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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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siebenten Tage einmal das Weite suchen und sich ferne von den schwarzen
Mauern der Stadt, an Erde, Himmel und Bäumen weiden. Und sie thun das.
Nie sind die Dampfboote so sehr mit Menschen überladen, nie die Parks und der
Kensington-Garten gefüllter! -- Eben so findet man alle Kuchenbäckerläden
geöffnet, so wie alle Conditoreien, Frucht- und Eßladen. Der Hungerford-
markt sieht ganz wie an einem Wochentage aus, so daß die von dort Ab¬
fahrenden sich mit jedem Artikel versehen können, dessen sie für ihre Land-
Expeditionen bedürfen. Sogar Stöcke und Zeitungen trägt man einem nach.
Jetzt tönt noch der herrliche Chorgesang in der Westmünsterabtei und der
Se. Paulskirche; um 12 Uhr aber ist es dort vorbei, und das ist auch der
Augenblick, wo sich alles zu den Boten drängt, die bald so überfüllt dahin¬
fliegen, daß der Zurückgebliebene sich freuen muß, nicht zu den Passagieren
zu gehören. Die Preise sind jetzt so billig, daß auch der Geringste die
Ausgabe erschwingen kann. Selbst die kleinen "l>u^ :>, brnom," diese klei¬
nen Pfälzer, die hier mühselig ihren Unterhalt durch diese Art vou Bettelei
gewinnen, kehren Abends von ihrem Tagewerke per Dampfschiff heim. Das
neueste Boot, das für die Themse ausgerüstet ist, trägt als Überschrift den
Preis von einem "ki-lit-nenn^." -- Wohin wird es England noch mit dieser
"compvtkion" -- diesem Wettstreit der niedrigsten Preise, bringen? -- Am
Sonntag aber sind meine kleinen Compatriotinnen, die 1>u^ :>, brnom, dock)
nicht sichtbar. Ob sie es nicht schicklich halten am Sonntage zu betteln? Oder
wird das AuSbietcn ihrer kleinen hölzernen Quaste, einen halben Pfennig
das Stück, vielleicht ein Handel genannt, der nicht sonntäglich ist? Ich
weiß es nicht. Gestern gegen Abend fand ich ein paar der kleinen Iiuy "
droom-Mädchen ans ihrer Rückfahrt nach ihrer Hungercolonie, in White-
Ehapel, begriffen -- einer Vorstadt, wo alle diese armen Deutschen sich
zusammengerottet haben, und wo es sogar Bäcker gibt, die ihnen Roggen¬
brod backen. Die kleinen häßlichen braunen Mädchen sprachen mich in ihrem
kauderwelschen Dialekt, der mir aber doch heimisch klang, um einen Pfennig
an, sich ein wenig Kaffee für den Sonntag zu kaufen. Ich mußte lächeln
über diese eingewurzelte Vorliebe für das beliebte langsame Gift aller alten
Weiber, und konnte die Bitte nicht abschlagen. Da war doch einmal etwas
Nationales! "Und wie wird es mit Zucker und Milch?" fragte ich die
Kleine. "Sie wären nur zu glücklich ihn schwarz zu trinken," versetzte sie
nun, "obgleich ein Tröpfchen Milch dazu gar gut schmecke. -- Sie hätten
den ganzen Winter von trockenem Brot gelebt und das oft kaum gehabt.
Jetzt, wo der Bruder gestorben, das machte einen Esser weniger; die Mutter
hatte ihn begraben und das rothe Kleidchen blau gefärbt, damit es nicht


siebenten Tage einmal das Weite suchen und sich ferne von den schwarzen
Mauern der Stadt, an Erde, Himmel und Bäumen weiden. Und sie thun das.
Nie sind die Dampfboote so sehr mit Menschen überladen, nie die Parks und der
Kensington-Garten gefüllter! — Eben so findet man alle Kuchenbäckerläden
geöffnet, so wie alle Conditoreien, Frucht- und Eßladen. Der Hungerford-
markt sieht ganz wie an einem Wochentage aus, so daß die von dort Ab¬
fahrenden sich mit jedem Artikel versehen können, dessen sie für ihre Land-
Expeditionen bedürfen. Sogar Stöcke und Zeitungen trägt man einem nach.
Jetzt tönt noch der herrliche Chorgesang in der Westmünsterabtei und der
Se. Paulskirche; um 12 Uhr aber ist es dort vorbei, und das ist auch der
Augenblick, wo sich alles zu den Boten drängt, die bald so überfüllt dahin¬
fliegen, daß der Zurückgebliebene sich freuen muß, nicht zu den Passagieren
zu gehören. Die Preise sind jetzt so billig, daß auch der Geringste die
Ausgabe erschwingen kann. Selbst die kleinen „l>u^ :>, brnom," diese klei¬
nen Pfälzer, die hier mühselig ihren Unterhalt durch diese Art vou Bettelei
gewinnen, kehren Abends von ihrem Tagewerke per Dampfschiff heim. Das
neueste Boot, das für die Themse ausgerüstet ist, trägt als Überschrift den
Preis von einem „ki-lit-nenn^." — Wohin wird es England noch mit dieser
„compvtkion" — diesem Wettstreit der niedrigsten Preise, bringen? — Am
Sonntag aber sind meine kleinen Compatriotinnen, die 1>u^ :>, brnom, dock)
nicht sichtbar. Ob sie es nicht schicklich halten am Sonntage zu betteln? Oder
wird das AuSbietcn ihrer kleinen hölzernen Quaste, einen halben Pfennig
das Stück, vielleicht ein Handel genannt, der nicht sonntäglich ist? Ich
weiß es nicht. Gestern gegen Abend fand ich ein paar der kleinen Iiuy »
droom-Mädchen ans ihrer Rückfahrt nach ihrer Hungercolonie, in White-
Ehapel, begriffen — einer Vorstadt, wo alle diese armen Deutschen sich
zusammengerottet haben, und wo es sogar Bäcker gibt, die ihnen Roggen¬
brod backen. Die kleinen häßlichen braunen Mädchen sprachen mich in ihrem
kauderwelschen Dialekt, der mir aber doch heimisch klang, um einen Pfennig
an, sich ein wenig Kaffee für den Sonntag zu kaufen. Ich mußte lächeln
über diese eingewurzelte Vorliebe für das beliebte langsame Gift aller alten
Weiber, und konnte die Bitte nicht abschlagen. Da war doch einmal etwas
Nationales! „Und wie wird es mit Zucker und Milch?" fragte ich die
Kleine. „Sie wären nur zu glücklich ihn schwarz zu trinken," versetzte sie
nun, „obgleich ein Tröpfchen Milch dazu gar gut schmecke. — Sie hätten
den ganzen Winter von trockenem Brot gelebt und das oft kaum gehabt.
Jetzt, wo der Bruder gestorben, das machte einen Esser weniger; die Mutter
hatte ihn begraben und das rothe Kleidchen blau gefärbt, damit es nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/184>, abgerufen am 01.09.2024.