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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Verlust nicht groß, da das Kind nur so viel Geld in der Tasche hat, als
es unmittelbar vorher erhielt. Die Eltern aber werdeu nicht angehalten,
weil sie sich nicht durch Betteln, sondern durch den Verkauf der Strohmatten,
Besen u. dergl., die sie bei sich sichren, zu ernähren scheine".

Es leuchtet ein, wie viele Vortheile dieses Manöver bietet, und ist
also begreiflich, daß sich auch solche, die nicht zur nämlichen Familie gehö¬
ren, vereinigen, um das Publikum in der angegebenen Weise auszubeuten.
Die Fälle sind nicht selten, daß Leute, die ihr Dorf ans irgend eine",
Grunde nicht verlasse" können, ihre Kinder Andern auf Bettelreisen mitge¬
ben; denn daS Betteln wird nnter dem Name" "Fechten" nicht für Schande
bringend erachtet, und selbst Solche, die einen ausreichenden ehrlichen Erwerb
in ihrem Dorfe haben, scheuen sich oft nicht, sich ihre Kinder auf diese Weise
vom Halse zu schaffen.

Hauptsächlich aber lernen die Vagabunden einander kennen in den soge¬
nannten Brummställe", aus den SchubtrauSpvrteu und in den Herbergen,
wo sie ihre Beute verprassen.

Unter dem vulgären Ausdruck Brummstall, versteht man in einem gro¬
ßen Theile Deutschlands die weiten Gefäuguißräume, wo die Vagabunden und
Bettler, auch mit den Kunstnamen Strome r, Streuuer oder Hochstappler
genannt, in gemeinsamer Hast gehalten werden, wo täglich neue ankomme"
und andere abgebe". Wie die gemeinsamen Gefängnisse die Schule der Ver¬
brechen sind, so sind die Brummställe der Ort, wo das systematische Betteln
erlernt, und alle die raffinirten Künste erfunden und verbreitet werdeu, von
denen oben die Rede war. Von hier geht der Ruf der einzelnen Bettler-
coryphäen ans, hier werdeu die Diebstähle ausgeheckt und die Gelegenheiten
besprochen. Man könnte die Brummställe beinahe die Börse der Proleta¬
rier nennen.

Fast dasselbe, nur in viel geringerem Maßstabe, gilt von den Schnb-
trcmsporten, welche durch ganz Deutschland nach besonderen Staatsverträgcn
gleich PostVerbindungen organisirt sind, und womit sich die einzelnen Staa¬
ten ihre Angehörigen einander "zuschieben."

Die erwähnten Herbergen endlich sind der Ort, wo die Bekanntschaft
unserer Proletarier untereinander am meisten befördert wird, und hier zeigt
sich zugleich am Augenscheinlichsten, wie es um die Gesittung dieser Men¬
schen steht.

Wenn man glaubt, daß jene Proletarier aus Noth bettelten und die
Almosen zur Bestreitung der nothwendigsten Bedürfnisse anwendeten, so ist
das ein großer Irrthum. Die Leichtigkeit des Erwerbs und die bequeme


Verlust nicht groß, da das Kind nur so viel Geld in der Tasche hat, als
es unmittelbar vorher erhielt. Die Eltern aber werdeu nicht angehalten,
weil sie sich nicht durch Betteln, sondern durch den Verkauf der Strohmatten,
Besen u. dergl., die sie bei sich sichren, zu ernähren scheine».

Es leuchtet ein, wie viele Vortheile dieses Manöver bietet, und ist
also begreiflich, daß sich auch solche, die nicht zur nämlichen Familie gehö¬
ren, vereinigen, um das Publikum in der angegebenen Weise auszubeuten.
Die Fälle sind nicht selten, daß Leute, die ihr Dorf ans irgend eine»,
Grunde nicht verlasse» können, ihre Kinder Andern auf Bettelreisen mitge¬
ben; denn daS Betteln wird nnter dem Name» „Fechten" nicht für Schande
bringend erachtet, und selbst Solche, die einen ausreichenden ehrlichen Erwerb
in ihrem Dorfe haben, scheuen sich oft nicht, sich ihre Kinder auf diese Weise
vom Halse zu schaffen.

Hauptsächlich aber lernen die Vagabunden einander kennen in den soge¬
nannten Brummställe», aus den SchubtrauSpvrteu und in den Herbergen,
wo sie ihre Beute verprassen.

Unter dem vulgären Ausdruck Brummstall, versteht man in einem gro¬
ßen Theile Deutschlands die weiten Gefäuguißräume, wo die Vagabunden und
Bettler, auch mit den Kunstnamen Strome r, Streuuer oder Hochstappler
genannt, in gemeinsamer Hast gehalten werden, wo täglich neue ankomme»
und andere abgebe». Wie die gemeinsamen Gefängnisse die Schule der Ver¬
brechen sind, so sind die Brummställe der Ort, wo das systematische Betteln
erlernt, und alle die raffinirten Künste erfunden und verbreitet werdeu, von
denen oben die Rede war. Von hier geht der Ruf der einzelnen Bettler-
coryphäen ans, hier werdeu die Diebstähle ausgeheckt und die Gelegenheiten
besprochen. Man könnte die Brummställe beinahe die Börse der Proleta¬
rier nennen.

Fast dasselbe, nur in viel geringerem Maßstabe, gilt von den Schnb-
trcmsporten, welche durch ganz Deutschland nach besonderen Staatsverträgcn
gleich PostVerbindungen organisirt sind, und womit sich die einzelnen Staa¬
ten ihre Angehörigen einander „zuschieben."

Die erwähnten Herbergen endlich sind der Ort, wo die Bekanntschaft
unserer Proletarier untereinander am meisten befördert wird, und hier zeigt
sich zugleich am Augenscheinlichsten, wie es um die Gesittung dieser Men¬
schen steht.

Wenn man glaubt, daß jene Proletarier aus Noth bettelten und die
Almosen zur Bestreitung der nothwendigsten Bedürfnisse anwendeten, so ist
das ein großer Irrthum. Die Leichtigkeit des Erwerbs und die bequeme


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[0290] Verlust nicht groß, da das Kind nur so viel Geld in der Tasche hat, als es unmittelbar vorher erhielt. Die Eltern aber werdeu nicht angehalten, weil sie sich nicht durch Betteln, sondern durch den Verkauf der Strohmatten, Besen u. dergl., die sie bei sich sichren, zu ernähren scheine». Es leuchtet ein, wie viele Vortheile dieses Manöver bietet, und ist also begreiflich, daß sich auch solche, die nicht zur nämlichen Familie gehö¬ ren, vereinigen, um das Publikum in der angegebenen Weise auszubeuten. Die Fälle sind nicht selten, daß Leute, die ihr Dorf ans irgend eine», Grunde nicht verlasse» können, ihre Kinder Andern auf Bettelreisen mitge¬ ben; denn daS Betteln wird nnter dem Name» „Fechten" nicht für Schande bringend erachtet, und selbst Solche, die einen ausreichenden ehrlichen Erwerb in ihrem Dorfe haben, scheuen sich oft nicht, sich ihre Kinder auf diese Weise vom Halse zu schaffen. Hauptsächlich aber lernen die Vagabunden einander kennen in den soge¬ nannten Brummställe», aus den SchubtrauSpvrteu und in den Herbergen, wo sie ihre Beute verprassen. Unter dem vulgären Ausdruck Brummstall, versteht man in einem gro¬ ßen Theile Deutschlands die weiten Gefäuguißräume, wo die Vagabunden und Bettler, auch mit den Kunstnamen Strome r, Streuuer oder Hochstappler genannt, in gemeinsamer Hast gehalten werden, wo täglich neue ankomme» und andere abgebe». Wie die gemeinsamen Gefängnisse die Schule der Ver¬ brechen sind, so sind die Brummställe der Ort, wo das systematische Betteln erlernt, und alle die raffinirten Künste erfunden und verbreitet werdeu, von denen oben die Rede war. Von hier geht der Ruf der einzelnen Bettler- coryphäen ans, hier werdeu die Diebstähle ausgeheckt und die Gelegenheiten besprochen. Man könnte die Brummställe beinahe die Börse der Proleta¬ rier nennen. Fast dasselbe, nur in viel geringerem Maßstabe, gilt von den Schnb- trcmsporten, welche durch ganz Deutschland nach besonderen Staatsverträgcn gleich PostVerbindungen organisirt sind, und womit sich die einzelnen Staa¬ ten ihre Angehörigen einander „zuschieben." Die erwähnten Herbergen endlich sind der Ort, wo die Bekanntschaft unserer Proletarier untereinander am meisten befördert wird, und hier zeigt sich zugleich am Augenscheinlichsten, wie es um die Gesittung dieser Men¬ schen steht. Wenn man glaubt, daß jene Proletarier aus Noth bettelten und die Almosen zur Bestreitung der nothwendigsten Bedürfnisse anwendeten, so ist das ein großer Irrthum. Die Leichtigkeit des Erwerbs und die bequeme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/290>, abgerufen am 01.09.2024.