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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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führen können, gehören daher oft nicht zu den feinsten; und solchen sich
anzupassen, wird den Feingebildeteu oft schwer. Wenn der Deutsche dem
Deutschen näher stände, fiele dies Uebel leicht weg, denn er vermöchte leicht
in dem Andern zu erkennen was er ist, abgesehen von dem was er gilt.
Das thut der Deutsche in London aber nicht. Der Enthusiasmus für Ta¬
lent und Verdienst, den er aus der Heimath mitgebracht, kühlt hier sehr
bald ab in dem Drängen und Treiben des Geschäftslebens, und Erwerb
und ein ruhiger Genuß des Erworbenen werden endlich die Pole seines
Seins. Was gilt ihm da noch ein interessanter Mensch? oder ein solcher,
der ihn von einer Kunst unterhält, vou deren Ausübung seine Existenz ab¬
hängt? -- Er bedauert ihn. Als Commis auf seinem Comptoir würde er
mit Sicherheit mehr gewinnen und vielleicht noch eine Zukunft haben; --
die Kunst aber kennt meistens nur ein kümmerliches Alter. Und wenn er
so über seinen jungen Compatrioten urtheilt, was wird seine Frau von der
Künstlerin sagen? Sie findet sie unweiblich und läßt sie gehen. -- In
englische Cirkel kann sich die Brot suchende Kunst nicht einführen; so muß
sie allein bleiben. Und das ist denn auch ihr Loos. -- Daß aber solche,
die einen europäischen Ruf besitzen, von dieser Regel ausgenommen sind,
versteht sich von selbst. Da ist z. B. Freiligrath. Er ist nur Commis in
einem Handlungshause; seine Einnahme ist 300 Pfund, und das ist nichts
in diesem Lande. Er wohnt in Clapham, einer entlegenen Vorstadt. Aber
-- sein Ruf ist ihm vorausgegangen. Er braucht daher uicht zu suchen,
souderu wird gesucht. Sein Leben ist ein mühseliges. Die ganze lauge
Woche hindurch arbeitet er vou.früh 9 Uhr bis Abends 9; kauu daher nichts
mitmachen und weder Menschen noch Dinge sehen. Sonntags aber ist sein
Ruhetag, und eben jetzt sitzt er in seinem niedlichen Salon und empfängt
die Großen der Erde, die sich eine Freude daraus machen, ihn in seinem
ritr-illo auszusuchen. Lyttou Bulwer gehört zu seineu häuiigsteu Gästen. --
Eben so ergeht es Andersen. Kam" hat er die Ufer Englands betreten,
so läuft ihm alles nach. Und er soll nicht unempfindlich gegen dieses Nach¬
laufen sein! -- Man war sehr arm an "Lions;" die Saison bot nichts,
auch gar nichts, und Freiligrath wollte sich durchaus nicht dazu hergeben,
als eine Art Aushängeschild und Köder für Soirven zu dienen. Andersen
kam also wie vom Himmel gesendet und wurde mit offenen Armen von den
nach "Lions" Dürstenden begrüßt. Die Literaten reißen sich um ihn, die
Aristokraten reißen sich um ihn, die Buchhändler reißen sich um ihn. Viel¬
leicht möchte das Reißen der letztern am Ende noch den erfreulichsten Klang
für sein Ohr haben, denn sie bieten ihm 15 Pfund den Bogen für seine


führen können, gehören daher oft nicht zu den feinsten; und solchen sich
anzupassen, wird den Feingebildeteu oft schwer. Wenn der Deutsche dem
Deutschen näher stände, fiele dies Uebel leicht weg, denn er vermöchte leicht
in dem Andern zu erkennen was er ist, abgesehen von dem was er gilt.
Das thut der Deutsche in London aber nicht. Der Enthusiasmus für Ta¬
lent und Verdienst, den er aus der Heimath mitgebracht, kühlt hier sehr
bald ab in dem Drängen und Treiben des Geschäftslebens, und Erwerb
und ein ruhiger Genuß des Erworbenen werden endlich die Pole seines
Seins. Was gilt ihm da noch ein interessanter Mensch? oder ein solcher,
der ihn von einer Kunst unterhält, vou deren Ausübung seine Existenz ab¬
hängt? — Er bedauert ihn. Als Commis auf seinem Comptoir würde er
mit Sicherheit mehr gewinnen und vielleicht noch eine Zukunft haben; —
die Kunst aber kennt meistens nur ein kümmerliches Alter. Und wenn er
so über seinen jungen Compatrioten urtheilt, was wird seine Frau von der
Künstlerin sagen? Sie findet sie unweiblich und läßt sie gehen. — In
englische Cirkel kann sich die Brot suchende Kunst nicht einführen; so muß
sie allein bleiben. Und das ist denn auch ihr Loos. — Daß aber solche,
die einen europäischen Ruf besitzen, von dieser Regel ausgenommen sind,
versteht sich von selbst. Da ist z. B. Freiligrath. Er ist nur Commis in
einem Handlungshause; seine Einnahme ist 300 Pfund, und das ist nichts
in diesem Lande. Er wohnt in Clapham, einer entlegenen Vorstadt. Aber
— sein Ruf ist ihm vorausgegangen. Er braucht daher uicht zu suchen,
souderu wird gesucht. Sein Leben ist ein mühseliges. Die ganze lauge
Woche hindurch arbeitet er vou.früh 9 Uhr bis Abends 9; kauu daher nichts
mitmachen und weder Menschen noch Dinge sehen. Sonntags aber ist sein
Ruhetag, und eben jetzt sitzt er in seinem niedlichen Salon und empfängt
die Großen der Erde, die sich eine Freude daraus machen, ihn in seinem
ritr-illo auszusuchen. Lyttou Bulwer gehört zu seineu häuiigsteu Gästen. —
Eben so ergeht es Andersen. Kam» hat er die Ufer Englands betreten,
so läuft ihm alles nach. Und er soll nicht unempfindlich gegen dieses Nach¬
laufen sein! — Man war sehr arm an „Lions;" die Saison bot nichts,
auch gar nichts, und Freiligrath wollte sich durchaus nicht dazu hergeben,
als eine Art Aushängeschild und Köder für Soirven zu dienen. Andersen
kam also wie vom Himmel gesendet und wurde mit offenen Armen von den
nach „Lions" Dürstenden begrüßt. Die Literaten reißen sich um ihn, die
Aristokraten reißen sich um ihn, die Buchhändler reißen sich um ihn. Viel¬
leicht möchte das Reißen der letztern am Ende noch den erfreulichsten Klang
für sein Ohr haben, denn sie bieten ihm 15 Pfund den Bogen für seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/186>, abgerufen am 01.09.2024.