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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Führer, angesteckt vom Geiste der Zeit -- von dieser Pest, brrrrr! -- in
den entgegengesetzten Fehler fielen und die Tapferkeit mit Hochverachtung
von sich wiesen.

Der General v. Rüchel aber war ein Typus der tapfern Leute jener
Zeit. Mein Führer erzählte weiter: "In einer Unterhaltung, die der Ge¬
neral mit dem Oberst v. Massenbach hatte und die über den Kaiser Na¬
poleon handelte, sprach Massenbach, der frei von Vorurtheilen war, mit
Bewunderung von dem Genie des Kaisers der Franzosen. Rüchel, der ihm
Anfangs schweigend zugehört hatte, verlor am Ende die Geduld. Und, ohne
daran zu decken, wie lächerlich er einem verständigen Manne erscheinen
müsse, unterbrach er ihn und sagte: "Gehen Sie, mein Freund! sie denken
nicht darau. Ich war bereits Generalmajor und Ritter des rothen Adler¬
ordens, als Napoleon erst Artillerielieutenant war." -- S. 101.

Der Herr General von Rüchel war sicher nicht der einzige, der es da¬
mals mit Napoleon ohne Umstände in Preußen aufgenommen hätte, wenn
man ihn losgelassen. Das aber verhinderte nicht, daß selbst die wildesten
Bramarbasse wieder oft die gutmüthigsten Menschen von der Welt waren.
"Seine Aufgeblasenheit machte, daß der General von Rüchel oft verletzte.
Aber sobald man ihm auf eine anständige Weise zeigte, daß er Unrecht ge¬
habt, wurde er oft so weich, daß ihm die Thränen in die Augen traten.
Deswegen finden ihn dann auch Alle, die ihm näher kommen, nicht nur von
Herzen gut, sondern selbst sehr liebenswürdig. Man muß noch bedenken,
daß in seinen Augen die Freigebigkeit eine der ersten Eigenschaften eines
tapfern Mannes, und daß er somit freigebig ist, so weit er immer kann."
-- S. 102.

Der tapfere General war blitzwild, als der Wiener Friede ihm die
Aussicht auf einen Feldzug, in dem er Napoleon den Kehraus zu machen
hoffte, verschloß. "Er kam mit seinen Adjudanten in den königlichen Pallast
und frug ganz patzig: Wo ist der König? Der General von Kökeritz ging
ihm mit seiner gewohnten Freundlichkeit entgegen, und sagte ihm: Herr
Bruder, was gibts denn? Rüchel antwortete in noch höherem Tone: Wo
ist der König? Ich muß ihn sprechen. Was liegt mir an der Bruderschaft,
wenn sich's um das Heil des Staates handelt! Der König, der sich in einem
anstoßenden Zimmer befand, und durch den Lärm, den der General machte,
herbeigezogen wurde, trat in den Vorsaal, und Rüchel, als er den König
sah, redete ihn mit Pathos an: "Ich komme, um Ew. Majestät den Schmerz
des Heeres in Bezug auf die fehlgeschlagen" Hoffnung des Feldzuges auszu¬
drücken." Der König, der sich durch diese Unverschämtheit tief verletzt fühlte,


Führer, angesteckt vom Geiste der Zeit — von dieser Pest, brrrrr! — in
den entgegengesetzten Fehler fielen und die Tapferkeit mit Hochverachtung
von sich wiesen.

Der General v. Rüchel aber war ein Typus der tapfern Leute jener
Zeit. Mein Führer erzählte weiter: „In einer Unterhaltung, die der Ge¬
neral mit dem Oberst v. Massenbach hatte und die über den Kaiser Na¬
poleon handelte, sprach Massenbach, der frei von Vorurtheilen war, mit
Bewunderung von dem Genie des Kaisers der Franzosen. Rüchel, der ihm
Anfangs schweigend zugehört hatte, verlor am Ende die Geduld. Und, ohne
daran zu decken, wie lächerlich er einem verständigen Manne erscheinen
müsse, unterbrach er ihn und sagte: „Gehen Sie, mein Freund! sie denken
nicht darau. Ich war bereits Generalmajor und Ritter des rothen Adler¬
ordens, als Napoleon erst Artillerielieutenant war." — S. 101.

Der Herr General von Rüchel war sicher nicht der einzige, der es da¬
mals mit Napoleon ohne Umstände in Preußen aufgenommen hätte, wenn
man ihn losgelassen. Das aber verhinderte nicht, daß selbst die wildesten
Bramarbasse wieder oft die gutmüthigsten Menschen von der Welt waren.
„Seine Aufgeblasenheit machte, daß der General von Rüchel oft verletzte.
Aber sobald man ihm auf eine anständige Weise zeigte, daß er Unrecht ge¬
habt, wurde er oft so weich, daß ihm die Thränen in die Augen traten.
Deswegen finden ihn dann auch Alle, die ihm näher kommen, nicht nur von
Herzen gut, sondern selbst sehr liebenswürdig. Man muß noch bedenken,
daß in seinen Augen die Freigebigkeit eine der ersten Eigenschaften eines
tapfern Mannes, und daß er somit freigebig ist, so weit er immer kann."
— S. 102.

Der tapfere General war blitzwild, als der Wiener Friede ihm die
Aussicht auf einen Feldzug, in dem er Napoleon den Kehraus zu machen
hoffte, verschloß. „Er kam mit seinen Adjudanten in den königlichen Pallast
und frug ganz patzig: Wo ist der König? Der General von Kökeritz ging
ihm mit seiner gewohnten Freundlichkeit entgegen, und sagte ihm: Herr
Bruder, was gibts denn? Rüchel antwortete in noch höherem Tone: Wo
ist der König? Ich muß ihn sprechen. Was liegt mir an der Bruderschaft,
wenn sich's um das Heil des Staates handelt! Der König, der sich in einem
anstoßenden Zimmer befand, und durch den Lärm, den der General machte,
herbeigezogen wurde, trat in den Vorsaal, und Rüchel, als er den König
sah, redete ihn mit Pathos an: „Ich komme, um Ew. Majestät den Schmerz
des Heeres in Bezug auf die fehlgeschlagen« Hoffnung des Feldzuges auszu¬
drücken." Der König, der sich durch diese Unverschämtheit tief verletzt fühlte,


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[0145] Führer, angesteckt vom Geiste der Zeit — von dieser Pest, brrrrr! — in den entgegengesetzten Fehler fielen und die Tapferkeit mit Hochverachtung von sich wiesen. Der General v. Rüchel aber war ein Typus der tapfern Leute jener Zeit. Mein Führer erzählte weiter: „In einer Unterhaltung, die der Ge¬ neral mit dem Oberst v. Massenbach hatte und die über den Kaiser Na¬ poleon handelte, sprach Massenbach, der frei von Vorurtheilen war, mit Bewunderung von dem Genie des Kaisers der Franzosen. Rüchel, der ihm Anfangs schweigend zugehört hatte, verlor am Ende die Geduld. Und, ohne daran zu decken, wie lächerlich er einem verständigen Manne erscheinen müsse, unterbrach er ihn und sagte: „Gehen Sie, mein Freund! sie denken nicht darau. Ich war bereits Generalmajor und Ritter des rothen Adler¬ ordens, als Napoleon erst Artillerielieutenant war." — S. 101. Der Herr General von Rüchel war sicher nicht der einzige, der es da¬ mals mit Napoleon ohne Umstände in Preußen aufgenommen hätte, wenn man ihn losgelassen. Das aber verhinderte nicht, daß selbst die wildesten Bramarbasse wieder oft die gutmüthigsten Menschen von der Welt waren. „Seine Aufgeblasenheit machte, daß der General von Rüchel oft verletzte. Aber sobald man ihm auf eine anständige Weise zeigte, daß er Unrecht ge¬ habt, wurde er oft so weich, daß ihm die Thränen in die Augen traten. Deswegen finden ihn dann auch Alle, die ihm näher kommen, nicht nur von Herzen gut, sondern selbst sehr liebenswürdig. Man muß noch bedenken, daß in seinen Augen die Freigebigkeit eine der ersten Eigenschaften eines tapfern Mannes, und daß er somit freigebig ist, so weit er immer kann." — S. 102. Der tapfere General war blitzwild, als der Wiener Friede ihm die Aussicht auf einen Feldzug, in dem er Napoleon den Kehraus zu machen hoffte, verschloß. „Er kam mit seinen Adjudanten in den königlichen Pallast und frug ganz patzig: Wo ist der König? Der General von Kökeritz ging ihm mit seiner gewohnten Freundlichkeit entgegen, und sagte ihm: Herr Bruder, was gibts denn? Rüchel antwortete in noch höherem Tone: Wo ist der König? Ich muß ihn sprechen. Was liegt mir an der Bruderschaft, wenn sich's um das Heil des Staates handelt! Der König, der sich in einem anstoßenden Zimmer befand, und durch den Lärm, den der General machte, herbeigezogen wurde, trat in den Vorsaal, und Rüchel, als er den König sah, redete ihn mit Pathos an: „Ich komme, um Ew. Majestät den Schmerz des Heeres in Bezug auf die fehlgeschlagen« Hoffnung des Feldzuges auszu¬ drücken." Der König, der sich durch diese Unverschämtheit tief verletzt fühlte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/145>, abgerufen am 27.07.2024.