus ergießt, als wenn es durch irgend eine intime Herzensgeschichte hervor¬
gerufen wird.

Von den Stelzen dieser politischen Begeisterung steigen wir wieder in das
Kleinleben particnlairer Erlebnisse herab. Neue Geschichten ans dem
Böhmerwalde, von Joh. Rank. (Leipzig, Vollmar.) In der Blasirtheit,
die aus dem bodenlosen Idealismus unsers Jahrhunderts entsprungen war,
rettete man sich auf die glückseligen Inseln, die uns die Schriften von Auer-
bach, Jeremias Gotthilf und Anderen ausschlossen, wie der von den Wellen
herumgetriebeue, Seekraute Schiffer auf das feste Land. Man fühlte doch
einmal wieder Boden unter den Füßen, man sah zwar kleine aber bestimmte
Figuren, und man fühlte den Kopf freier, der dnrch den zuerst erhabenen,
aber endlich langweiligen Anblick des weiten Meeres und des grenzenlosen
Horizonts wüst und abgespannt geworden war. Die in ihre Abstractionen
verlorene Zeit sehnte sich wieder nach Realismus, und man hieß auch das
Unbedeutende willkommen, wenn es uur irgend eine Anschauung gab. Seit
der Zeit hat sich die Genremalerei der Dorfgeschichten innrer weiter aus¬
gedehnt, und man wird auch diesem Fluß der Poesie bald einen Damm
setzen müssen; wir halten nun die Realität fest, und es kommt schon darauf


um aus dem Asyl der Freiheit verbannt und seinem bösen Gewissen über¬
lassen. „Berührt ihn nicht, den Gott geschlagen," ertönt es aus tausend
Stimmen, „der Geist der Zeit hat sich an ihm gerächt, ihn in das wesen¬
lose Nichts gestürzt." Zum Schluß läßt der Herzog seinen Kanzler herbei¬
rufen, damit dieser dem Volk „in einer klaren und bündigen Rede" den gan¬
zen Plan des modernen freien Staates anschaulich mache. Der Redner löst
„mit Klarheit und Geschick" diese Ausgabe. So wird das Volk aufgeklärt,
über alle bürgerliche» und politischen Interessen werden die liberalsten An-
ordnungen getroffen, die tugendhaften und liberalen Paare miteinander in
einer Civilehe verbunden, und was der wichtigste Fortschritt ist, der Geist¬
liche hält bei der Trauung eine „möglichst kurze" Rede.

Herr, bewahre mich vor meinen Freunden! Die Feinde will ich
schon selbst abwehren. — Es ist eine wunderliche Geschichte, wenn eine
Dame, die mit sich im Reinen ist, nicht nur den Staat — denn das ist
ein Kinderspiel, — sondern auch die Gesellschaft nach den Prinzipien der
Freiheit und Gleichheit aus dem Nichts auferbaut. Börne würde nicht be¬
sonders angenehm überrascht werden, wenn er noch die Opferflamme fühlen
könnte, die ihm hier von lieblichen Händen angezündet wird. Nicht alle Blu¬
men, die wild wachse», sind „wilde Rosen," und das überströmende Gefühl
wird darum nicht mehr berechtigt, wenn es sich über Phrasen des Liberalis¬
mus ergießt, als wenn es durch irgend eine intime Herzensgeschichte hervor¬
gerufen wird.

Von den Stelzen dieser politischen Begeisterung steigen wir wieder in das
Kleinleben particnlairer Erlebnisse herab. Neue Geschichten ans dem
Böhmerwalde, von Joh. Rank. (Leipzig, Vollmar.) In der Blasirtheit,
die aus dem bodenlosen Idealismus unsers Jahrhunderts entsprungen war,
rettete man sich auf die glückseligen Inseln, die uns die Schriften von Auer-
bach, Jeremias Gotthilf und Anderen ausschlossen, wie der von den Wellen
herumgetriebeue, Seekraute Schiffer auf das feste Land. Man fühlte doch
einmal wieder Boden unter den Füßen, man sah zwar kleine aber bestimmte
Figuren, und man fühlte den Kopf freier, der dnrch den zuerst erhabenen,
aber endlich langweiligen Anblick des weiten Meeres und des grenzenlosen
Horizonts wüst und abgespannt geworden war. Die in ihre Abstractionen
verlorene Zeit sehnte sich wieder nach Realismus, und man hieß auch das
Unbedeutende willkommen, wenn es uur irgend eine Anschauung gab. Seit
der Zeit hat sich die Genremalerei der Dorfgeschichten innrer weiter aus¬
gedehnt, und man wird auch diesem Fluß der Poesie bald einen Damm
setzen müssen; wir halten nun die Realität fest, und es kommt schon darauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/343>, abgerufen am 01.09.2024.